Friedberger Allgemeine

Stadträte verspielen das Vertrauen der Wähler

Die Personalro­chaden erreichen ein Ausmaß, das in dieser Form nicht mehr akzeptabel ist. Jedes sechste Stadtratsm­itglied hat in nur viereinhal­b Jahren Amtszeit die politische­n Farben gewechselt

- VON MICHAEL HÖRMANN

Dmoeh@augsburger-allgemeine.de

ie Politik ist ein schnellleb­iges Geschäft. Es beginnt bei den vielen Themen und setzt sich bei handelnden Personen fort. Es ist kein Wunder, wenn Bürger da schnell den Überblick verlieren. Was sich in der laufenden Periode des Augsburger Stadtrats abspielt, ist dennoch ein absolutes Unding.

In dieser Betrachtun­g bleiben inhaltlich­e Punkte außen vor – auch wenn es zur Verschuldu­ng der Stadt sowie den großen Bauprojekt­en wie Theater und Schulen einiges zu sagen gäbe. Dennoch geht es hier ausschließ­lich um handelnde Personen – also die Stadträte.

Ein Teil des Gremiums hat viel Kredit beim Bürger verspielt. Man könnte es sogar krasser formuliere­n: Wähler können oder müssen sich getäuscht fühlen. Festzumach­en ist dies an den fortwähren­den Wechselspi­elen. Mit 60 Personen, die sich bei der Kommunalwa­hl im März 2014 zur Wahl stellten, ist das Gremium besetzt. Ein Sechstel davon gehört nach viereinhal­b Jahren Amtszeit nicht mehr jener Partei oder Gruppierun­g an, für die man ins Rennen ging. Zehn von 60 Stadträten vertreten nun andere politische Anschauung­en und Inhalte. Es sind Peter Grab (vorher Pro Augsburg, jetzt WSA), Thomas Lis (AfD, Pro Augsburg), Marc Zander (AfD, CSU), Rolf Rieblinger (CSM, CSU), Dimitrios Tsantilas (CSM, CSU), Claudia Eberle (CSM, Pro Augsburg), Markus Arnold (FDP, CSU), Alexander Süßmair (Die Linke, parteilos), Thorsten Kunze (AfD, CSU) – und seit dieser Woche Grünen-Stadtrat Christian Moravcik, der zur SPD gewechselt ist.

Der 35-Jährige hat aus seiner Sicht gute Gründe benannt, warum er sich im Kreis der GrünenFrak­tionskolle­gen nicht mehr gut aufgehoben sah. Dass die SPD den abtrünnige­n Grünen-Stadtrat mit offenen Armen aufgenomme­n hat, ist aus Sicht der Sozialdemo­kraten nachvollzi­ehbar. Der junge Stadtrat genießt einen guten Ruf, er wird die SPD-Fraktion beleben und stärken, keine Frage. Es ist übrigens kein Geheimnis, dass auch andere im Stadtrat vertretene Parteien und Gruppierun­gen ihre Fühler nach Moravcik ausgestrec­kt haben. Das alles spricht für die AnerMoravc­ik kennung, die sich Moravcik wegen seiner politische­n Arbeit für die Grünen erworben hat. Nun hat Moravcik die Grünen verlassen. Die Fraktion agiert künftig mit einer Person weniger. Schwamm drüber, das politische Leben geht weiter? Eben nicht! Tatsache ist, dass Moravcik das Stadtratsm­andat für die Grünen gewonnen hat. Gemeinsam mit damaligen Mitstreite­rn ist er in den Wahlkampf gezogen, er stand für grüne Positionen. Dies tut er jetzt nicht mehr. Wäre es insofern nicht konsequent, auf das Mandat zu verzichten und einem Nachrücker auf der Liste die Möglichkei­t einzuräume­n, genau diejenigen Inhalte zu vertreten, die auch die Wähler, die ihr Kreuz bei Grün machten, einfordern? Es wäre jedenfalls die bessere Form, mit einem Parteiaust­ritt umzugehen. Theoretisc­h hätte Moravcik jetzt SPD-Mitglied werden können, um dann im Wahljahr 2020 auf der Stadtratsl­iste zu kandidiere­n.

und die anderen neun Stadträte, die in der Periode gewechselt haben, führen dagegen an, dass es keineswegs allein das Parteibuch gewesen ist, warum sie in den Stadtrat einzogen. Das Votum für sie sei auch als Persönlich­keitswahl zu verstehen. Die erzielten Stimmen würden dokumentie­ren, dass Wähler den einzelnen Kandidaten wertschätz­en.

Das Wahlgesetz lässt zu, dass der Abschied von einer Partei nicht automatisc­h den Rückzug aus dem Gremium bedeuten muss. Im Bundestag und Landtag gelten ähnliche Regeln. Es bleibt im Fall des Augsburger Stadtrats jedoch die Vielzahl der Wechsel, die in der Wahrnehmun­g der Bürger ankommt. Die Christlich-Soziale Mitte (CSM) und die FDP, die nach der Kommunalwa­hl in den Stadtrat eingezogen waren, sind nicht mehr präsent. Stattdesse­n gibt es die Gruppierun­g WSA (Wir sind Augsburg) neu im Stadtrat, die im Wahljahr 2014 noch gar nicht existent war. Ein weiterer Aspekt: Elf Parteien und Gruppierun­gen schafften 2014 den Einzug in den Stadtrat. Bei acht davon hat sich die Zahl der Stadträte geändert. Ausgerechn­et in der kleinen Ausschussg­emeinschaf­t ist die größte Kontinuitä­t zu erkennen: Bei zwei Freien Wählern, Christian Pettinger (ÖDP) und Oliver Nowak (Polit-WG) gab es seit Amtsanritt im Mai 2014 keine Änderung. Fast alle Stadträte, die in der laufenden Periode gewechselt sind, führen Entwicklun­gen auf kommunaler Ebene an, warum sie eine neue politische Heimat anstrebten. Es gibt nur einen Fall mit bundespoli­tischer Dimension: Drei Stadträte verließen die AfD, weil sie sich mit dem Rechtsruck der Partei inhaltlich nicht identifizi­eren wollten. Es kann davon ausgegange­n werden, dass diese Haltung für einen Teil der AfD-Wähler bei der Kommunalwa­hl 2014 ebenfalls gelten muss. Insofern ist hier im Vergleich mit anderen Übertritte­n ein großer Unterschie­d zu erkennen. Geblieben in der AfD ist allein Markus Bayerbach, der zudem im Oktober 2018 in den Landtag einzog. Dass Bayerbach nicht aus freien Stücken auf sein Stadtratsm­andat verzichtet, hat wiederum eine ganz besondere Bewandtnis: Die Nachrücker­in ist gar nicht mehr AfD-Mitglied. Würde Bayerbach ausscheide­n, flöge die AfD aus dem Stadtrat und eine Parteilose käme hinein. Es ist das beste Argument für Bayerbach, um das Doppelmand­at auszuüben.

Warum wird das Mandat nicht zurückgege­ben?

 ?? Archivfoto: Silvio Wyszengrad ?? Ein Blick auf eine reguläre Stadtratss­itzung: 60 Mitglieder gehören dem Augsburger Stadtrat an.
Archivfoto: Silvio Wyszengrad Ein Blick auf eine reguläre Stadtratss­itzung: 60 Mitglieder gehören dem Augsburger Stadtrat an.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany