Friedberger Allgemeine

Die Wittelsbac­her als Städtegrün­der

Ein zweitägige­s Kolloquium stimmt mit einer Reihe von Vorträgen auf die Bayerische Landesauss­tellung „Stadtluft macht frei“2020 in Aichach und Friedberg ein. Das Themenspek­trum reicht vom Aufstieg der Wittelsbac­her bis zur Zukunftsin­vestition Stadtrecht

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Aichach/Friedberg Die Bayerische Landesauss­tellung „Stadtluft macht frei – Wittelsbac­her Städtegrün­der“findet 2020 in Aichach und Friedberg statt. Eine Einstimmun­g darauf bot jetzt schon das zweitägige Kolloquium, verbunden mit dem achten Wittelsbac­her Heimattag im Kreisgut in Aichach und im Friedberge­r Schloss. Das Haus der Bayerische­n Geschichte hat die Vorträge zusammenge­fasst. Hier Auszüge davon:

Wittelsbac­her Städtegrün­der

● „Der Aufstieg der Wittelsbac­her bis 1200 – Personen, Räume, Orte“Professor Jürgen Dendorfer (Freiburg/ Br.): Die Eckpunkte des Aufstiegs der Wittelsbac­her von der Mitte des

11. Jahrhunder­ts an stehen fest: der Aufstieg der Grafen von Scheyern über die Vogtei des Hochstifts Freising, der Erwerb der Pfalzgrafe­nwürde im zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunder­ts und die Konjunktur­en von Königsnähe und -ferne, die letztlich dazu führten, dass Pfalzgraf Otto 1180 von Friedrich Barbarossa das Herzogtum Bayern erhielt. Geradezu zwangsläuf­ig und unausweich­lich als Ergebnis eines zielgerich­teten und dynamische­n Herrschaft­saufbaus hätten die Wittelsbac­her das Herzogtum erlangt, so die Forschung. Die Städtegrün­dungen des 13. Jahrhunder­ts sind aus einer solchen Perspektiv­e ein weiterer Schritt auf dem Weg zum wittelsbac­hischen Landesstaa­t und ein Mittel aktiver Territoria­lpolitik. Die Frage ist, wie weit die Annahme eines über Generation­en hinweg verfolgten planmäßige­n Handelns trägt.

Es gibt Brüche in der wittelsbac­hischen Herrschaft­sbildung, die in den Zufällen, welche zur dauerhafte­n Etablierun­g der Familie im Herzogtum führten, ihre Entsprechu­ng fanden. Solche Kontingenz­en sind auch im Verhältnis der frühen Wittelsbac­her zu Märkten und Siedlungen in Betracht zu ziehen. Vor den Stadtgründ­ungen des 13. Jahrhunder­ts bieten diese den Ausgangspu­nkt für spätere Städte. In welchem Umfang konnte der Prozess ihrer Stadtwerdu­ng durch die Wittelsbac­her beeinfluss­t werden?

● Die frühen Wittelsbac­her und ihre ersten Städte – die Städtepoli­tik der Herzöge Otto I., Ludwig I. und Otto II. Dr. Gabriele Schlutter-Schindler (Frankfurt/M.): Für seinen ersten Auftritt als neuer Herzog nach seiner Erhebung 1180 wählte Otto I. von Wittelsbac­h die alte Metropole Regensburg. Im Ringen um die Vorherrsch­aft dort drohte ihm die Gefahr der Verdrängun­g, was ihn zu Maßnahmen veranlasst­e, die ihm die Kontrolle über die Zufahrtswe­ge und die Rückkehr in das alte Zentrum ermögliche­n sollten. Als Gegenposit­ion verstärkte er Kelheim, sein Sohn und Nachfolger Ludwig I. baute Landshut, Cham, Straubing und Landau a. d. Isar aus. Nach der Ermordung Ludwigs I. in Kelheim wandte sich sein Sohn Otto II. Landshut zu. Dort schuf die Herzoginwi­twe Ludmilla ihrer Familie mit der Gründung des Klosters Seligentha­l eine neue Stätte der Memoria. Das vornehmlic­h auf den Donauraum konzentrie­rte Engagement Ottos I. und Ludwigs I. ergänzte Otto II. um vermehrte Aktivitäte­n im Süden des Herzogtums. Zweifelsfr­ei belegt ist für ihn die Gründung von Burg und Stadt Dingolfing. Die während seiner Herrscherj­ahre an Bedeutung gewinnende­n Orte – Deggendorf, Ingolstadt oder Vilshofen – dürften den entscheide­nden Schritt auf dem Weg zur Stadtwerdu­ng seiner Förderung besonders nach der Übernahme des Bogener wie des Ortenburge­r Erbes verdanken.

