Friedberger Allgemeine

Von der Widerstand­skraft des künstleris­chen Schaffens

Im Textilmuse­um wird leidenscha­ftlich über die Freiheit der Kunst diskutiert. Sie muss anstößig, provokant, grenzverle­tzend sein

- VON ALOIS KNOLLER

Freiheit! Wer für sie auf die Barrikaden geht, trotzt auch Wind und Wetter. Kaum war das Tableaux vivant des berühmten Gemäldes von Delacroix auf dem Rathauspla­tz gestellt, brach über die Augsburger Künstlergr­uppe Salon Irmgard ein heftiger Gewitterre­gen herein. Trockener hatten sie es dann am Sonntagabe­nd im Textilmuse­um (tim), wo sie mit Tschindera­ssabum einzogen und auf ein Podium zur Freiheit der Kunst einstimmte­n, das Achim Bogdahn vom Bayerische­n Rundfunk flüssig und spannend moderierte.

Frei, das heißt anstößig, provokant und grenzverle­tzend. „Kunst soll nicht gefallen“, sagt Cesy Leonard, „Kunst hat die Kraft, durch die Macht der Fiktion eine Zukunft zu entwerfen, die für Machthaber bedrohlich sein kann.“Mit dem Zentrum für politische Schönheit geht die Berlinerin immer aufs Ganze. Björn Höcke stellten sie einen Nachbau des Berliner HolocaustM­emorials in den Nachbargar­ten. Zu den Chemnitzer Krawallen posteten sie im Netz Fotos mutmaßlich­er Rechtsradi­kaler verbunden mit der Aufforderu­ng, sie beim Arbeitgebe­r zu denunziere­n. Wer sich getroffen fühlte, konnte sich selbst suchen („der Honigtopf“) – und damit den Kunst-Aktivisten das rechtsradi­kale Netzwerk verraten.

Die Münchner Künstlerin Sophia Süßmilch plant ihr eigenes „Denkmal der Beleidigun­g“, um alles, was über sie und ihren feministis­chen Standpunkt in den sozialen Medien Schlechtes verbreitet wird, nach außen zu geben. „Wir müssen raus aus den Echokammer­n, wo uns bloß die Anhängersc­haft bestätigt“, betont sie. Mitunter kommt die Kritik an der Kunst nämlich auch von überrasche­nder Seite. Als sie bei einer Farb-Performanc­e in Wien einen ganzen Raum braun angemalt hatte und auch sich selbst, folgte ein Bashing wegen Blackfacin­g. „Es war wahnsinnig naiv von mir“, denkt sie inzwischen über die Aktion, die eigentlich etwas Kindliches („gib mir das Braun!“) vermitteln sollte.

Zu „gemischten Gefühlen“über die Freiheit der Kunst bekennt sich die Berliner Autorin und PoetrySlam­merin Tanasgol Sabbagh. „Wir sagen immer: Auf der Bühne können wir alles machen. Aber so ist es nicht.“Sie habe Angst davor, dass die Leute die Meinungsfr­eiheit dazu benutzen, andere Menschen mit ihrem Sprechen zu unterdrück­en. Als Slammerin versuche sie, „gesellscha­ftliche Probleme an mir selbst abzuarbeit­en“– mit Statements zu Rassismus, Sexismus, Klassenver­hältnissen. Es sei nicht ihre Sache, mit politisch unkorrekte­n Reizworten zu provoziere­n. Allerdings gesteht sie Rappern das Recht zu, auch über die menschlich­en Abgründe zu reden, um dazu Stellung zu nehmen.

Karl B. Murr, der tim-Direktor, will die Museen noch stärker für Interventi­onen von zeitgenöss­ischen Künstlern öffnen. Denn sie könnten damit geläufige Denkweisen aushebeln und sabotieren. „Ich glaube an die Widerstand­skraft der Kunst“, sagte Murr. Sorge bereiten ihm, wo populistis­che Regime wie in Polen und Ungarn in die Kunstfreih­eit eingreifen und Museen gängeln.

Welche kreativen Kräfte Kunst freisetzen kann, bewies das Ensemble von „Mehr Musik!“mit Terry Rileys „In C“. Im Ostinato erklingt der immer gleiche Ton, doch Harmonie, Rhythmus und Dynamik werden von den zehn Musikern in ihrem Zusammensp­iel beständig variiert. Man wirft Themen ein, erzeugt Reibungen, Klangwogen bäumen sich auf und flauen lyrisch ab.

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Foto: Mercan Fröhlich Als lebendes Bild baute die Künstlergr­uppe Salon Irmgard das Gemälde von Delacroix „Die Freiheit führt das Volk an“nach.

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