Achtung, Wespe!
Schwarz-gelb steht für Gefahr. Doch nicht alle Menschen reagieren gleich, wenn die hungrigen Insekten als ungebetene Gäste zur Kaffeetafel oder an den Tisch im Biergarten stoßen. Was die Begegnung mit Wespen über uns Menschen sagt. Eine kleine Typologie
Der Fuchtler
Der Durchschnittstyp folgt seinen Instinkten. Was macht er? Er wedelt. Er fuchtelt mit den Armen. Er schlägt mit Zeitungen Schneisen in die Luft. Gefahrenabwehr auf die impulsive Art – das ist die am häufigsten zu beobachtende Reaktion auf Wespen. Hau ab! Dahinter steckt keine Strategie. Und wenn, dann eine der Art, die auch hupende Autofahrer verfolgen. Aus dem Weg, was nervt! Der Fuchtler verfolgt keine Tötungsabsicht (»Der Killer), er will aber auch nicht das Feld räumen (»Der Wegrenner), bloß weil so ein lästiges Viech glaubt, hier jetzt Terror veranstalten zu müssen. Der Fuchtler mag keine Störungen. Er hasst es, wenn Wespen die letzten Spätsommerstunden versauen, die noch bleiben, bevor der graue Herbst kommt. Die Welt ist riesig, in der Natur ist mehr als genug Platz für alle Wespen. Aber was tun sie? Schwirren da herum, wo der Mensch sich der Muße hingibt. Der Fuchtler neigt zum Hadern. Er ist vergesslich, weshalb er immer wieder aufs Neue loswedelt, obwohl er noch nie eine Wespe wirksam auf Abstand gehalten oder gar vertrieben hat. (mls)
Der Tierfreund
Er geht Umwege für Kellerasseln und verpasst zur Not seinen Bus, wenn er daheim eine sich blöd anstellende Stubenfliege noch schnell sanft dazu bringen will, aus dem offenen Fenster ins Freie zu fliegen. Der Tierfreund tut keinem Lebewesen etwas zuleide. Dass es in Bernstein eingeschlossene Insekten gibt, die er vor zigtausenden Jahren nicht zu retten vermochte, ist für ihn schlimm genug. Wespen zu attackieren, und sei es nur durch Hektik (»Der Fuchtler), käme ihm nie in den Sinn. Der Tierfreund schlüpft entweder in die Rolle des Stoikers und wirbt für friedliche Koexistenz. Oder aber er plädiert für einen Umzug von Menschen, damit die Wespen sich nicht unnötig gestört fühlen in ihrem naturgewollten Treiben. Konkret heißt das: Der Tierfreund überlässt seinen Datschi im Konfliktfall den Wespen. Sieht er eine Möglichkeit, wäre er sogar bereit, zwischen konkurrierenden Wespen zu vermitteln. Wenn der Tierfreund gestochen wird, tut ihm das genauso weh wie dem Killer oder dem Wegrenner. Allerdings neigt der Tierfreund dazu, die Schuld bei sich selbst zu suchen. (mls)
Der Wegrenner
Seine Überlebensinstinkte sind intakt, das ist das Mindeste, was man über den Wegrenner sagen kann. So bald eine Wespe in Sicht kommt, wird er unruhig. Normale Konversation mit ihm ist in diesem Zustand angstvoller Erregtheit kaum möglich. Nicht nur, weil der Wegrenner sein Gegenüber gar nicht mehr ansehen kann, aus Sorge, die Gefahr im Anflug aus dem Auge zu verlieren (»Der Killer); auch weil sein Körper die Blutversorgung ins Hirn einstellt, um alle Energie für die Flucht vorzuhalten, die jederzeit nötig werden könnte. Wie bei einem scheuenden Pferd hilft dann kein noch so gutes Zureden mehr. Zum Schutz des Wegrenners – aber auch damit das gute Porzellanservice keinen Schaden erleidet, wenn ein viele hundert Mal größerer Mensch auf der Flucht vor einem daumennagelgroßen Insekt Tisch und Stühle umstößt – hilft nur umsichtiges Beseitigen möglicher Gefahrenstellen. Von einer Wespe gestochen worden sind Wegrenner in aller Regel noch nie. Aber dass es auch ohne so viel Wirbel gut gegangen wäre, glauben sie nicht. Erst wieder im Winter einladen. (maz-)
Der Stoiker
„Aha.“Das ist die Antwort des Stoikers, wenn mal wieder einer glaubt, das aussprechen zu müssen, was ohnehin alle sehen. Nämlich: „Jetzt kommen die Wespen.“Dieser Satz aus der Gesprächswolke über einem Biergartentisch ist für den Stoiker ähnlich aufregend wie die Feststellung von Offensichtlichkeiten wie „Mein Bier ist im Krug“oder „Auf der Breze ist Salz“. Jedes Wesen hat seinen Platz auf der Erde – und den versucht es bewusst oder unbewusst auszufüllen. Die Wespe versucht im Sommer möglichst einfach an Futter zu kommen. Das versteht der Stoiker und richtet sich danach. Denn seine Rolle auf der Erde ist es in diesem Moment, möglichst entspannt ein kühles Bier zu trinken oder zwei. Alles andere, hektisches Wedeln (»Der Fuchtler) oder sinnloses Töten (»Der Killer), ist ihm zuwider, weil es vom Kern seiner wesentlichen Beschäftigung ablenkt. Das Leben ist ein ständiges und vergebliches Streben nach Weisheit. Dazu braucht es emotionale Selbstbeherrschung, Gelassenheit – und einen Deckel für den Bierkrug. (maz-)
Der Killer
Es gibt diese Typen, die zum Beispiel niemals defätistisch zwei Jahre auf neue Bundeswehrstiefel warten würden, um sie zur flotten Freifahrt mit der Bahn zu schnüren. Diese Leute würden angreifen und selbst in Uniform bei Deichmann zuschlagen. Zack, zack, 69,99 Euro, Fall erledigt. Sitzt du mit so jemand draußen, wenn die Wespen kommen, dann Augen auf – es geht sehr schnell. Verdammt schnell. Der Killertyp fixiert die Wespe, zuckt nicht mal, wenn die Faust niedersaust, wahlweise auch die Speisekarte oder der Schlüsselbund. Manchmal entwischt die Wespe, meistens aber ist sie Brei. Zwar kostet der Killer das Staunen (»Der Fuchtler) oder die Empörung
(»Der Tierfreund) der Umsitzenden aus, lässt sich aber nichts anmerken und spricht einfach weiter. Das tut er auch, wenn es ihm gelingt, mit dem Messer eine Wespe zu fixieren und dann zu tranchieren. An manchen Tagen genügt es dem Killer, die Wespe mit dem Bierdeckel ins Glas zu schnippen, wo er sie ersaufen lässt, während er sein frisches Ersatzweizen trinkt. Die Wespe oder ich – dazwischen gibt’s für ihn nichts. (mls)