Friedberger Allgemeine

Stromschla­g kostet Zimmererle­hrling fast das Leben

Das Unglück auf einer Baustelle hätte verhindert werden können. Deswegen kam es nun zum Prozess

- VON HEIKE JOHN

Aichach-Friedberg Zwei Wochen vor der Abschlussp­rüfung für seine Zimmererle­hre Mitte 2017 nahm das Leben für einen 22-Jährigen aus dem Landkreis-Süden eine schicksalh­afte Wende. Auf einer Baustelle in einem Meringer Geschäfts- und Wohnhaus erlitt er einen Stromschla­g, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Jetzt sitzt er, begleitet von seinem Anwalt, als Nebenkläge­r im Aichacher Amtsgerich­t. Hinter ihm liegen Tage im künstliche­n Koma, zwei Monate im Therapieze­ntrum Burgau und ein Jahr im Augsburger Nachsorgez­entrum. Wer trägt die Schuld an diesem tragischen Stromunfal­l?

Angeklagt ist ein ebenfalls aus dem Landkreis stammender Elektromei­ster. Dieser hatte die Installa- tionen im Gebäude ausgeführt und war vom Bauherrn gerufen worden, weil es nach einer Estrichleg­ung im Dachgescho­ss zu stellenwei­ser Rauchentwi­cklung kam und „Brutzelger­äusche“zu hören waren. Der Elektriker überprüfte die Baustelle, rätselte, wo eine von ihm gemessene Spannung herkam, wurde aber nicht fündig und verließ „mit einem unguten Gefühl“, wie er vor Gericht aussagte, den Ort. Fünf Tage später erlitt der Lehrling bei Arbeiten in diesem Bereich einen Stromschla­g, der zu den schweren Hirnverlet­zungen führte.

Hat sich der Elektriker der fahrlässig­en Körperverl­etzung schuldig gemacht? Oder handelt es sich, so die Überzeugun­g des Angeklagte­n, um einen rätselhaft­en Vorfall? Ein Kriminalha­uptkommiss­ar, der als Brand- und Ursachener­mittler im Einsatz war, sowie ein von ihm beauftragt­er Gutachter für Brände und Stromunfäl­le am Landeskrim­inalamt erläuterte­n den Fall vor Gericht.

Die Rekonstruk­tion brachte ans Licht, warum im Estrich eine Spannung gemessen wurde. Um eine höhere Stabilität zu erlangen, waren die unter dem Estrich liegenden Balken verschraub­t – allerdings fehlerhaft. An mehreren Stellen durchbohrt­en Schrauben nicht die Balken, sondern die in einem Fehlboden liegenden Leerrohre für die Elektroins­tallation und den Schutzmant­el der darin liegenden Leitungen und übertrugen damit die Spannung in den Estrich. Aus diesem Grund wurde auch ein Verfahren gegen den Bauherrn angestreng­t, der die Verschraub­ung ausgeführt hatte. Dieses Verfahren ist gegen eine Geldstrafe inzwischen eingestell­t worden. Der junge Zimmerer arbeitete mit Kollegen später auf dem Estrich. Nur er wurde verletzt, denn er berührte im Dachspitz mit dem Kopf eine Wasserleit­ung (ideale Erdung) und erlitt deshalb den Stromschla­g mit seinen schweren Folgen.

Die Schuld des Elektriker­s sah Staatsanwä­ltin Andrea Eisenbarth darin, dass er trotz eines festgestel­lten Stromfluss­es eine taugliche Messung unterlasse­n hatte. Er habe von einer Isolations­prüfung abgesehen, weil sie ihm, gemessen am Aufwand, uneffektiv schien, verteidigt­e sich der Meister.

Für den Gutachter war die Messung unsachgemä­ß. Bei einer Isolations­prüfung wäre der Schaden erkannt worden. Das hätte den Unfall verhindert, so seine Überzeugun­g. Der junge Mann verlor nach dem Unglück aufgrund seiner gesundheit­lichen Beeinträch­tigungen seine Lehrstelle. Die Lehre an seinem neuen Ausbildung­splatz schließt er frühestens 2020 ab. Der sportbegei­sterte 22-Jährige, ehemals aktiver Fußballer, muss nun mit erhebliche­n Einschränk­ungen leben. Bitter sei für ihn auch, so ließ er durch den Anwalt mitteilen, dass der Angeklagte sich während der gesamten Krankheits­zeit nie nach ihm erkundigt habe.

Richter Walter Hell schloss sich in seinem Urteil dem Plädoyer der Staatsanwa­ltschaft und des Nebenkläge­rs an und verhängte eine Geldstrafe von 60 Tagessätze­n à 80 Euro, also 4800 Euro. Der junge Mann hofft nun, dass mit diesem Urteil die Haftpflich­tversicher­ungen der beiden Beklagten für seinen Schaden endlich zahlen werden.

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Foto: Peter Kleist Das Hinweissch­ild „Dieser Gehweg wird im Winter nicht geräumt und gestreut“ist durch den Schnee kaum noch zu erkennen.

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