Neue Wohnungen an der Frühlingsstraße
Friedberger Baugenossenschaft packt im nächsten Jahr ein neues Großprojekt an. Um die innenstadtnahen Flächen möglichst gut ausnutzen zu können, sucht sie das Einvernehmen der Nachbarn
Friedberg Zum 100-jährigen Bestehen packt die Baugenossenschaft Friedberg ein großes Projekt an. Die alten Häuser an der Frühlingsstraße werden Zug um Zug durch Neubauten ersetzt. Statt bisher 40 können so rund 100 Wohnungen entstehen. In diesen Tagen beginnen die Informationsveranstaltungen für Mieter und Nachbarn, um alle Beteiligten frühzeitig einzubeziehen.
Die Siedlung an der Frühlingsstraße ist quasi die Keimzelle der Friedberger Baugenossenschaft. Mietwohnungsbau, wie man ihn heute kennt, gab es damals nicht, weiß Günther Riebel, der Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft. Die meisten der 3000 Friedberger lebten in den eigenen vier Wänden, nur wenige wohlhabende Bürger besaßen zur eigenen finanziellen Absicherung Mehrfamilienhäuser. In ganz Bayern herrschte Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum.
Durch die zunehmende Industrialisierung und Landflucht war die Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg so groß, dass sich am 29. März 1919 rund 200 Bürger des Städtchens zusammentaten und eine Genossenschaft gründeten. Als Zweck wurde die sichere und sozial verantwortbare Versorgung der Mitglieder mit Wohnraum festgeschrieben. Ausgestattet mit hinlänglichem Kapital wurden Grundstücke an der Bahnlinie gekauft, die damals noch mitten auf der grünen Wiese lagen.
Nach dem Vorbild einer Augsburger Mustersiedlung entstanden dort in zehnjähriger Bauzeit 13 Häuser, später kamen die inzwischen großenteils abgerissenen und durch Neubauten ersetzten Blöcke an der Wiffertshauser Straße hinzu. Heute hat die Baugenossenschaft 35 Mietshäuser mit 283 Wohnungen, eine eigengenutzte Geschäftsstelle, 159 Tiefgaragenabstellplätze und 16 Einzelgaragen im Besitz und verwaltet rund 200 weitere Wohnungen privater Eigentümer.
Galten die Häuser an der Frühlingsstraße Anfang des 20. Jahrhunderts noch als höchst fortschrittlich, so entsprechen die Grundrisse nicht mehr den heutigen Erfordernissen und auch die Bausubstanz ist in die Jahre gekommen. Die meisten der Häuser sind inzwischen also abbruchreif.
Bei der Analyse des Wohnungsbestands, den Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft schon vor Jahren in Auftrag gaben, war zudem klar: Diese Flächen lassen sich besser nutzen. Denn auf den jeweils rund 1500 Quadratmeter großen Einzelgrundstücken gibt es jeweils nur 300 Quadratmeter Wohnfläche – ein kaum mehr bezahlbarer Luxus in diesen Tagen. Bereits 2003 erarbeitete der Stadtrat darum einen neuen Bebauungsplan für den Be- reich, der eine bessere Nutzung zuließ. Nach eineinhalb Jahrzehnten sind jedoch auch diese Vorgaben nicht mehr zeitgemäß.
Die Baugenossenschaft sucht darum seit einiger Zeit bereits nach Möglichkeiten für eine bessere Verwertung der Flächen. Im Gespräch war dabei zunächst ein städtebaulicher Wettbewerb, dann jedoch erhielt Wolfgang Rockelmann als langjähriger Architekt der Genossenschaft den Auftrag. „Das war kein Automatismus“, betont Bürgermeister Roland Eichmann, der den Aufsichtsrat leitet. Es habe ausführliche Diskussionen darüber gegeben, ob Rockelmann, der ebenfalls dem Kontrollgremium angehört und auch im Stadtrat sitzt, erneut mit den Planungen betraut werden solle. Eichmann räumte ein, dass dies in der Öffentlichkeit immer wieder kritisch hinterfragt werde. Den Ausschlag für die Beauftragung ergaben schließlich zwei Umstände: die gute Zusammenarbeit in der Vergangenheit und die Notwendigkeit, das Vorhaben in mehreren Abschnitten umzusetzen, damit kein Mieter auf der Straße landet. Rockelmann hat diverse Modelle entworfen, die einerseits die Wirtschaftlichkeit gewährleisten und andererseits auch die Interessen der Nachbarschaft berücksichtigen will. Als Favoriten gehen zwei Varianten in die Endrunde: In beiden bleiben die Häuser Frühlingsstraße 9/11, 16, 18 und 20 erhalten, die aus der jüngeren Vergangenheit stammen. Zur Bahnlinie hin sind drei nahezu quadratische Häuser mit drei Stockwerken und Zeltdach geplant – eine Architektur, die seit den 1920erJahren im Quartier vertreten ist. Nördlich der Frühlingsstraße könnten entweder fünf baugleiche dreistöckige Häuser entstehen. Oder aber vier Häuser mit jeweils vier Stockwerken und Zeltdach, bei denen dafür die Abstandsflächen größer sind. Eine Tiefgarage für 200 Fahrzeuge ist auf der Nordseite geplant. Oberirdisch soll der Charakter als Grünquartier mit Begegnungsräumen erhalten bleiben.
Architekt Rockelmann verdeutlicht die Unterschiede der beiden Varianten: Bei fünf Häusern könnten insgesamt 96 Wohnungen entstehen, bei vier durch das zusätzliche Stockwerk hingegen 108. Zudem wäre der Bau wirtschaftlicher, weil weniger Fundamente und Aufzüge notwendig sind. „Wir können mit beiden Lösungen leben“, betont Aufsichtsratschef Eichmann. Weil aber der Bebauungsplan geändert werden muss, sucht die Stadt das Einvernehmen mit den Bürgern.
Rund 20 Millionen Euro will die Baugenossenschaft in das Projekt investieren, das 2019 beginnen und in mehreren Abschnitten bis 2026 verwirklicht werden soll. Auch wenn praktisch keine Grundstückskosten anfallen, seien die derzeitigen Mieten von unter fünf Euro pro Quadratmeter nicht zu halten, kündigt Vorstand Riebel an. Er sichert aber zu, dass sich die Preise knapp unter dem unteren Level der ortsüblichen Mieten bewegen werden. Wie Vorstandsmitglied Beate Kaul versichert, stehen dem aber geringere Nebenkosten in den modernen Energiestandards entsprechenden Bauten gegenüber: Unter dem Strich werde es dadurch sogar günstiger. Offen ist derzeit noch, ob für das Projekt Fördermittel für sozialen Wohnungsbau in Anspruch genommen werden.