Warum er die Angst vor Alzheimer verloren hat
Jens Schneider ist Gründungsmitglied der Alzheimer Gesellschaft. Was der einstige Apotheker in zehn Jahren dort gelernt hat und wie der 77-Jährige anderen Menschen Mut macht
Eigentlich hatte sich Jens Schneider mit seiner Schwiegermutter immer gut verstanden. Bis sie im Alter schwierig wurde, wie er und seine Frau fanden. Was beide zunächst nicht wussten: Hinter dem teils bizarren Verhalten der Seniorin steckte eine Alzheimererkrankung. Sicherlich war auch diese Erfahrung ein Grund, warum der Augsburger vor zehn Jahren die Alzheimer Gesellschaft mit gründete. Doch den inzwischen 77 Jahre alten Mann trieb noch mehr an.
Vor Kurzem erst ist Jens Schneider als Vorsitzender der Augsburger Selbsthilfegruppe zurückgetreten. Er halte sich nämlich nicht für unersetzbar, erklärt der Mann mit der freundlichen, ruhigen Stimme. Schneider ist konsequent, wenn es um einen Schlussstrich geht. Das hat er schon einmal bewiesen. „Ich war auch bis zum letzten Tag begeisterter Apotheker.“Aber mit 65 Jahren gab er seine „Apotheke am Königsplatz“auf, die er einst von seinen Eltern übernommen hatte. Irgendwann ist halt Schluss, findet er. Zehn Jahre Engagement in der Alzheimer Gesellschaft – steigt mit den Erfahrungen die Angst vor der Krankheit oder verliert sie ihren Schrecken?
Jens Schneider muss nicht lange nachdenken. „Es hat mir die Angst genommen“, sagt er. Denn er habe in dieser Zeit erfahren, dass Menschen mit Demenz weiterhin Lebensqualität haben und sich freuen können. „Wir Gesunden sind eher das Problem für sie, weil wir ihre Lebensqualität stören“, erklärt der Augsburger und fügt hinzu: „Wir akzeptieren nämlich nicht, dass sie in einer anderen Welt leben. Im Gegenteil, oft wollen wir sie daraus zurückholen. Das funktioniert aber nicht.“Eher würde man den Erkrankten deren Welt kaputt machen. Dass Alzheimerpatienten auch weiterhin Spaß haben, zeigt Schneider am Beispiel einer Dame auf, die im Chor der Selbsthilfegruppe mitsang.
Zusammen mit der Sing- und Musikschule Mozartstadt Augsburg organisiert die Alzheimer Gesellschaft diese Treffen. „Die Frau ist schwer demenzkrank und außerhalb ihrer Wohnung orientierungslos.“Freunde brachten sie eines Tages zu dem Chor mit. „Sie war begeistert beim Singen dabei. Danach sagte sie, dass es der schönste Tag ihres Lebens war.“Klar sei die neue Welt der Frau begrenzter als zuvor, aber die Freude sei echt.
Auch in den ökumenischen Gottesdiensten stellte Schneider immer wieder fest, dass man Betroffene auf emotionaler Ebene erreichen könne. Der Senior hat eine Botschaft, die er Angehörigen gerne mitgibt: „Die Gefühlsebene der Kranken ist bis zur letzten Stunde vorhanden.“Er erinnert sich an seine eigene Schwiegermutter, die die Familie zum Schluss nicht mehr erkannte. „Aber sie empfand, da ist jemand, der sich um sie kümmert, der sie liebt und der sie unterstützt.“Im Laufe seines Berufes als Apotheker und durch Fortbildungen zum Thema Demenz wurde Jens Schneider bewusst, wie schnell demenzkranke Menschen in der Gesellschaft übersehen werden. „Einfach weil viele Mitmenschen in dieser Hinsicht nicht sensibilisiert sind“, sagt er. Auch das motivierte ihn zu dieser Selbsthilfegruppe. In den zehn Jahren Alzheimer Gesellschaft, findet er, sei einiges erreicht worden. „Wir sind in der Lage, Hilfesuchende an die richtigen Stellen weiter zu leiten, wo sie Hilfe finden. Und wir sind Ansprechpartner für die Betroffenen und vor allem für deren Angehörige.“
Jens Schneider sagt, das Ziel, das man sich bei der Gründung der Selbsthilfegruppe gesetzt hatte, sei erreicht. 130 Mitglieder hat die Alzheimer Gesellschaft inzwischen. Schneiders Nachfolger als erster Vorsitzender wurde der langjährige Schatzmeister Jörg Fröhlich. Freilich will sich Schneider weiterhin in der Selbsthilfegruppe engagieren. Allerdings freut er sich auf mehr Zeit für Kinder, Enkelkinder und für seine Frau. Ihr will er künftig bei der Gartenarbeit unter die Arme greifen. Er schmunzelt. „Natürlich nur unter Anleitung.“
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Infos zur Alzheimer-Selbsthilfegrupe in Augsburg unter: www.alzheimer-augsburg.de
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