Für ihn ist Kunst Knochenarbeit
Der Affinger Grafiker Marcel Klemm fertigt aus Totenköpfen und Gebeinen Werke der ganz besonderen Art
Affing In so mancher großelterlichen Stube hängen sie noch: Hirschgeweihe und Widderhörner. Einst galten die Jagdtrophäen als begehrte Sammlerstücke und Symbole für Heimat und Brauchtum, heute finden sie als Kunstobjekte wieder Einzug in die vier Wände. Sie sind wieder „Jagdtrophäen“, allerdings sehr viel komplexer als noch zu großelterlicher Zeit. Der Künstler, der seine Objekte „Knochenkunst“und gleichzeitig „Jagdtrophäen“nennt, versteckt sich in Affing im – Nomen est Omen – Friedhofsweg. Totenköpfe grinsen dort aus einem Bett aus Moos. Braune, schwarze und goldene Leinwände mit einzementierten Hühnerknochen lassen die Werke aussehen wie prähistorische Dinosaurier. Das Gros der Werke zeigt eine dreidimensionale Wirbelsäule, deren Knochen in Zement gegossen oder mit Leim übergossen sind.
Von klein auf war Marcel Klemm an Kunst interessiert, eine Leidenschaft, die er bereits im Alter von acht Jahren im Augsburger Zoo unter Beweis stellte. „Ich war mit meinem Opa im Zoo und bestaunte Studenten, die die Tiere nachzeichneten.“Fast logisch, dass er am nächsten Tag, bewaffnet mit Schreibblock und Stiften, wiederkam und es den nachtat. Seine Eltern wollten seinen Eifer unterstützen und schickten ihn auf Rose Maier Haids Kunstschule in Friedberg. Danach absolvierte er eine Grafikerausbildung, die seiner Begabung das I-Tüpfelchen aufsetzte. Der Beginn seiner Knochenkunst, die ja etwas bizarr anmutet, hat jedoch einen sehr ernsten Hintergrund: Marcel Klemm, 27, leidet seit acht Jahren an sogenannten Cluster-Kopfschmerzen, also extremen Schmerzattacken. Diese werden in Büchern oder im Internet oft als Dämonen symbolisiert. „Ich habe mir einfach überlegt, was kann ich maximal erfinden, um den Sieg über den Schmerz zu markieren. Das habe ich dann künstlerisch dargestellt“, verrät der gebürtige Augsburger. „Ich würde mir wünschen, dass der Betrachter ein wenig Hoffnung in sich aufkeimen, sich erhoben fühlt. Wir brauchen in dieser Welt Objekte, die uns Hoffnung geben“, sagt der 27-Jährige. Eigentlich paradox: Ein Totenkopf, ein Werk mit zementierten Hühnerknochen soll Hoffnung machen, den Sieg des Guten über das Böse symbolisieren. „Es gefällt mir, Werke zu erschaffen, die noch nicht da waren und uns doch bekannt sind“, sagt Klemm und schaut fast liebevoll auf einen Totenkopf, der in der Küche liegt.
Noch eine zweite Intention verfolgt der Vater eines Sohnes. Er will an das Mysterium der Erdentstehung erinnern. Im Kambrium, der ältesten Periode des Erdaltertums, ist erstmals in der Erdgeschichte eine reiche fossile Lebenswelt überliefert. Aber noch sind nicht alle Geheimnisse entdeckt. Klemm ist davon fasziniert. Und er will diese Faszination mit anderen teilen.
Totenköpfe, wie sie an goldenen Bling-Bling-Ketten irgendwelcher Gangster-Rapper baumeln, findet man hier nicht. Nein, in Affing geht Style anders: Hier stehen die Totenköpfe auf Säulen oder liegen weich auf einem Bett aus Moos. „Meine Frau Laura war früher Friedhofsgärtnerin“, erzählt der Künstler. „In ihren Werken finden sich häufig Elemente aus der Natur.“Und weiter: „Es gibt wohl nichts Ehrlicheres als die Natur. Die Unberührtheit und Freiheit - das schätzen auch die Jäger, die uns vorleben, wie wertvoll das Leben eines Tieres ist. Von ihnen wird kein Tier ohne entsprechenden Respekt erlegt“, meint der 27-Jährige.
Mit seiner Frau verbindet ihn die Liebe zu den Knochen: Bei ihrem ersten Date formten die Beiden einen Knochen aus Lehm. Obwohl die Knochenkunst sich noch im Stillen bewegt, ist der Handel schon zu eiStudenten nem echten Gewerbe geworden. Klemm erwirbt sein Material meist aus dem Internet. Danach geht es mit Bolzen, Hammer, Bohrer und Co. ans Werk. „Genaue Vorstellungen, wie es werden wird, habe ich zu Beginn selten. Aber wenn das Kunstobjekt fertig ist, weiß ich es.“Ob Kunst mit Knochen und Totenköpfen eine morbide Angelegenheit ist und wie weit Kunst gehen darf, kann und will er selber nicht beantworten. „Kunst ist ein weitgefächerter Begriff. Sofern Regeln nicht gebrochen werden, darf Kunst aber alles. Und vor allem darf Kunst entfesseln“, sagt der Grafiker.
Wie er seine spezielle Kunst und sein Gespür und Passion für Grafik verbinden kann, das zeigt Klemm in einem Bilderbuch für Erwachsene, das er gerade anfertigt. „Sculleon Art“, also „Totenkopf-Kunst“, lautet der vorläufige Titel des Bildbandes, der gut 100 Seiten haben soll und Künstler aus der ganzen Welt präsentiert. Motto: „Knochenkunst trifft auf Grafik“. Trotz aller künstlerischen Freiheit, die er sich nimmt, will Marcel Klemm nicht in eine Schublade geschoben werden. „Ich schwimme nicht gegen die Strömung“, sagt er „und ich schwimme nicht mit der Strömung.“Er steht daneben und schaut auf den Fluss des Geschehens.
„Kunst ist ein weitgefächerter Begriff. Sofern Regeln nicht gebrochen werden, darf Kunst aber alles.“
Marcel Klemm
OMarcel betreibt eine Internetseite mit seinen Werken: www.facebook.com/theArtofMarcy