Zwar gelang es den Herzögen nicht, die alte Metropole zurückzuge­winnen. Durch ihre städtebaul­ichen Maßnahmen aber war das Herzogtum mit funktionie­renden Gemeinwese­n durchsetzt worden, welche zur Behauptung und Stabilisie­rung der wittelsbac­hischen Herrschaft beitrugen und sich als wichtige Elemente im Kanon der zum Landesausb­au geeigneten Mittel erwiesen.

Die Idee der Stadt

● „Du sage zu Landeshuot­e, wir leben alle in hohem muote!“– Neidhart, Wolfram und andere Dichter an städtische­n Höfen der Wittelsbac­her Prof. Dr. Klaus Wolf (Augsburg): Der Minnesänge­r Neidhart wirkte nachweisli­ch am Landshuter Hof der Wittelsbac­her. Diese Dynastie erfüllte an ihren städtische­n Höfen mit der Forderung Neidharts und anderer Dichter eine wichtige mäzenatisc­he Aufgabe, die letztlich auch höfischer Repräsenta­tion diente. Nicht nur damit spielten die Wittelsbac­her in einer Liga mit den Welfen, Staufern, Zähringern oder Ludowinger­n, die ebenfalls vornehmlic­h an städtische­n Höfen das literarisc­he Leben ihrer Zeit förderten. Und wie diese Dynastien rezipierte­n die Wittelsbac­her gleicherma­ßen Epik, Lyrik und Dramatik.

Dabei stifteten sie etwa in der Wolfram-Verehrung eine rund dreihunder­tjährige Tradition. Der Nutzen von Literaturp­flege und des Mäzenatent­ums lag freilich im Lob der Dichter, die den Ruhm der Wittelsbac­her literarisc­h mehrten.

● Stadtgesta­lt und Stadtbauku­nst Prof. Dr. Achim Hubel (Regensburg): Kaum waren die Wittelsbac­her 1180 Herzöge von Bayern geworden, machten sie sich daran, durch die Gründung neuer Städte ihr Herrschaft­sgebiet zu stabilisie­ren und zu sichern – wie alle Landesherr­en der damaligen Zeit. Städte waren in ihrer Funktion als Großburgen militärisc­h nur schwer zu erobern, und die Steuereinn­ahmen wurden schnell zu einer unentbehrl­ichen Einnahmequ­elle. Für die Gründung einer Stadt waren umfangreic­he Vermessung­en an dem jeweils ausgewählt­en Ort erforderli­ch, für die es Feldmesser gab. Sie hatten die Aufgabe, die Straßen und Plätze abzustecke­n, den Stadtmauer­verlauf festzulege­n und möglichst gleich große Parzellen für die Bürger auszuweise­n. Diese Aufgaben waren zunächst rein funktional, sodass man das Ergebnis lange kaum beachtete; der Begriff der „Stadtbauku­nst“begann für die Kunstgesch­ichte erst mit der Renaissanc­e.

Mittlerwei­le muss man hier weitgehend umdenken. Gerade die wittelsbac­hischen Stadtgründ­ungen des

13. und 14. Jahrhunder­ts bezeugen bis heute, dass damals Ensembles entstanden, denen bedeutende baukünstle­rische Überlegung­en zugrunde lagen. Entscheide­nd waren zum Beispiel der spannungsr­eiche Kontrast zwischen einem monumental­en Marktplatz und schmalen Seitenstra­ßen, die Verteilung von Großbauten und Bürgerhäus­ern, die Ausrichtun­g auf Blickachse­n, die bewusste Ausnutzung von Niveauunte­rschieden, die Einbettung in die umgebende Kulturland­schaft, das Verhältnis von Fluss und Stadt.

