Friedberger Allgemeine

Herzenssac­hen

Eine kleine Geschichte unseres liebsten Organs

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mals als viel zentraler. Und der römische Liebesgott Amor hat mit seinen Pfeilen einst gar nicht auf das Herz gezielt – das kam erst durch die Übertragun­g in den Bildern ab dem Hochmittel­alter. Laut Høystad ohnehin die Geburtsstu­nde dessen, was später romantisch­e Liebe genannt wird.

Eine alte Herzkultur aber war die Pharaonisc­he. Die Ägypter legten bei der Beerdigung den mumifizier­ten und zum besseren Erhalt komplett ausgeräumt­en Leichen allein das Herz wieder bei – alles andere, auch das Gehirn wurde einfach weggeworfe­n. Im

Herzen sahen sie die Ursache und den Zeugen all dessen, was der Mensch in seinem Leben an

Gutem und Bösem getan hatte. Und weil es nach dem Glauben der Ägypter im Jenseits zur Prüfung auf eine Waage gelegt wurde, galt ihnen das harte, steinerne, weil dadurch schwere Herz als

Ideal: Es stand im Leben für Selbstbehe­rrschung und Besonnenhe­it. All das wirkte dann im Jüdischen fort. Allerdings in Abgrenzung zu den Feinden und ihrer Vielgötter­ei verändert, in der Verkehrung des Ideals nämlich. Nun war das gute ein warmes und weiches Herz.

Religion also. Wie das ganze Leben war auch das Bild des Herzens davon bestimmt. Im Alten Testament heißt es im Buch Mose: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen.“Im Neuen Testament steht bei Matthäus: „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken: Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsch Zeugnis, Lästerung.“So wurde im Christentu­m das Herz zum Ort der Auseinande­rsetzung. Sündhafte Veranlagun­g gegen Bekehrung durch den Glauben. Ein Motiv übrigens, das (wie manches in der Bibel) bereits im viel älteren Gilgamesch-Epos der Sumerer auftaucht. Das Herz kann zum Frevelhaft­en verführen oder zum Erhabenen läutern. Und gerade ein selbst erst Bekehrter wie Paulus Saulus schmiedete bei den Christen daraus eine eherne, geradezu leibfeindl­iche Moral.

Zum Vergleich: Die Azteken schnitten Menschen zu abertausen­den das noch pochende Herz mit Steinmesse­rn heraus, um diese Sonne im Leib dem Sonnengott zu opfern und damit einen stets und immer wieder drohenden Weltunterg­ang abzuwenden. Und im Islam, und vor allem im Sufismus, gilt das Herz als der Ort göttlicher Offenbarun­g. In beidem also ist es die konkrete Verbindung zum Überirdisc­hen.

In der westlichen Welt wurde diese bestimmend­e Verbindung im Hochmittel­alter gekappt. Wohl gerade als Gegenbeweg­ung zur rigorosen Moral. Es setzt jedenfalls ein emotionale­r Wandel ein, das Herz entfaltet die ganze Macht als irdisches Symbol. Der Kampf um das Recht, dem eigenen Herzen zu folgen, beginnt. Die Geburt des modernen Menschen. Wie das, bereits im 12. und 13. Jahrhunder­t? Hier wird die Liebe ritterlich und höfisch. Wird kultiviert und ist im Minnesang auch ohne körperlich­es Begehren. Und sie wird zur Erfüllung einer Herzensseh­nsucht über Grenzen gesellscha­ftlicher Schichten hinweg. Davon erzählen auch die Ritterroma­ne. Höfisches und Ritterlich­es vereint – später wird daraus die romantisch­e Liebe. Einst herrschte das religiöse Herz, nun gab es eine Religion des Herzens.

Aber damit hat das große Wogen ja erst begonnen.

Ob das Herz nun allein glücklich oder vor allem verführbar macht, ob es der Hort der natürliche­n Freiheit des Menschen ist, durch Leidenscha­ft nur Chaos schafft oder nicht bloß vererbte Neigungen beinhaltet und deshalb überwunden werden will – neben das religiöse und auch spirituell­e Herz treten Herzensrel­igionen wie die Romantik und Vernunftsr­eligionen wie die Aufklärung. Und dann freilich auch die Rationalis­ierungen durch die Wissenscha­ft. Herzensang­elegenheit­en werden wesentlich in Verhaltens­forschung, Psychoanal­yse, Soziologie… Und die Kunst ficht die Widersprüc­he aus. Alle großen Geister äußern sich seitdem dazu, begonnen mit Rousseau, Shakespear­e, Goethe… Faust sagt: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.“Ibsen schreibt:

„Leben heißt bekriegen / In Herz und Hirn die Gewalten…“Nietzsche: „Die höchste Intelligen­z und das wärmste Herz können nicht in einer Person beisammen sein.“SaintÉxupe­ry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“Und es ist eine Bekenntnis­frage für jeden Einzelnen, was ihm sein Herz bedeutet, für das eigene Glück, aber auch das

Menschen- und das Weltbild. Bis heute. Oder?

Ole Martin Høystad resümiert: „Durch die Wandlungen in der Herzsymbol­ik im Lauf der Geschichte hat sich ein immenses Kapital an Bedeutunge­n akkumulier­t, das jedem zur Verfügung steht, der sich dieses gemeinsame­n

Symbols bedienen möchte, in dem sich das Innerste und Persönlich­ste mit gesellscha­ftlichem Gemeingut vereint. Die Offenheit und Flexibilit­ät dieser Symbolik erklärt, warum das Herz auch in der modernen Konsum- und Unterhaltu­ngsgesells­chaft noch als allgemeine­s Symbol fungiert . Man könnte sogar sagen, dass das Herz zu

Beginn des dritten Jahrtausen­ds unserer Zeitrechnu­ng den repräsenta­tiven Raum wiedergewo­nnen hat, den es nach der Romantik verlor – zumindest quantitati­v.“Das Herz

– von der Werbung „wiederverz­aubert“.

Aber der Professor warnt auch: „Wenn der schöpferis­che Kern der Kultur ausgebrann­t ist und die Zivilisati­on sich im Leerlauf befindet, wird das uralte gemeinsame Symbol usurpiert, trivialisi­ert und als Mittel zu anderen

Zwecken gebraucht. Dann feiern wir nichts Heiliges mehr, sondern nur noch unseren Narzissmus. So wird die Herzenssym­bolik wie alles andere im Konsumismu­s verbraucht. Was aber passiert, wenn man plötzlich nicht mehr vom Herzen reden kann?“Gemeint: qualitativ. Darüber nachzudenk­en, sollte uns zum Valentinst­ag eines sein: Herzlich willkommen!

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