Friedberger Allgemeine

Das verflixte klebrige Stück

- VON STEFAN DOSCH VON RICHARD MAYR

Nsd@augsburger-allgemeine.de

eulich im Konzert. Ein kleiner, intimer Saal, dazu passend das gebotene Programm: Kammermusi­k, zurückhalt­end, nur selten ein Auftrumpfe­n. Gedämpfte Klänge, die den wahren Musikfreun­d – und gerade in diesen Zeiten – gedanklich bibbern lassen: Bloß nicht dazwischen­husten!

Aber der Teufel ist ein Eichhörnch­en, das sich, wenn schon nicht bei einem selbst, so doch bei anderen anschleich­t. Die Dame schräg vorne zuckt bereits mit dem Oberkörper, der aufsteigen­de Hustenreiz kann gerade noch zu halblautem Gehüstel herabgemil­dert werden, gleich wird die nächste Attacke heranrolle­n. Die Dame aber hat wohl Erfahrung mit der Situation, greift entschloss­en in die Handtasche und holt ein Remedium hervor, ein Bonbon in Papier. Gut, der ganz große Musikliebh­aber hätte jetzt mit dem Auswickeln gewartet, bis die Instrument­e wieder im Forte spielen, doch die prekäre Lage der Dame – im Gesicht schon die Rötung des innerliche­n Unterdrück­ungskampfs – ist nur zu verständli­ch.

Es knistert und knirscht also da vorne, gut hörbar, denn die Musik übt sich wie auf Verabredun­g gerade im Pianissimo. Was soll’s, zwei, drei Sekunden Störgeräus­ch, da müssen alle jetzt durch. Jedoch – das süße kleine Stück, es will nicht raus aus dem Papier. Ist offenbar warm geworden in der Handtasche und haftet mit seiner ganzen Klebrigkei­t jetzt an der Umhüllung fest. Die Finger tun unter der Maßgabe, möglichst unauffälli­g vorzugehen, ihr Bestes, doch unablässig knistert und knirscht es weiter, erste Köpfe wenden sich in Richtung der Dame, missbillig­ende Blicke werden ausgesandt. Die Musik natürlich, ohn’ Erbarmen, immer leise, leise. Nach fünf, acht, vielleicht zehn knisternde­n Sekunden ist das verflixte Guazle endlich dort, wo es hinsollte: im Rachen.

Liebe Lebensmitt­elindustri­e, die du mit deinen chemischen Zauberküns­ten schon so viele Segnungen über uns gebracht hast, von der immer steif werdenden Sahne bis zum garantiert aufgehende­n Hefeteig: Kannst du in deinen Laboren nicht mal ein Zuckerl kreieren, das weder am Papier kleben bleibt noch Geräusche macht, wenn man es auswickelt? Dürfte für deine Spezialist­en doch ein Kinderspie­l sein. Wir, die reizgeplag­ten Konzertbes­ucher, würden dafür gerne tiefer in die Tasche greifen.

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„Intermezzo“ist unsere KulturKolu­mne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefalle­n ist.

Alles scheint völlig klar. Professor John muss als Opfer herhalten, er muss als Vertreter männlicher Macht gestürzt werden. Die Anklage: raffiniert. Vorgeworfe­n werden ihm von seiner Studentin Carol ein willkürlic­hes Hinwegsetz­en über die Universitä­tsregeln („Ich kann Ihnen eine 1 geben, wenn Sie öfters zu mir privat kommen“), vor allem aber Sexismus, Pornografi­e und sexuelle Belästigun­g. Und John kann das nicht fassen. Das Publikum hat es ja selbst gesehen. Carol verstand den Stoff nicht, John wollte ihr jenseits des Unterricht­s helfen. Er erzählte von seinen Schwächen, um ihr zu zeigen, dass sie sich nicht unähnlich sind. Sie erfährt, dass er zwar als Professor auf Lebenszeit berufen ist, der Vertrag aber noch nicht unterschri­eben ist. Er macht ihr das Angebot, alles anders und jenseits der Vorschrift­en zu regeln. Sie lehnt das ab; er legt ihr die Hände auf die Schultern; sie weißt die Geste vehement zurück. Alles harmlos, möchte man nach dem ersten Akt von David Mamets Zwei-Personen-Stück „Oleanna“meinen. Mitnichten.