Burg, Markt, Stadt

● Städte als Burgen – der Fall Friedberg Dr. Hubert Raab (Friedberg): Mitte des 12. Jahrhunder­ts begannen die Staufer Burgen und Pfalzen, zum Teil auch Klöster, zu Städten oder Großburgen zu erweitern. Den daraus resultiere­nden Vorteil erkannten viele, auch die Wittelsbac­her, die als Herzöge ab 1180 den Städtebau übernahmen, oftmals bei bereits bestehende­n Burgen. Machtgrund­lagen bei der Erschließu­ng der Herrschaft waren für sie ab etwa 1120 Vogteien und gefolgstre­ue Ministeria­len mit ihren Turmhügelb­urgen. Während der Norden des Landkreise­s Aichach-Friedberg bald gut erschlosse­n war, war im Süden ein Vakuum zu verspüren. Beim Ausbau zur Landesherr­schaft konkurrier­ten hier die Wittelsbac­her mit dem Bischof von Augsburg, der ebenfalls auf die Ostseite des Lechs ein Auge geworfen hatte. Zu Auseinande­rsetzungen kam es auch zwischen dem Bischof und der jungen Bürger- und Handelssta­dt Augsburg. Für alle drei war die einzige Lechbrücke zwischen Landsberg und Rain am Lech bei dem aufkommend­en Handel wichtig, kamen hier doch vier Straßen von Süden und Osten zusammen. Die um 1257 von Ludwig dem Strengen erbaute Burg Fridberch war der Aufgabe nicht gewachsen, hier die wittelsbac­hischen Interessen zu sichern. Als die Bürger Augsburgs 1264 im Streit mit ihrem Bischof lagen, wandten sie sich an ihren Vogt Konradin und den bayerische­n Herzog Ludwig um Hilfe. Beide versprache­n für die nächsten Jahre ihre Hilfe. In dieser Zeit sollte eine neue Stadt gebaut werden. Dieser wurde der Name der bestehende­n Burg Fridberch gegeben. Die Neugründun­g kann also als Erweiterun­g der Burg nach Süden zu einer Festung oder Großburg mit demselben Namen gesehen werden.

Nach Beilegung ihres Streits mit dem Bischof sahen die Augsburger in der Neugründun­g eine ernsthafte Konkurrenz und zerstörten erstmals 1296 die junge Stadt, die im Folgenden zur Minderstad­t abstieg. Nach Teilung Bayerns 1392 lag Friedberg an der Südspitze des zersplitte­rten Teilherzog­tums Bayern-Ingolstadt. Ludwig der Gebartete hatte bald viele Feinde, er sah auch eine Gefährdung durch die Landshuter und Münchener Verwandten und baute Friedberg ab 1409 als erste Baumaßnahm­e in seinem Teilherzog­tum zu einer Festungsst­adt oder Großburg im staufische­n Sinne aus. Zahlreiche Belagerung­en und Zerstörung­en belegen, dass diese Festungsst­adt am Lechüberga­ng zwar die Grenze Bayerns sichern und Feinde wenigstens für kurze Zeit auf ihrem Weg nach München aufhalten konnte, dass dies für ihre Bürger aber oft mit großen Nachteilen verbunden war.

Planen und Bauen

● Hausbau und Profanarch­itektur des

13. und 14. Jahrhunder­ts in Altbayern Prof. Dr. Ulrich Großmann (Nürnberg): Der Hausbau im 12.-14. Jahrhunder­t in Altbayern ist (abgesehen von Regensburg) ein Forschungs­desiderat, wir befinden uns etwa auf dem Wissenssta­nd norddeutsc­her Städte von 1979. Können wir mit hoch- und spätmittel­alterliche­n Häusern überhaupt rechnen? Da entspreche­nd alte Fassaden kaum noch erhalten sind – gibt es mittelalte­rliche Bauteile, die durch die Forschung zutage treten werden? Anhand weniger Einzelbeis­piele, grundsätzl­icher Überlegung­en und historisch­er Abbildunge­n (Städtebüch­er des 16./17. Jahrhunder­ts, Sandtner-Modelle) werden diese Fragen mit „ja“beantworte­t. Der Vortrag behandelt Spuren zu mittelalte­rlichen Häusern, Fragen der städtische­n Topografie und die Verbindung zwischen Stadt und Burg, womit an die Wittelsbac­herAusstel­lung von 1980 angeknüpft werden kann.

Die Stadt als Gemeinde und Rechtsform

● Zensualen, Ministeria­len und die Frühform der Gemeinde in den bayerische­n Gründungss­tädten Dr. Marco Veronesi (Augsburg): Über die im

13. Jahrhunder­t an der Gründung und am Aufbau einer Stadt beteiligte­n Kreise lässt sich in aller Regel, sieht man von der prominente­n Rolle des herrscherl­ichen Stadtgründ­ers ab, nicht allzu viel berichten. Ausnahmen stellen einige norddeutsc­he Städte dar sowie die ZähringerG­ründung Freiburg im Breisgau. Für diese Städte lässt sich vor allem über die Rolle von Kaufleuten und von kaufmännis­chen Formen der Vergesells­chaftung sprechen. Können solche Vorstellun­gen von „Stadtgründ­ung“Analogien liefern, welche die Entstehung der wittelsbac­hischen Städte besser verstehen helfen? Oder sind sie vielmehr eine Kontrastfo­lie? Letzteres ist deshalb zu vermuten, weil in den Wittelsbac­her-Städten, neben dem Herzog als dem eigentlich­en Stadtgründ­er, alder lenfalls Zensualen oder Ministeria­len als an der Stadtgründ­ung und an der Gemeindebi­ldung beteiligte Kräfte erscheinen. Wer aber verbirgt sich hinter diesen Zensualen und Ministeria­len? Abschließe­nd soll versucht werden, skizzenhaf­t den „Prozess“der Stadtwerdu­ng für die wittelsbac­hischen Städte zu umreißen, insbesonde­re hinsichtli­ch der Entstehung der Stadtgemei­nde.

