R. Kelly zum Schweigen zwingen
Der US-amerikanische Sänger soll Minderjährige sexuell ausgebeutet haben. Jetzt ist ein Konzert in Neu-Ulm geplant. Zwei Frauen wollen das unbedingt verhindern
Berlin Sie möchten R. Kelly stummschalten. Den Sänger zum Schweigen zwingen, gegen den Frauen, teilweise Mädchen, so schwere Vorwürfe erheben. Deshalb haben die beiden Berlinerinnen Gizem Adiyaman und Lucia Luciano eine Petition im Internet gestartet. „Sexualverbrechen keine Bühne geben“, heißt sie. „Wir fordern, die Konzerte von R. Kelly in Deutschland abzusagen“, erklären die Initiatorinnen. Innerhalb von zwei Wochen haben mehr als 41000 Menschen ihre Forderung unterschrieben.
Der einstige R&B-Superstar wird seit mittlerweile zwei Jahrzehnten regelmäßig mit Kinderpornografie und Missbrauch in Verbindung gebracht. Nach einer TV-Dokumentation, die kürzlich in den USA lief, werden die Vorwürfe gegen ihn immer konkreter. Zahlreiche Frauen erzählen, wie er sie – teilweise noch als Teenager – missbraucht und als Sexsklavinnen in seiner Villa eingesperrt habe.
Für Gizem Adiyaman und Lucia Luciano ist es eine unerträgliche Vorstellung, dass R. Kelly in Deutschland auftreten könnte, als wäre nichts. Zwei Konzerte sind im April geplant – eins in Hamburg, eins in Neu-Ulm. Die dortige Ratiopharm-Arena lässt Kelly auftreten, nachdem sein Konzert im Süden erst von Ludwigsburg nach Sindelfingen verlegt und letztlich ganz abgesagt wurde – unter dem Druck der zehntausenden Menschen, die auf der Plattform change.org dagegen unterschrieben hatten. Die Verantwortlichen in Neu-Ulm begründen ihre Zusage mit der Unschuldsvermutung. Das ist juristisch vollkommen korrekt. R. Kelly wurde noch nie verurteilt.
Für die beiden Berlinerinnen, die unter dem Namen Hoe_mies selbst Hip-Hop-Konzerte und Partys veranstalten, ist das ein Vorwand der Hallenbetreiber. Es sei letzten Endes der Arena überlassen, ob sie das Konzert veranstalten wolle. Aber „indem die Zusage bequem mit der Unschuldsvermutung begründet wird, zieht sich die Arena aus der Verantwortung, sich ein eigenes Bild vom Geschehen zu machen“. Die Tatsache, dass R. Kelly bisher noch nicht verurteilt wurde, sei kein Beleg für seine Unschuld. Mit der Petition wollen Adiyaman und Luciano zeigen, „dass wir den zahlreichen jungen schwarzen Frauen, die von R. Kelly missbraucht worden sein sollen, glauben und ihre Aussagen ernst nehmen“.
In den USA spielt Kelly nach seinen Skandalen kaum noch Shows, der Bundesstaat Philadelphia hat sogar ein Gesetz verabschiedet, wonach Veranstalter ihn nicht mehr buchen sollen. In Deutschland hat der 52-Jährige weiter seine Fans. Für das Konzert in Neu-Ulm waren Ende vergangener Woche 2500 Karten vergriffen. Auf Facebook feierten Fans es als Sensation, dass ein Superstar, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere die größten Hallen füllte, in die Kleinstadt NeuUlm kommt. Darf man R. Kelly als Künstler noch gut finden?
„Was man privat feiert, entscheidet man immer noch selbst“, sagen die Berliner Aktivistinnen. „Wir sollten aber im Hinterkopf haben, dass das Werk eines Künstlers auch immer ein Spiegel seiner Persönlichkeit und Taten ist.“R. Kelly singt oft über Liebe, manchmal über Sex. Nun wird ihm vorgeworfen, eine Vorliebe für Minderjährige zu haben, sie zu erniedrigenden Handlungen gezwungen zu haben. Die beiden Frauen finden das „verstörend“. Sie haben eine klare Meinung: Wer Tickets für R. Kelly kauft, unterstützt seine vermeintlichen Machenschaften – wenn auch vielleicht nicht absichtlich.
Bei nahezu jedem Künstler sind in Zeiten von Streamingdiensten und abnehmenden Albumverkäufen Konzerte eine der wichtigsten Einnahmequellen. „Indem wir einen Künstler wie R. Kelly unhinterfragt bereichern, befähigen wir ihn dazu, ungehindert sein Leben weiterzuleben.“In der Vergangenheit hatte der Sänger aus Chicago sich mit mehreren vermeintlichen Opfern außergerichtlich geeinigt – zum Beispiel vor zehn Jahren, als er verdächtigt wurde, ein kinderpornografisches Video angefertigt zu haben. Das mutmaßliche Opfer wollte plötzlich nicht mehr aussagen. Kelly habe seine Millionen zur Bestechung genutzt, mutmaßen Kritiker bis heute.
Gizem Adiyaman und Lucia Luciano sind zuversichtlich, dass R. Kelly in Deutschland keine Bühne bekommt. Sie werten es als Erfolg, dass das Konzert in Süddeutschland schon zweimal in eine andere Stadt verlegt wurde. International wurden nach Protesten zehntausender Online-Nutzer schon elf Konzerte ganz abgesagt, Australiens Politiker deuteten gar ein Einreiseverbot für den Künstler an. In Deutschland vermissen die Aktivistinnen das. Deshalb wollen sie weiter protestieren – und die Stimme zehntausender R.-Kelly-Gegner sein.