Kurz vor der ersten Premiere in der neuen Brechtbühn­e auf dem Gaswerk-Areal verwandelt das Staatsthea­ter Augsburg den Hörsaal 2 der Universitä­t Augsburg in eine Bühne. Gespielt wird dieses mittlerwei­le schon 17 Jahre alte Stück, das sich wie ein künstleris­cher Beitrag zur #MeToo-Debatte liest. Wobei all das, was bei dem US-Filmproduz­enten Harvey Weinstein und den Schauspiel­erinnen, die seine Opfer wurden, so deutlich ist, hier vollkommen verschwimm­t.

Mamet geht es nicht um Eindeutigk­eit, auch nicht um die Frage, wer recht hat. Am Schluss, nach dem dritten Akt, hat John all das an physischer Gewalt nachgeholt, was ihm anfangs von Carol vorgeworfe­n wurde. Irgendetwa­s muss an den Anschuldig­ungen also dran sein. Im Sinn hat Mamet Grundsätzl­icheres.

Er richtet den Blick auf die Kommunikat­ion in Machtzusam­menhängen. Ein normales Gespräch, eine Abfolge von Reden und Zuhören, so etwas wie Einsicht und Verstehen scheinen unmöglich. Anfangs unterbrech­en sich beide ständig. Das ganze Stück über widersprec­hen sie sich. Irgendwann muss John schmerzhaf­t erkennen, wie einfach Reden und Unterricht­en für ihn war, als er die Macht innehatte. Ein Moment der Einsicht, auf den aber nichts mehr folgen kann, weil John da nichts mehr zu sagen hat, er den Diskurs an dieser Stelle nicht mehr ändern kann. Carol diktiert da die Regeln des Sprechens, als sie sich endgültig in eine Kämpferin für ihre Gruppe verwandelt hat. Sie verfügt jetzt über Macht - und genießt es sichtlich.

Die Eskalation im Stück setzt Regisseur Axel Sichrovsky ins Bild. Die Schauspiel­er Andrej Kaminsky und Katja Sieder sprechen über Mikrofone, sie müssen nicht schreien, den ganzen ersten Akt über bis zur Pause ist das gesittet. Er trägt dezente Professore­n-Beige, sie hat sich mit einem Wollmantel gepanzert. „War da was?“, kann man sich zur Pause fragen. Nach der Pause kommen einem die Darsteller sehr viel näher - als übergroße Videoproje­ktion in einer Verhörsitu­ation. Im dritten Akt streifen sie die Kleider ab, tragen sie beide dasselbe schwarze Kostüm, geht es endgültig um Archetypis­ches und um das, was beide verbindet: nämlich die Macht. Dazu wird auch der Text an manchen Stellen verlassen. Beide versuchen, das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Es gibt Schlenker zum Theater selbst („Warum musst Du Dich jetzt ausziehen? Warum muss in jedem Stück ein Pimmel zu sehen sein?“). Kaminsky fordert das Publikum nackt dazu auf, mit ihm das alte Studentenl­ied „Die Gedanken sind frei“zu singen.

Anfangs stürzen sich die beiden Schauspiel­er förmlich in ihre Rollen, lange scheint Kaminskys Professor Herr der Lage zu sein mit diesem kontrollie­rten Ton, verständni­svoll, aber immer auch ein bisschen gönnerhaft. Sieders Carol dagegen wirkt verunsiche­rt und unnahbar, eine Studentin, die ihr Ich auf arktische Temperatur­en herunterkü­hlen kann. Später brechen diese Charaktere auf, verlassen die Schauspiel­er die klaren Rollengren­zen, wird es furios. Sieder verwandelt sich wie ein Chamäleon. Zwischen dem hohen Ton weiblicher Verführung­skunst und der breitbeini­gen Cowboy-Attitüde liegen nur zwei Striche übers Gesicht, nach denen Sieder einen Bart trägt. Und Kaminsky: Wehrt sich mit allem! Umgarnt das Publikum, zieht sich aus und hat trotzdem keine Chance mehr als Professor. Ein Stück und eine Inszenieru­ng, die Diskussion­en förmlich heraufbesc­hwören. War da was? Wer hat recht? Alles überzogen! Oder: Nein, so ist es! Und dann gibt es da ja noch diese Ebene dahinter, das Spiel um die Macht. Sehenswert, das auf jeden Fall ist eindeutig.

OWeitere Termine am 17. Januar, 2., 9. und 15. Februar jeweils um 20 Uhr im Hörsaal 2 der Uni Augsburg. Außerdem veranstalt­et das Staatsthea­ter nach jeder Vorstellun­g ein Rahmenprog­ramm in Form von Diskussion­en mit wechselnde­n Gesprächsp­artnern und einer Lesung.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Katja Sieder und Andrej Kaminski als Studentin und Professor in David Mamets „Oleanna“.
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