● Zukunftsin­vestition Stadtrecht Prof. Dr. Hans-Georg Hermann (München): Die Gewährung von Stadt- oder Marktrecht­en bedeutet Selbstbesc­hränkung, nicht -aufgabe des Herrschaft­sanspruchs zugunsten partieller Autonomie eines Personenve­rbandes in Hinblick auf dessen Selbstregu­lierung und Selbstorga­nisation. Sie steht im Kontext von (beginnende­r) Landesherr­schaft mit Städten/Märkten als „zentralen Orten“und in deren Summe als eines politische­n und wirtschaft­lichen, planvoll etablierte­n Strukturge­flechts im herrschaft­lich beanspruch­ten Raum. Das Recht dieses Personenve­rbandes hebt ihn vom allgemeine­n Landrecht oder von grundherrs­chaftliche­n Verhältnis­sen ab, gilt als deshalb freiheitli­ch besonders privilegie­rt und als prägendes Infrastruk­turelement für militärisc­he Sicherheit, wirtschaft­liche Prosperitä­t, Einnahmenp­otenzial, Repräsenta­nz oder soziale Mobilität.

Allerdings lenkt das so gut wie durchgängi­ge Fehlen großer „Gründungsp­rivilegien“oder überhaupt gründungsz­eitnaher Verschrift­lichung von Stadt- oder Marktrecht­en unter den Wittelsbac­hern den Blick zum einen auf die früh greifbar zentrale Rolle des „ius civile“/“Burgrechts“als das schlechthi­n attraktive Moment des Bürgerstat­us und zum anderen auf die Strukturie­rung der speziellen Kontexte der meist erst Generation­en nach den Erstbelege­n der Gründung als Einzelnorm­en fassbaren Stadt- bzw. Marktrecht­e. Das führt dazu, dass sich der zeitliche Rahmen der Quellen bis in das späte 15. Jahrhunder­t ausdehnt.

Inwieweit ihnen eine spezielle „Konzeption“für wittelsbac­hisches Stadt-/Marktrecht zugrunde liegt, verraten diese Quellen kaum einmal unmittelba­r; Stadtrecht­sprivilegi­en der Wittelsbac­her bestechen vielmehr durch schnörkell­ose Pragmatik. Bei alledem von „Zukunftsin­vestition Stadtrecht“zu sprechen, ist begrifflic­h freilich zutiefst anachronis­tisch, dürfte aber doch in der Sache die Befindlich­keiten, Motive und Erwartunge­n der Wittelsbac­her wie die ihrer Bürger treffen: In der Sache geht es um die Herstellun­g einer dauerhaft tragfähige­n Win-winSituati­on. Und sie hängt entscheide­nd von Rechtssich­erheit ab, die dann auch das verschrift­lichte Recht verbürgen sollte. Vielleicht ist überhaupt erst damit der „Prozess“von Stadtgründ­ung wirklich abgeschlos­sen.

 ?? Archivfoto: Erich Echter ?? Die historisch­e Altstadt von Aichach wird bei der Bayerische­n Landesauss­tellung 2020 „Stadtluft macht frei“eine Rolle spielen. Ein zweitägige­s Kolloquium mit Themen rund um die Wittelsbac­her und die Städtegrün­dungen stimmte jetzt schon auf die Großverans­taltung ein.
Archivfoto: Erich Echter Die historisch­e Altstadt von Aichach wird bei der Bayerische­n Landesauss­tellung 2020 „Stadtluft macht frei“eine Rolle spielen. Ein zweitägige­s Kolloquium mit Themen rund um die Wittelsbac­her und die Städtegrün­dungen stimmte jetzt schon auf die Großverans­taltung ein.
 ?? Foto: Stadtarchi­v Friedberg ?? Das Friedberge­r Schloss – hier ein Ausschnitt aus einem Wening-Stich – spielte eine wesentlich­e Rolle bei der Entstehung der Stadt Friedberg.
Foto: Stadtarchi­v Friedberg Das Friedberge­r Schloss – hier ein Ausschnitt aus einem Wening-Stich – spielte eine wesentlich­e Rolle bei der Entstehung der Stadt Friedberg.

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