Der Champion ist das Orchester
Die zweite Spielzeit unter Staatstheater-Intendant André Bücker neigt sich dem Ende zu. Und damit stellt sich wieder die Frage nach Ertrag und Resümee
Keine Bühne der Welt kann Sternstunden am laufenden Band produzieren. Auch das Staatstheater Augsburg nicht, zumal in seinen – dankenswerterweise hergerichteten – Ausweichspielstätten mit erschwerenden Bedingungen. Großartige Bühnenbild-Verwandlungszaubereien lassen sich da beispielsweise schwer bewerkstelligen.
Aber nur von imposanter Kulisse allein leben Oper, Schauspiel, Ballett ja nun auch wieder nicht. Sie leben gleichzeitig auch von überraschend-schlüssigen Regie- und Choreografie-Konzepten, von unbedingter, unbändiger Spiellust der Darsteller, vom Sog musikalischer Tragkraft. Kommt dies bei entsprechender Beleuchtung zusammen, könnte die Bühne sogar leer bleiben.
Insofern wundert es doch, dass auch die zweite Spielzeit von Augsburgs Intendanten André Bücker ohne eine wirkliche Sternstunde geblieben ist. Kein Abend, aus dem man in jenem – sozusagen angefixten – Zwang herausgegangen wäre, das willst, das musst du unbedingt noch einmal erleben...
Wem dieser Anspruch zu hoch gegriffen scheint, der möge sich nur an Opern-Produktionen der Ären Juliane Votteler („Schwanda, der Dudelsackpfeifer“gleich zum Einstand), Ulrich Peters (Zeitopern u. a. mit dem Bühnenbildner Wolfgang Buchner) und Peter Baumgardt erinnern („Wozzeck“, „Frau ohne Schatten“, „Iphigenien“-Zyklus).
Darauf hinzuweisen heißt nun aber nicht, dass der eine oder andere Abend seit Herbst 2017 mit Gewinn nicht auch zweimal besucht werden konnte. Aber packende Verführung ist eben doch etwas anderes. Und sie sollte oberstes Ziel bleiben, auch wenn sie tatsächlich eher ausnahmsweise erreicht werden kann.
Nach solcher Vorrede und unabhängig von den erreichten Zuschauerzahlen (siehe Lokales): Mit welcher Beurteilung nun ist – bei selbstverständlich angestrebter Fairness – der gesamtkünstlerische Wert der zweiten André-BückerSpielzeit zu versehen?
Wohl mit dem Prädikat „gehobene Mittelklasse“. Hinter diesem Prädikat stehen alle Theater-Kritiker unserer Zeitung. Anders ausgedrückt: Es wird befriedigende und gute Arbeit geleistet, aber der grundsätzliche intellektuell-künstlerische Anspruch an Neuproduktionen sowie manche Darstellerleistung sind sehr wohl noch steigerbar. Niemand ist perfekt, wir alle arbeiten weiter an uns ...
Wie fruchtbar das sein kann, zeigen gerade die ganz deutlich gehobenen Produktionen der auslaufenden Spielzeit: André Bücker selbst hat mit Massenets „Werther“-Oper seine bis dato beste Augsburger Regiearbeit hingelegt, gerade weil diese in ihren szenischen Einfällen nicht ausuferte, sondern ästhetisch konzis, präzis, profiliert wirkte. Und dankbar konnte man auch sein über die Vorstellung von Smetanas „Dalibor“-Oper. Weniger wegen der Regie zum problematischen Libretto als wegen der kompositorischen Qualität des Werks.
Im Bereich Schauspiel beeindruckte der Ernst, mit dem Nicole Schneiderbauer den 1000-SeitenRoman „Europe Central“dramatisierte, sowie die durchaus Schmerz zumutende Dietmar-Dath-Uraufführung „Die nötige Folter“, in der Bücker mit dem nämlichen „Werther“Produktionsteam noch einmal vehement nachlegte. Und in der Sparte Ballett bleiben die „Vier Jahreszeiten“in bester Erinnerung – als Uraufführung den Bogen schlagend zwischen Barock und Minimal Music.
Auf all dies kann Intendant Bücker durchaus verweisen, da es im kommenden Jahr um eine etwaige Verlängerung seines Vertrags gehen dürfte. Schlechte Karten hat er dabei sowieso nicht: Wer wechselt schon eine Theater-Spitze in Theatersanierungszeiten aus, wenn der Betrieb unter erschwerten Bedingungen doch hinreichend gut funktioniert? Auch die „Funkstörungen“mit Sponsoren des Theaters sind abgebaut. Gerade deswegen wünscht man Bücker und seinem Haus und vor allem dem Publikum noch etwas mehr künstlerischen Rückenwind und höheren, selbstfordernden interpretatorischen Anspruch gegenüber den Werken auf dem Spielplan.
Das gilt im Übrigen auch für die diesjährige Freilichtbühnenpremiere „Jesus Christ Superstar“. Nicht, dass wir ein Jota Abstrich machen wollen von unserer Beurteilung dieses Musicals, das ja Zuschauerbonbon und Kassenmagnet gleichermaßen sein soll. Aber bis zur Pause gab es auch dabei noch „Luft nach oben“.
Müsste unter den vier Sparten Oper, Schauspiel, Ballett und Konzert/Orchester eine „Champion“-Auszeichnung für die Spielzeit 2018/2019 vergeben werden, dann wäre mit gutem Grund für die Augsburger Philharmoniker zu plädieren, die vor allem unter Generalmusikdirektor Domonkos Héja – neben allen Zusatzaktionen – die gleichmäßig höchste Qualität bereitstellten, und zwar in Oper, Konzert und Ballett.
Ihr Selbstverständnis und Einsatz: beispielhaft. Etwa bei „Dalibor“, etwa bei der Aneignung von „Originalklang, etwa bei Berlioz’ „Symphonie fantastique“.