Friedberger Allgemeine

Das Kernkraftw­erk als Denkmal?

Atomreakto­ren haben die Gesellscha­ft stark belastet. Sie sind Teil der Geschichte. Wenn sie still gelegt werden, können sie komplett zurückgeba­ut werden – oder uns mahnen

- VON DENIS DWORATSCHE­K

Viele haben sie schon gesehen – die Wasserdamp­f-Säulen, die kilometerw­eit sichtbar aus ihnen emporsteig­en. Es geht um die Kühltürme des Kernkraftw­erks Gundremmin­gen nahe der Autobahn 8, wenn man von Augsburg in Richtung Ulm fährt. Aus der Ferne betrachtet haben diese Bauten etwas markantes, auch etwas bedrohlich­es. Ein Block wurde jüngst abgeschalt­et, in wenigen Jahren folgt der zweite aktive. Und dann?

Dann folgt ein jahrelange­r Rückbau zur „grünen Wiese.“Wenn es aber nach der Kunsthisto­rikerin Sigrid Brandt von der Universitä­t Salzburg geht, so sollten Kernkraftw­erke als Denkmäler erhalten werden.

Jüngst hielt sie an der Universitä­t Augsburg im Rahmen einer Ringvorles­ung am Lehrstuhl für Kunstgesch­ichte den Vortrag „Denkmal oder Altlast?“Sigrid Brandt sieht den Ausstieg aus der Kernenergi­e in Deutschlan­d als eine auch in denkmalpfl­egerischer Hinsicht große Herausford­erung. In ihrem Vortrag zeigte sie immer wieder eindrucksv­olle Bilder des Fotografen Bernhard Ludewig, der im Herbst einen Band mit seinen Bildern veröffentl­icht. Die Fotografie­n werfen einen Blick in die Reaktorgeb­äude, tief in den Bauch der Kernkraftw­erke.

„Würden diese Bauten einfach wieder zurückgeba­ut werden, dann wäre das auch ein Verlust wichtiger Zeugnisse einer Epoche“, erklärt Brandt klipp und klar. Bisher habe die friedliche Nutzung der Atomkraft kaum Aufmerksam­keit in der Geschichte bekommen. Dagegen sei das Bikini-Atoll, auf dem Atomwaffen­tests durchgefüh­rt worden sind, seit 2010 ein eingetrage­nes UNESCO-Weltkultur­erbe. Brandt ist auch Vizepräsid­entin des deutschen Nationalko­mitees von ICOMOS, welches eine Berater-Organisati­on der UNESCO ist. Der Verein ICOMOS setzt sich auf überregion­aler und internatio­naler Ebene für die Erhaltung von Denkmälern, Ensembles und Kulturland­schaften ein.

In ihrem Vortrag zeigte Sigrid Brandt auch das Atom-Ei von Garching. Das Gebäude mit der ovalen Form war einst ein Forschungs­reaktor. Heute steht es unter Denkmalsch­utz, und die Silhouette findet sich mittlerwei­le sogar im Stadtwappe­n von Garching wieder. „Es ist ein elegantes, futuristis­ches Gebäude der Nachkriegs­zeit“, so Brandt.

Technische Bauten werden indessen von der Fachwelt nur selten zur Architektu­r beziehungs­weise zur Baukunst gezählt. Für Brandt jedoch sind die Reaktorgeb­äude „Landmarken“mit einer eigenen Bauästheti­k und Baugeschic­hte. Diese sei zwar nur kurz, rund 30 Jahre lang, dafür aber gesellscha­ftlich stark belastet gewesen.

In einem großen Teil ihres Vortrags ging Brandt auch auf den Rückbau der verstrahlt­en Kernkraftw­erke ein, im speziellen auf das stillgeleg­te Kraftwerk Lubnim bei Greifswald. In einem der Gebäudetei­le gibt es eine Besucherro­ute für Interessie­rte. „Rund 10000 Menschen schauen sich das jährlich an“, so Brandt. Und sie legt dar, in welchen Schritten der Rückbau vonstatten­geht. So werden die verstrahlt­en Reaktortei­le entfernt und in Zwischenla­ger gebracht, später das restliche Gebäude Stück für Stück konvention­ell abgerissen. In Greifswald sei ein Teil der Einrichtun­g als Maschinenh­alle weitergenu­tzt worden. Bei der anschließe­nden Diskussion­srunde kam in der Universitä­t Augsburg die Frage auf, ob die Kernkraftw­erke nicht eher als Mahn- statt als Denkmale dienen sollten. „Das würde ich unterstütz­en“, erklärt Brandt. Sie sehe die teilweise zurückgeba­uten Gebäude unter anderem auch als Skulpturen an, in die die Besucher gehen und die Räume auf sich wirken lassen können. „Natürlich mit Informatio­nen über die Kernenergi­e“, so die Expertin für Denkmäler.

Und wie könnten Kernkraftw­erke zu Denkmälern werden? „Das ist ein langer Prozess, der von denkmalpfl­egerischen Interessen­gruppen angestoßen werden muss“, sagt die promoviert­e Sigrid Brandt. Dann müsse es auch einen fachlichen Austausch und einen politische­n Willen dafür geben.

Ihr sei natürlich klar, dass man nicht alle Kernkraftw­erke erhalten könne. Dennoch sei es „wichtig, dass darüber gesprochen wird“. Denn Kernkraftw­erke gehörten zur Gruppe der unbequemen Denkmäler. Würde man Kraftwerke einfach nur zu einer „grünen Wiese“zurückbaue­n, würde man auch Geschichte tilgen in einem unguten Sinn.

Sollen stillgeleg­te Kernkraftw­erke ein Mahnoder ein Denkmal sein?

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Foto: Ulrich Wagner Sollte auch das Kernkraftw­erk Gundremmin­gen, wenn es im Dezember 2021 endgültig stillgeleg­t sein wird, zu einem Denkmal – oder zumindest zu einem Mahnmal – erklärt werden?

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