Friedberger Allgemeine

„Wie soll ich umziehen mit so vielen Büchern?“

Michael Krüger hat sich zwar vom Hanser Verlag verabschie­det, ist aber nach wie vor Präsident der Bayerische­n Akademie der Künste. Am Sonntag wird er 75 – und spricht im Interview über seinen Kampf mit Gedrucktem

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Herr Krüger, als Präsident der Bayerische­n Akademie der Künste wollen Sie eine Veranstalt­ungsreihe über den Wert der Kunst machen. Warum?

Michael Krüger: Da die Bedeutung der Kunst sich mit der Gesellscha­ft ändert, muss man natürlich alle paar Jahre fragen: Was ändert sich da eigentlich? Man sieht das gut am Kunstmarkt. Ein Bild von Hockney, das er nach einem Foto gemalt hat, wird jetzt für 100 Millionen verkauft. Ein Bild von van Eyck können Sie noch für fünf Millionen kaufen, obwohl es davon nur noch drei auf dem ganzen Markt gibt. Kunst als Anlage war auch in der höfischen Zeit beliebt, das ist nicht neu. Damals war der Auftraggeb­er der Fürst oder die Kirche. Aber im bürgerlich­en Zeitalter gibt es plötzlich diese merkwürdig­e Wertschätz­ung der Kunst. Da geben Leute Millionen aus und wissen gar nicht, wofür.

Wertschätz­ung ohne wahre Wertschätz­ung meinen Sie?

Krüger: Die Leute haben nicht gelernt, dass es nicht um Geld geht, sondern um einen kulturelle­n Wert. Die können gar nicht beschreibe­n, was sie da an die Wände hängen. Da hängt irgendein abstrakter Vasarely und die Frau fragt: Was hat der gekostet? Und was soll das sein? – Farbe. Die Bedeutunge­n verschiebe­n sich, verändern sich. Das gilt auch für die Literatur, für die Musik, für die Architektu­r.

Wie steht es um die Finanzen der Akademie?

Krüger: Ich muss jede Wurst, die ich nach der Veranstalt­ung mit dem Künstler esse, selber bezahlen. Hier unter uns in der Residenz werden große Feste gefeiert, wenn die Staatskanz­lei irgendwas macht. Aber wenn bei uns ein Alfred Brendel kommt und ein Würstchen essen will, dann darf ich das bezahlen. Der Charme und die Qualität einer Akademie zeigt sich aber ja darin, ob die Künste miteinande­r ins Gespräch kommen. Das ist der Sinn einer Akademie. Was die Musiker mit den bildenden Künstlern und die bildenden Künstler mit den Filmleuten und die Filmleute mit den Literaten besprechen – darum geht es.

Woran liegt es, dass die Akademie so wenig Geld hat?

Krüger: Die Bayern haben traditione­llerweise etwas gegen zu viel Intellektu­alität. Der Spaenle war nicht ein einziges Mal bei uns. Frau Kiechle war einmal hier, weil sie einen Preis vergeben hat. Sie war sehr nett, aber nach drei Monaten auch schon wieder abgewählt. Es ist so, dass es sehr wenige Leute in der Politik gibt, die sich für Kultur interessie­ren. Das ist so. Das sind Volkswirte und Juristen. Die gehen einmal im Jahr nach Bayreuth und – wenn es eine Freikarte gibt – vielleicht auch noch mal ins Resi oder zum Symphonieo­rchester, wenn Mariss Jansons Beethoven spielt. Repräsenta­tionskultu­r. Ich bin ja schon so alt, ich kenne alle drei Politiker, die Bücher gelesen haben: Norbert Lammert, Wolfgang Schäuble und den früheren Bundesbaum­inister Oscar Schneider.

Hat der Rechtsruck, den wir derzeit nicht nur in Deutschlan­d erleben, aus Ihrer Sicht auch damit zu tun, dass die Kultur nicht genug gepflegt wurde?

Ja, selbstvers­tändlich. Unser Kulturbegr­iff ist diffus und unentschie­den. Das ist ein politische­r Prozess, der zu tun hat mit der totalen Umwälzung der Gesamtgese­llschaft. Eine neue Generation ist herangewac­hsen, die mit dem traditione­llen Muster links und rechts, mit CDU oder SPD, mit Hochkultur und Trivialkul­tur überhaupt nichts am Hut hat. Das ist für mich unbegreifl­ich. Aber es ist so. Man weiß noch nicht, in welche Richtung alles läuft. Im Moment läuft es der AfD in die Arme. Aber ich glaube nicht, dass das allzu lange geht. In der AfD ist einfach zu wenig Intelligen­z. Aber Deutschlan­d ist nicht das einzige Problem. In den USA ist Trump schon seit zwei Jahren Präsident, Erdogan ist ein klassische­r Faschist und hat die Türkei um Jahre zurückgewo­rfen. Italien ... und mit Großbritan­nien will ich gar nicht erst anfangen. Dass das alles noch einmal in Europa, in diesem reichen Europa, diskutiert werden muss ... Und dass überhaupt meine Generation Europa noch einmal in Frage stellt – das hätte ich mir nie vorstellen können.

Das klingt alles sehr pessimisti­sch ...

Krüger: Das hat mit meinem Alter zu tun ... Dass man seine Daten heute jedem zur Verfügung stellt, dass alle alles über mich wissen dürfen, nur weil ich mir irgendwo einen Käse gekauft habe oder ein Dieselauto – das kann doch nicht wahr sein, das macht einem Angst. Und in meiner alten Heimat Sachsen-Anhalt herrschen heute die Nazis auf der Straße, das ist auch nicht gerade ein Fortschrit­t.

Sind Sie darum immer noch in München?

Krüger: Auch, aber ich lebe inzwischen auch schon sehr viele Jahrzehnte hier, und wie soll ich umziehen mit den vielen Büchern? Ich trage so schon den ganzen Tag Kisten hin und her, schleppe sie in den Keller und dann wieder hoch ins Arbeitszim­mer. Ich habe Probleme mit der Statik. Wenn ich noch mehr Bücher staple, kann es sein, dass mir der ganze Goethe auf den Kopf fällt. Also muss ich alle Bücher in den Keller bringen – aber die Bücher wachsen von dort wieder nach oben. Ich weiß nicht, wohin damit. Ich weiß, ich brauche in Zukunft nicht drei Goethe-Ausgaben. Eine reicht. Aber wohin mit den anderen beiden? Keiner will die haben, nicht mal Antiquaria­te. Wenn ich die einfach in die Mülltonne schmeiße, schäme ich mich. Und so ist es ein ständiger Kampf mit diesen Büchern.

Interview: Britta Schultejan­s

Michael Krüger gilt als einer der führenden deutschen Intellektu­ellen. Jahrzehnte stand er an der Spitze des Hanser-Verlags. Seit 2013 ist Krüger Präsident der Bayerische­n Akademie der Schönen Künste. Als Autor schreibt er Lyrik und Romane, zuletzt „Vorübergeh­ende“.

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Foto: Sven Hoppe, dpa „Es ist ein ständiger Kampf“, sagt Michael Krüger. Krüger:

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