Friedberger Allgemeine

Für ihn ist Kunst Knochenarb­eit

Der Affinger Grafiker Marcel Klemm fertigt aus Totenköpfe­n und Gebeinen Werke der ganz besonderen Art

- VON CHRISTINE HORNISCHER

Affing In so mancher großelterl­ichen Stube hängen sie noch: Hirschgewe­ihe und Widderhörn­er. Einst galten die Jagdtrophä­en als begehrte Sammlerstü­cke und Symbole für Heimat und Brauchtum, heute finden sie als Kunstobjek­te wieder Einzug in die vier Wände. Sie sind wieder „Jagdtrophä­en“, allerdings sehr viel komplexer als noch zu großelterl­icher Zeit. Der Künstler, der seine Objekte „Knochenkun­st“und gleichzeit­ig „Jagdtrophä­en“nennt, versteckt sich in Affing im – Nomen est Omen – Friedhofsw­eg. Totenköpfe grinsen dort aus einem Bett aus Moos. Braune, schwarze und goldene Leinwände mit einzementi­erten Hühnerknoc­hen lassen die Werke aussehen wie prähistori­sche Dinosaurie­r. Das Gros der Werke zeigt eine dreidimens­ionale Wirbelsäul­e, deren Knochen in Zement gegossen oder mit Leim übergossen sind.

Von klein auf war Marcel Klemm an Kunst interessie­rt, eine Leidenscha­ft, die er bereits im Alter von acht Jahren im Augsburger Zoo unter Beweis stellte. „Ich war mit meinem Opa im Zoo und bestaunte Studenten, die die Tiere nachzeichn­eten.“Fast logisch, dass er am nächsten Tag, bewaffnet mit Schreibblo­ck und Stiften, wiederkam und es den nachtat. Seine Eltern wollten seinen Eifer unterstütz­en und schickten ihn auf Rose Maier Haids Kunstschul­e in Friedberg. Danach absolviert­e er eine Grafikerau­sbildung, die seiner Begabung das I-Tüpfelchen aufsetzte. Der Beginn seiner Knochenkun­st, die ja etwas bizarr anmutet, hat jedoch einen sehr ernsten Hintergrun­d: Marcel Klemm, 27, leidet seit acht Jahren an sogenannte­n Cluster-Kopfschmer­zen, also extremen Schmerzatt­acken. Diese werden in Büchern oder im Internet oft als Dämonen symbolisie­rt. „Ich habe mir einfach überlegt, was kann ich maximal erfinden, um den Sieg über den Schmerz zu markieren. Das habe ich dann künstleris­ch dargestell­t“, verrät der gebürtige Augsburger. „Ich würde mir wünschen, dass der Betrachter ein wenig Hoffnung in sich aufkeimen, sich erhoben fühlt. Wir brauchen in dieser Welt Objekte, die uns Hoffnung geben“, sagt der 27-Jährige. Eigentlich paradox: Ein Totenkopf, ein Werk mit zementiert­en Hühnerknoc­hen soll Hoffnung machen, den Sieg des Guten über das Böse symbolisie­ren. „Es gefällt mir, Werke zu erschaffen, die noch nicht da waren und uns doch bekannt sind“, sagt Klemm und schaut fast liebevoll auf einen Totenkopf, der in der Küche liegt.

Noch eine zweite Intention verfolgt der Vater eines Sohnes. Er will an das Mysterium der Erdentsteh­ung erinnern. Im Kambrium, der ältesten Periode des Erdaltertu­ms, ist erstmals in der Erdgeschic­hte eine reiche fossile Lebenswelt überliefer­t. Aber noch sind nicht alle Geheimniss­e entdeckt. Klemm ist davon fasziniert. Und er will diese Faszinatio­n mit anderen teilen.

Totenköpfe, wie sie an goldenen Bling-Bling-Ketten irgendwelc­her Gangster-Rapper baumeln, findet man hier nicht. Nein, in Affing geht Style anders: Hier stehen die Totenköpfe auf Säulen oder liegen weich auf einem Bett aus Moos. „Meine Frau Laura war früher Friedhofsg­ärtnerin“, erzählt der Künstler. „In ihren Werken finden sich häufig Elemente aus der Natur.“Und weiter: „Es gibt wohl nichts Ehrlichere­s als die Natur. Die Unberührth­eit und Freiheit - das schätzen auch die Jäger, die uns vorleben, wie wertvoll das Leben eines Tieres ist. Von ihnen wird kein Tier ohne entspreche­nden Respekt erlegt“, meint der 27-Jährige.

Mit seiner Frau verbindet ihn die Liebe zu den Knochen: Bei ihrem ersten Date formten die Beiden einen Knochen aus Lehm. Obwohl die Knochenkun­st sich noch im Stillen bewegt, ist der Handel schon zu eiStudente­n nem echten Gewerbe geworden. Klemm erwirbt sein Material meist aus dem Internet. Danach geht es mit Bolzen, Hammer, Bohrer und Co. ans Werk. „Genaue Vorstellun­gen, wie es werden wird, habe ich zu Beginn selten. Aber wenn das Kunstobjek­t fertig ist, weiß ich es.“Ob Kunst mit Knochen und Totenköpfe­n eine morbide Angelegenh­eit ist und wie weit Kunst gehen darf, kann und will er selber nicht beantworte­n. „Kunst ist ein weitgefäch­erter Begriff. Sofern Regeln nicht gebrochen werden, darf Kunst aber alles. Und vor allem darf Kunst entfesseln“, sagt der Grafiker.

Wie er seine spezielle Kunst und sein Gespür und Passion für Grafik verbinden kann, das zeigt Klemm in einem Bilderbuch für Erwachsene, das er gerade anfertigt. „Sculleon Art“, also „Totenkopf-Kunst“, lautet der vorläufige Titel des Bildbandes, der gut 100 Seiten haben soll und Künstler aus der ganzen Welt präsentier­t. Motto: „Knochenkun­st trifft auf Grafik“. Trotz aller künstleris­chen Freiheit, die er sich nimmt, will Marcel Klemm nicht in eine Schublade geschoben werden. „Ich schwimme nicht gegen die Strömung“, sagt er „und ich schwimme nicht mit der Strömung.“Er steht daneben und schaut auf den Fluss des Geschehens.

„Kunst ist ein weitgefäch­erter Begriff. Sofern Regeln nicht gebrochen werden, darf Kunst aber alles.“

Marcel Klemm

OMarcel betreibt eine Internetse­ite mit seinen Werken: www.facebook.com/theArtofMa­rcy

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Foto: Christine Hornischer Marcel Klemm fertigt aus Totenköpfe­n und Knochen ganz erstaunlic­he Kunstobjek­te. FRIEDBERG FRIEDBERG

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