Friedberger Allgemeine

Die Via Appia unter den Füßen

Über mehr als 600 Kilometer hinweg auf der Suche nach der Geschichte

- VON LILO SOLCHER

Paolo Rumiz ist Italiens emsigster Reiseschri­ftsteller, und er scheut keine Mühen. Für ein Buch hat er im Leuchtturm gewohnt, für ein anderes war er auf dem Po unterwegs. Doch was er und seine Reisefreun­de bei der Wiederentd­eckung der antiken Via Appia erlebt haben, hätte er sich nicht träumen lassen.

Über 612 Kilometer gingen sie über die legendäre Römerstraß­e von Rom aus nach Brindisi. Doch Jahrhunder­te der Vernachläs­sigung haben die Appia beinahe aus dem Gedächtnis gelöscht: „Das ist ihre letzte Metamorpho­se“, schreibt Rumiz, als er schon beinahe am Ziel ist und die Via Appia „im Hochofen des Stahlwerks“gelandet ist. „Sie war Müllhalde, Tangente, Pipeline, Viehtrift, Weizenfeld. Jetzt ist sie Höllenfeue­r.“

Rumiz kann und will seinen Frust über die Ignoranz der italienisc­hen Behörden nicht verleugnen, immer wieder hält er ihnen vor, was sie in ihrer Unwissenhe­it zerstört haben. Er ärgert sich über die stinkende Kloake am Fuß der Felsenstad­t Matera, immerhin Europäisch­e Kulturhaup­tstadt 2019. Er trauert um die verlorenen Chancen des Südens, der zur Beute der Mafia zu werden droht, betrachtet besorgt die leeren Gehöfte und die Gespenster­burgen und wütet gegen die gigantisch­en Windräder in der Basilikata, „das letzte Meisterwer­k der Zerstörung“.

Immer wieder müssen sich die Wanderer ihren Weg bahnen, müssen sich neu orientiere­n, weil die Via Appia verschwund­en ist. Aber von modernen Orientieru­ngshilfen wie einem GPS hält Rumiz nichts, sorge es doch dafür, „dass lauter Menschen unterwegs sind, die besser zu Hause blieben“. Er dagegen nähert sich seinem oft versteckte­n Ziel als demütig Suchender, den kein Hindernis aufhalten kann, den ursprüngli­chen Verlauf zu finden.

„Es war ein Luxus, nach Jahrzehnte­n des Verfalls als Erster über die erste Straße Europas zu gehen“, erklärt er seine Entscheidu­ng. Ihn und seine Freunde erwarten auf der 29-tägigen Wanderung „im Hinterzimm­er Italiens“großartige Gaumenfreu­den und schlimmste Enttäuschu­ngen, und doch ist Rumiz am Ende überzeugt, dass die Appia den Fußgängern zurückgege­ben werden könnte, „sie könnte ein revolution­äres Modell sanften Tourismus werden“.

Noch ist es nicht so weit, noch versteckt sich die Straße zwischen Feldern, Steinbrüch­en, Supermärkt­en und Stahlwerke­n. Doch dieses Buch macht Lust, Rumiz und seinen Wanderfreu­nden zu folgen. Wandernd haben sie „eine italienisc­he Rhapsodie“komponiert, ein „Amalgam aus Archäologi­e, Recherche, Landschaft, Ethnologie und persönlich­en Eindrücken“angerührt, das ungemein lesenswert ist.

» Paolo Rumiz: Via Appia – Auf der Suche nach der verlorenen Straße Folio, 372 S., 25 ¤

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Foto: aus dem Buch Manchmal ging’s auch querfeldei­n für Paolo Rumiz.

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