Ein ganzes Leben, halb gelungen
Robert Seethalers starker Alpenwelt-Roman als teils geglückte, teils vermessene Uraufführung
Memmingen Jana Milena Polasek war sich ihres Wagnisses bewusst: Ein „riskantes Ding“nannte sie es, den Roman „Ein ganzes Leben“(2014) des österreichischen Bestseller-Autors Robert Seethaler für die Bühne einzurichten. Aber es reizte die freischaffende Regisseurin nun mal, jenen 79 Jahre dauernden Lebensweg des Andreas Egger, den Seethaler so genial einfach und berührend erzählt, auch dem Theaterpublikum nahezubringen, wissend, dass sie damit auch „gnadenlos scheitern“kann, wie sie sagte.
Gnadenlos gescheitert ist die 39-Jährige nicht, das ist nach der Uraufführung im Landestheater Schwaben in Memmingen klar, wo sie und vier Schauspieler euphorischen Schlussapplaus ernteten. Aber wie sie Seethalers 160-Seiten-Roman gekürzt in ein Bühnenstück verwandelte, überzeugt nur eingeschränkt.
„Sterben wäre nicht das Schlechteste.“Dieser Satz, gleich am Anfang mehrmals eindringlich gesprochen, lässt den Grundton der Vita des Tagelöhners Andreas Egger anklingen. Er wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in der Bauernwelt eines abgelegenen Alpentals auf. Wo es so ganz anders zuging als in unserer heutigen Welt mit ihrer rasanten Digitalisierung und Globalisierung. Der Tod, Schmerzen, Armut, Krankheit begleiten Egger. Von den Freuden des Lebens, von Liebe, Wohlstand, Gesundheit, lässt ihn das Schicksal wenig kosten. Dennoch kämpft er stoisch und unbeirrbar gegen alle Widrigkeiten. Andreas Egger, der in seiner Kindheit deformiert wurde, lässt sich später nicht mehr verbiegen und auch nicht unterkriegen.
Wie aber bringt man so was auf die Bühne? Regisseurin Polasek hat sich für den „belebten Text“entschieden – eine Mischung aus Erzählen und mosaikartigen Szenen mit vier Schauspielern. Im fugenlosen Wechsel berichten Claudia Frost, David Lau, Klaus Philipp und Sandro Sutalo über dieses parabelhafte Leben und schlüpfen auch für ein paar Augenblicke in eine Rolle. Sie agieren auf einer blanken Bühne (Peter Schickart) mit wenigen Lichteffekten, was den Werkstatt-Charakter unterstreicht. Nur ein Schwarz-Weiß-Bild mit schneebedeckten Berggipfeln schafft ein wenig Stimmung und Raum.
Die Polasek-Inszenierung wirkt wie aus dem Lehrbuch für szenisch gesteigertes Erzählen. Phasenweise ist das stark und packend. Dann wieder drängt sich der Eindruck auf, Regisseurin und Spieler hätten sich wie in einem AssoziationsWorkshop zusammengesetzt, um Ideen zu gebären, wie Erzähltes in Spiel umzusetzen sei. Was herauskommt, hat schwankende Qualitäten. Im besten Fall schafft das Quartett auf der Bühne berührende Momente. Etwa wenn die erstaunlich zarte Liebe zwischen Egger und seiner Marie erblüht und sie sich den ersten Kuss geben. Oder wenn Kriegsgefangene auf ihrem langen Marsch ins Lager reihenweise zusammenbrechen. Dann entsteht tatsächlich der Mehrwert, den sich die Autorin und Regisseurin Polasek erklärtermaßen erhofft hatte.
Viele Szenen wirken aber auch bemüht. Und manche schlicht lächerlich oder deplatziert – wenn die vier hastig ein Handeis aufessen, sich in Zeitlupen-Spiel üben oder akrobatisch die Erschöpfung des Arbeiters Egger darstellen. In solchen Momenten erscheint das Unternehmen, aus dem starken Seethaler-Text ein starkes Theaterstück machen zu wollen, vermessen. Hätten die Darsteller ihn in diesen Momenten doch lieber bloß gelesen! Weitere Aufführungen 15. Dezember sowie am 3., 15. und 16. Januar (je 20 Uhr). Eintrittskarten unter Telefon 0 83 31/94 59 16.