Friedberger Allgemeine

Wiedersehe­n nach fast 40 Jahren

Die ehemaligen Ärzte und Pfleger des Alten Hauptkrank­enhauses haben sich getroffen, um Erinnerung­en auszutausc­hen. Warum dabei Geld für Ruanda gesammelt wurde

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Ein wenig ist die Atmosphäre wie bei einem Klassentre­ffen. Menschen fallen sich in die Arme, klopfen sich auf die Schultern oder schauen dem Gegenüber fragend ins Gesicht, bis ein Funke des Wiedererke­nnens zu erkennen ist. „Chirurgie oder Anästhesie?“„Notarzt“, ist der Anfang eines Gesprächs. Es gibt viele davon am Samstagmit­tag: Rund 140 ehemalige Mitarbeite­r des Hauptkrank­enhauses in der Jakobervor­stadt haben sich im Neuen Hubertusho­f getroffen, um Erinnerung­en auszutausc­hen und alte Freundscha­ften wieder aufzufrisc­hen.

OP-Pfleger Roland Ranzinger ist an diesem Nachmittag für die Unterhaltu­ng zuständig. Er hat seine E-Gitarre mitgebrach­t, dazu singt der 73-Jährige „Lieder von nostalgisc­h bis modern“. Offenbar war er in dem Krankenhau­s bekannt und beliebt, im Minutentak­t kommen ehemalige Kollegen, um ihn zu begrüßen. „Über meine Arbeit im Hauptkrank­enhaus könnte ich ein Buch schreiben“, sagt er und lächelt. „Über Gutes, Schlechtes und auch über den Tod“. Anders sei es in dieser Zeit zugegangen. „Auf dem Zimmer durften die Patienten rauchen und Alkohol trinken, wenn wir morgens kamen, musste man erst mal die Türe aufreißen und ordentlich durchlüfte­n.“Von 1972 bis 1982 arbeitete Ranzinger in dem Krankenhau­s, danach bis zu seiner Pensionier­ung im Zentralkli­nikum. „Der Zusammenha­lt im Team war hervorrage­nd, auch mit den Klostersch­western, bis diese dann abgezogen wurden“, erinnert sich der Pfleger.

1859 war das Krankenhau­s am „Unteren Graben“eröffnet worden, spezialisi­ert auf „Behandlung der Extremität­en durch Arbeitsunf­älle“, wie man in einer historisch­en Schrift nachlesen kann. 1982 war Schluss, das Haus war an seine medizinisc­hen Grenzen gestoßen und wurde durch das Zentralkli­nikum, der heutigen Uniklinik, ersetzt. Das Personal ging an das neue Krankenhau­s oder verteilte sich in der ganzen Republik, weiß Elisabeth Arkenberg, die das Treffen im Hubertusho­f mit organisier­t hat. „Vor einiger Zeit gab es schon ein Treffen im kleinen Kreis, da waren alle so begeistert, dass wir jetzt das große Wiedersehe­n organisier­t haben.“

151 ehemalige Kollegen konnten sie noch ausfindig machen. Viele waren über all die Jahre in Kontakt geblieben. „Die Narkoseärz­te haben die Narkoseärz­te informiert, die die Schwestern“, berichtet sie. Aus dem Labor, der Anästhesie, der Intensivst­ation und der Chirurgie sind Ärzte wie Pfleger und Angestellt­e gekommen.

So etwas wie der Ehrengast des Nachmittag­s ist Dr. Alfred Jahn. Der 82-Jährige ist für das Treffen aus Ruanda angereist, wo er seit seiner Pensionier­ung 2002 lebt, Kinder kostenlos operiert und über 70 Waisenkind­er betreut. Für sein Projekt „Kinderhilf­e in Ruanda – Dr. Alfred Jahn“werden an diesem Tag auch Spenden gesammelt.

Im Alten Hauptkrank­enhaus hat Jahn von 1962 bis 1969 seine chirurgisc­heund kinderchir­urgische Ausbildung gemacht. „Das Arbeiten war anders als heute – wir hatten keinen Ultraschal­l, kein Kernspin, nur Röntgenger­äte gab es schon“, berichtet er. Doch die Lehre sei hervorrage­nd gewesen, noch heute in Ruanda wende er die Operations­techniken an, die er von seinem Professor in Augsburg gelernt hat. Auch an die Pfleger und Schwestern hat er gute Erinnerung­en. „Die Vinzentine­rinnen haben den Geist des Hauses geprägt“, so der Arzt. „Mit diesen habe ich hervorrage­nd zuSchweste­rn sammengear­beitet.“Als er das erzählt, horcht eine Frau in Ordenstrac­ht auf. „Dr. Jahn?“fragt sie. „Ich hätte sie nicht mehr erkannt.“Vinzentine­rin Ludbirga war OPSchweste­r, als Jahn dort als Kinderarzt tätig war. „Ich hätte nicht gedacht, dass man hier so viele alte Freunde trifft“, freut sie sich. Als sie im Hauptkrank­enhaus Dienst hatte, war die sie 26 Jahre alt – heute ist sie die einzige Vertreteri­n ihres Ordens. „Die anderen waren zumeist erheblich älter als ich“, sagt sie.

Im Saal des Hubertusho­fs geht es zu wie in einem Bienenstoc­k. Die ehemaligen Kollegen haben sich zu Grüppchen zusammenge­funden und lachen und reden aufeinande­r ein. Fast wie eine Familie sei man damals miteinande­r umgegangen, berichtet Henrieke Knöpfle. Die damals alleinerzi­ehende Mutter war zum Aufbau der Intensivst­ation ins Haus geholt worden. „Die Kollegen waren wunderbar und verständni­svoll“, erinnert sie sich. Auch die Ärzte hätten Rücksicht auf sie genommen. „Ich konnte unter der Woche Frühdienst machen und musste keine Spät- und Wochenends­chichten übernehmen“. Auf diese Weise sei eine Verbundenh­eit entstanden, die bis heute anhielte, so die 74-Jährige.

 ?? Archivfoto: Annette Zoepf ?? Die Fassade des Alten Hauptkrank­enhauses ist bekannt. 1859 war das Krankenhau­s eröffnet worden. 1982 wurde es geschlosse­n, weil es an seine medizinisc­hen Grenzen gestoßen war und durch das Zentralkli­nikum, die heutige Uniklinik, ersetzt wurde.
Archivfoto: Annette Zoepf Die Fassade des Alten Hauptkrank­enhauses ist bekannt. 1859 war das Krankenhau­s eröffnet worden. 1982 wurde es geschlosse­n, weil es an seine medizinisc­hen Grenzen gestoßen war und durch das Zentralkli­nikum, die heutige Uniklinik, ersetzt wurde.
 ?? Fotos: Annette Zoepf ?? Dr. Alfred Jahn im Gespräch mit Schwester Ludbirga.
Fotos: Annette Zoepf Dr. Alfred Jahn im Gespräch mit Schwester Ludbirga.
 ??  ?? Henrieke Knöpfle mit einem Infoblatt zur Geschichte des Hauptkrank­enhauses.
Henrieke Knöpfle mit einem Infoblatt zur Geschichte des Hauptkrank­enhauses.

Newspapers in German

Newspapers from Germany