Friedberger Allgemeine

USA starten Sanktionen gegen Türkei

Ankara will aus dem Rüstungsst­reit mit Washington Konsequenz­en ziehen und in Zukunft eine wachsende Rolle als Waffenprod­uzent spielen

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Im Streit mit dem NatoPartne­r Türkei über den geplanten Kauf eines russischen Flugabwehr­systems haben die USA die ersten Sanktionen gegen Ankara verhängt. Die amerikanis­che Regierung beendete vorzeitig die Ausbildung türkischer Piloten am neuen Kampfflugz­eug F-35. Weitere Strafmaßna­hmen gegen die Türkei sollen folgen, wenn Ankara an der Anschaffun­g des russischen Systems festhält. In dem Konflikt geht es nicht nur um eine angebliche Hinwendung der Türkei zu Russland und einen Bruch mit Nato-Prinzipien. Auch das türkische Streben nach einer eigenen Rolle als Rüstungspr­oduzent spielt eine wichtige Rolle.

Die USA warnen die Türkei seit Monaten davor, wie geplant zwei Batterien des russischen Flugzeugun­d Raketenabw­ehrsystems S-400 zu kaufen. Die 2,5 Milliarden Dollar teuren russischen Anlagen sollen in den kommenden Monaten in der Türkei eintreffen, die Ausbildung türkischer Soldaten an dem Gerät hat begonnen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, sein Land halte an dem Geschäft fest.

Den Einwand von Amerikaner­n und Europäern, die S-400 seien mit den Systemen der Nato nicht kompatibel und könnten zudem von Russland benutzt werden, um den neuen Jet F-35 auszuspion­ieren, weist Ankara zurück. Washington wiederum will nichts von dem türkischen Vorschlag wissen, die amerikanis­chen Bedenken in einer gemeinsame­n Kommission zu erörtern. Die USA fordern die klare Abkehr der Türken vom russischen Waffensyst­em. Ankara wies am Dienstag eine Resolution des USRepräsen­tantenhaus­es, in dem der Verzicht der Türkei auf die S-400 gefordert wurde, als „inakzeptab­el“zurück.

In dem Streit verweist Erdogans Regierung darauf, dass Washington zwar als Alternativ­e zu den S-400 das amerikanis­che Patriot-System vorschlage, den von Ankara geforderte­n Technologi­e-Transfer aber ablehne. Das ist ein Knackpunkt für die Türkei. Erdogans Sprecher und außenpolit­ischer Berater Ibrahim Kalin betonte kürzlich ausdrückli­ch, das Thema der Koprodukti­on sei wichtig für sein Land: Die Türkei wolle ihren eigenen Rüstungsse­ktor fortentwic­keln.

Deshalb sei der Technologi­eTransfer eine türkische Vorbedingu­ng bei der Vereinbaru­ng mit Russland über die Lieferung der S-400 gewesen, schrieb der Außenpolit­ik-Experte Muhittin Ataman von der regierungs­nahen Denkfabrik Seta in der Zeitung Daily Sabah. Russland verbindet seine Rüstungsex­porte häufig mit der Weitergabe von Technologi­e.

Die türkische Rüstungsin­dustrie wird seit Jahren systematis­ch ausgebaut. Inzwischen deckt das Land laut Regierungs­angaben rund zwei Drittel seines Bedarfes mit Waffen aus eigener Produktion. Früher stritt sich die Türkei mit Deutschlan­d über die Lieferung von „Leopard“-Kampfpanze­rn – heute baut sie selbst den Kampfpanze­r „Altay“und verkauft ihn ins Ausland. Das Golf-Emirat Katar unterschri­eb kürzlich einen Vertrag über den Kauf von bis zu 100 „Altays“. Auch gepanzerte Mannschaft­swagen, Hubschraub­er und Drohnen aus türkischer Produktion gingen in den vergangene­n Jahren an so unterschie­dliche Länder wie die Ukraine, Tunesien, Mauretanie­n, Pakistan und die Philippine­n. Insgesamt verkaufte die Türkei 2018 Rüstungsgü­ter im Wert von etwa zwei Milliarden Dollar. Das ist zwar noch weit entfernt vom selbst gesteckten Ziel eines Exportvolu­mens von 25 Milliarden Dollar im Jahr 2023, doch die Kurve geht steil nach oben.

Das Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri strich in seinem jüngsten Bericht im Dezember heraus, die Rüstungsve­rkäufe türkischer Unternehme­n seien in einem einzigen Jahr um 24 Prozent gestiegen. Die Entwicklun­g sei ein Zeichen für den Ehrgeiz der Türkei, unabhängig­er von ausländisc­hen Waffenlief­eranten zu werden.

Ankara betrachte den Rüstungsse­ktor als wichtigen Beitrag zur Stärkung der türkischen Wirtschaft insgesamt, betonte der Seta-Experte Ataman. Dieser Stellenwer­t der Branche erschwert eine Lösung mit den USA im Streit um die Raketenabw­ehr. Neu nachdenken werde die Türkei erst, wenn Washington ein ähnlich „positives Angebot“unterbreit­e wie Russland, sagte Erdogan vor einigen Tagen. Bisher sei das nicht geschehen. Ohne Nachbesser­ungen seitens der Amerikaner „müssen wir überhaupt nichts kaufen“, betonte Erdogan.

Türkische „Altay“-Panzer sind ein Exportschl­ager

 ?? Foto: Yuri Kochetkov, dpa ?? Zwei Batterien des russischen Flugabwehr­systems S-400 – hier im Bild bei einer Militärpar­ade auf dem Roten Platz in Moskau – sollen in wenigen Monaten in der Türkei eintreffen. Nato-Partner Washington reagiert auf dieses Rüstungsge­schäft mit Sanktionen.
Foto: Yuri Kochetkov, dpa Zwei Batterien des russischen Flugabwehr­systems S-400 – hier im Bild bei einer Militärpar­ade auf dem Roten Platz in Moskau – sollen in wenigen Monaten in der Türkei eintreffen. Nato-Partner Washington reagiert auf dieses Rüstungsge­schäft mit Sanktionen.

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