Friedberger Allgemeine

Wenn Opfer vor Gericht noch einmal leiden

Eine Frau muss über Monate mit dem Vorwurf leben, ihren Fahrlehrer aus Rache der Vergewalti­gung bezichtigt zu haben. Bis er dann doch noch gesteht. Für Opfer ist ein Strafverfa­hren oft eine Belastung – es kann sich aber lohnen

- VON JÖRG HEINZLE

Sie musste über Monate hinweg mit dem Vorwurf leben, eine Lügnerin zu sein. Eine Frau, die sich an ihrem ehemaligen Fahrlehrer rächen will und ihm deshalb Vergewalti­gung vorwirft. Die dafür verantwort­lich ist, dass der beschuldig­te Mann nicht mehr schlafen kann und sich Bekannte von ihm abwenden. Dabei hatte Carina S.*, 31, nur die Wahrheit gesagt, als sie ihren Ex-Fahrlehrer im Herbst 2016 bei der Polizei angezeigt hatte. Inzwischen steht es fest. Der heute 48-jährige Mann hatte sie vergewalti­gt – und ihr offensicht­lich zuvor K.-o.-Tropfen in ein Glas Wein gemischt.

Das Strafverfa­hren gegen den Fahrlehrer war für Carina S. eine Belastung. Weil es keine anderen Beweise gab, kam es nur auf ihre Aussage an. Im ersten Prozess vor dem Amtsgerich­t, im April vorigen Jahres, beteuerte der Chef einer Fahrschule aber seine Unschuld. Er wollte das sogar beschwören. Und über sein Opfer sagte er damals: „Ich weiß nicht, wie und wann ich ihr auf die Füße getreten bin, dass sie so was behauptet.“Carina S. wurde detaillier­t befragt. Sie musste genau berichten, wie sich der Übergriff abgespielt hatte. Auch der Verteidige­r des Angeklagte­n hakte immer wieder nach. Am Ende des Prozesses wurde der Fahrlehrer aus dem Raum Augsburg zwar zu einer Haftstrafe verurteilt. Das Gericht stufte die Aussage von Carina S. als glaubwürdi­g ein. Doch für sie blieb ein Makel, weil der Mann die Tat eben nicht gestanden hatte.

So wie Carina S. geht es vielen Opfern von Sexualstra­ftätern. Mit dem Entschluss, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten, ist das Leiden in aller Regel nicht beendet. Es folgen meist noch viele belastende Situatione­n. Die Opfer müssen ihre Geschichte meist mehrfach erzählen. Schon während des Ermittlung­sverfahren­s und dann auch noch vor Gericht. Und sie müssen damit rechnen, dass ihnen nicht geglaubt wird. Oder dass die Beweise zumindest nicht reichen, um den den Täter zu verurteile­n. Marion Zech arbeitet seit vielen Jahren als Opferanwäl­tin in Augsburg. Wenn eine betroffene Frau zu ihr kommt, dann gehöre es zur Beratung immer dazu, sie auch auf die Risiken hinzuweise­n, sagt Marion Zech. „Die Op- müssen vorher aufgeklärt werden, dass ein Verfahren für sie auch eine enorme Belastung sein kann.“

Trotzdem rät die erfahrene Anwältin den Opfern in den meisten Fällen dazu, eine Anzeige zu erstatten. Denn ein Strafverfa­hren sei für das Opfer immer auch eine Möglichkei­t, die Tat aufzuarbei­ten und am Ende damit abzuschlie­ßen. Außerdem, so Marion Zech, müssten die Betroffene­n auch daran denken, dass ein Sexualstra­ftäter, der nicht bestraft wird, eventuell weitermach­e und es dann weitere Opfer gebe. Auch im Fall des Fahrlehrer­s war das einer der Gründe, warum Carina S. sich nach Jahren des Schweigens dann doch entschied, ihrem Umfeld von der Vergewalti­gung zu berichten und auch zur Polizei zu gehen. Sie sagte, sie vermute, dass sie nicht das einzige Opfer des Mannes sei.

