27 auf einen Streich
Ja, so eine Zugfahrt, die ist lustig. Und lang ist sie manchmal auch. Da bleibt viel Zeit zum Vertreiben. Für sinnvolle Beschäftigungen. Und für weniger sinnvolle. Zu den sinnvollen zählt neben Lesen, Reden und stundenlangem In-dieLandschaft-Kucken auch das Schälen von zum Verzehr bestimmten Mandarinen. Vitamine sind schließlich gesund. Erst recht, wenn man zu lange mit zu vielen und zu kranken Mitmenschen in einem zu kleinen Abteil sitzt. Weniger sinnvoll erscheint da das dem Schälen folgende Herauspulen der kleinen, bitterschmeckenden Fäden, die dem Experten als „Mesokarp“und dem Laien als „das weiße Zeug“bekannt sind. Wobei sich beim Umgang damit die Geister scheiden: Während der Feinschmecker sie mit viel Hassliebe zum Detail entfernt („Weg damit“), isst sie der Pragmatiker einfach mit („Runter damit“).
Weitgehend einhellig sind hingegen die Meinungen, was einen anderen Teil der Mandarine betrifft: die Kerne. Die braucht nun wirklich kein Mensch! Doch ausgerechnet deren Entfernung gestaltet sich besonders schwierig. Vor allem im Zug. Zwar ist auf der Fahrt genug Zeit, um die Kerne mit geübter Zungenfertigkeit vom Fruchtfleisch zu trennen. Doch unter den Blicken fremder Abteilmitbenutzer gerät eine unauffällige Beförderung der ungeliebten Kerne aus der Mundhöhle ins Taschentuch stets zum Balanceakt zwischen ungehobeltem Ausspucken und gesellschaftsfähigem Essverhalten.
Nun gut, in der Regel hält sich die Zahl der Kerne in so einer Mandarine ja zum Glück in Grenzen. Ausnahmen bestätigen die Regel: Kürzlich kam der Autor dieser Zeilen in den fragwürdigen Genuss einer besonders kernhaltigen Mandarine. Er zählte: rekordverdächtige 27 Kerne! Wie sinnlos man sich auf so einer Zugfahrt doch seine Zeit vertreiben kann …