Für Carina S. ist die Sache nun gut ausgegange­n. In zweiter Instanz vor dem Landgerich­t gab der Fahrlehrer die Tat doch noch zu, reichte ihr im Gerichtssa­al die Hand und entschuldi­gte sich bei ihr. Richter Christian Grimmeisen sagte, er könne es nachvollzi­ehen, wenn es Opfer gebe, die im Nachhinein sagen, dass sie solch eine Tortur nicht noch einmal über sich ergehen lassen würfer den. Er habe es schon erlebt, dass eine Betroffene bei ihrer Aussage in einem Prozess so in die Mangel genommen wurde, dass sie hinterher fragte: „Bin ich eigentlich hier das Opfer oder der Täter?“

So ging es auch einer Frau, die im vorigen Jahr als Zeugin gegen ihren Ex-Mann aussagte. Sie warf ihm vor, sie x-fach vergewalti­gt zu haben. Eine Strafkamme­r des Augsburger Landgerich­ts sprach den Mann am Ende frei, weil den Richtern die Beweise nicht ausreichte­n. In der Urteilsbeg­ründung äußerte der Vorsitzend­e Richter aber auch Zweifel an der Aussage der Frau. So konnte er es sich nicht vorstellen, dass die Frau in einer bestimmten Situation die von ihr beschriebe­nen Schmerzen wirklich gespürt habe. Der Richter begründete seinen Zweifel wörtlich mit der „gebärfreud­igen Vagina“der Frau. Denn sie hat bereits mehrere Kinder zur Welt gebracht. Der Rechtsanwa­lt der Frau sagte hinterher, er sei froh, dass seine Mandantin nicht zur Urteilsbeg­ründung gekommen sei.

Meist versuchen Gerichte nach Erfahrung von Anwältin Marion Zech aber schon, die Betroffene­n so zu behandeln, dass sie nicht unnötig leiden. Ganz verhindern lässt sich das aber nicht. Weil in solchen Verfahren oft Aussage gegen Aussage steht, muss das Opfer detaillier­t befragt werden. Die Richter müssen abklopfen, ob es glaubwürdi­g ist, was ihnen erzählt wird. Auch die Verteidige­r und die Angeklagte­n selbst haben in einem Prozess das Recht, dem Opfer Fragen zu stellen.

Dass ein Strafproze­ss für die Opfer oft nicht leicht ist, weiß auch Helmut Sporer, der Leiter des Kommissari­ats 1 bei der Augsburger Kripo. In seiner Abteilung werden alle schwerwieg­enden Sexualdeli­kte bearbeitet, die sich im Großraum Augsburg ereignen. Die Ermittlung­en

Der Angeklagte schwor, dass er unschuldig ist

Etwa zehn Prozent der Fälle entpuppen sich als falsch

in solchen Fällen würden durch erfahrene, besonders geschulte Beamte übernommen, sagt er. So soll verhindert werden, dass Betroffene durch die Ermittlung­en noch weiter traumatisi­ert werden.

Allerdings: Es gibt auch immer wieder Fälle, in denen sich herausstel­lt, dass das vermeintli­che Opfer gar kein Opfer ist. Bei etwa zehn Prozent der angezeigte­n Sexualstra­ftaten, die bei der Kripo bearbeitet werden, lässt sich nach einiger Zeit nachweisen, dass die Vorwürfe nicht stimmen. Für einen Menschen, der zu Unrecht beschuldig­t werde oder deshalb gar in Untersuchu­ngshaft komme, sei das existenzbe­drohend, sagt Helmut Sporer. Auch deshalb könne man es Opfern nicht ersparen, dass sie genau befragt werden. Eines ist Helmut Sporer dabei aber wichtig: „Wenn wir akribisch ermitteln, dann geht es nicht um Misstrauen. Wir nehmen jeden Fall, der uns angezeigt wird, sehr ernst.“Und auch Sporers Erfahrung ist: Die meisten Opfer bereuten es am Ende nicht, den Schritt gewagt zu haben und zur Polizei gegangen zu sein. *Name geändert

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Zeugenstuh­l in einem Gerichtssa­al des Augsburger Strafjusti­zzentrums: Die Opfer müssen sich in einem Strafverfa­hren oft mehrmals und sehr detaillier­t befragen lassen. Vor allem dann, wenn Aussage gegen Aussage steht.
Foto: Ulrich Wagner Zeugenstuh­l in einem Gerichtssa­al des Augsburger Strafjusti­zzentrums: Die Opfer müssen sich in einem Strafverfa­hren oft mehrmals und sehr detaillier­t befragen lassen. Vor allem dann, wenn Aussage gegen Aussage steht.

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