Der Uhr-Ahn
Die beiden Firmen Pechmann und Hörz sind die letzten Turmuhrenbauer in Bayerisch Schwaben. In ihrem Gewerbe spielt nicht nur Nostalgie eine große Rolle, sondern auch moderne Technik
Roggenburg Von Zeit zu Zeit entdecken Besucher, die sich gerade das Kloster Roggenburg angeschaut haben, am Fuße des Hügels ein längliches Gebäude, das mit seinem Ziermauerwerk etwas Altehrwürdiges ausstrahlt. Es liegt ja auch idyllisch unweit des Klosterweihers am Ufer des Flüsschens Biber. Drinnen stehen Maschinen, die erkennbar nicht in dieses Jahrhundert gehören, dazu große Turmuhrblätter, vergoldete Zeiger. Das kann ja nur eine Schauwerkstatt sein, denken nicht wenige und bitten höflich, sich dieses Museum mal anschauen zu dürfen. Gordian Meinrad Pechmann, der mit seiner ausladenden weißen Barttracht tatsächlich aussieht wie aus der Zeit gefallen, muss die Leute dann immer wieder wegschicken, denn: „Sonst kämen wir ja zu nix mehr“, sagt er und lacht. Er ist nicht der Chef eines lebendigen Museums, sondern Inhaber der Firma Turmuhren Pechmann, die von diesem Ort aus bereits seit 1862 Kirchtürme mit Zeitmessern bestückt und sich um das dazugehörige Geläut kümmert. Und er besitzt die Philipp Hörz GmbH, die zweieinhalb Kilometer weiter im Roggenburger Ortsteil Biberach ihren Sitz hat. Sie geht der gleichen Arbeit nach, wenn auch in etwas größerem Stil. Beide Unternehmen gehören zur raren Spezies der Turmuhrenbauer. Davon findet sich in ganz Deutschland gerade mal ein halbes Dutzend. In Schwaben sind sie die Einzigen – und sie machen sich sogar Konkurrenz.
Das ist etwas, worauf Gordian Meinrad Pechmann großen Wert legt: Die zwei Unternehmen arbeiten unabhängig voneinander, wobei das mit der Konkurrenz schärfer klingt, als es tatsächlich ist, denn Pechmann mit seiner kleinen Werkstatt bedient vor allem den bayerisch-schwäbischen Raum, die Philipp Hörz GmbH geht bundesweit ihren Geschäften nach. Beiden gemein ist, dass sie in einem sehr speziellen Marktsegment auftreten, das durchaus von einem leicht nostalgischen Hauch umweht wird. Auch im Zeitalter des Smartphones, das jederzeit anzeigen kann, wem in den entlegensten Gegenden dieses Erdballs welche Stunde geschlagen hat, richten sich Menschen tatsächlich auch nach dem Läuten des Kirchturms. Davon jedenfalls ist Pechmann, Jahrgang 1955, überzeugt: „Die Turmuhr gehört zu einem Ort dazu. Das Läuten macht doch eine Kirche lebendig.“Seine Unternehmen sorgen dafür, dass lieb gewonnene Traditionen nicht abreißen, dass das Herz so vieler Kirchtürme weiter schlagen kann.
geht nicht ohne Leidenschaft, wie Pechmann immer wieder beteuert, dazu müsse man geboren sein. Mit seinem Vater war er, schon lange bevor er die Schulbank drücken musste, „auf so vielen Kirchtürmen droben“. Auf denen gab es immer wieder etwas zu entdecken, und er machte sein Hobby zum Beruf, wie er sagt. Er setzt sozusagen
Uhr-Ahn eine lange Familientradition fort. Der allererste Pechmann, der sich der Metallbearbeitung widmete, war der Roggenburger Klosterjäger. Als die Abtei 1802 aufgehoben wurde, brauchte er eine neue Beschäftigung und schulte auf Schmied um. Die Werkstatt stellte unter anderem Pumpen, Wasserräder und Turbinen her. 1862 speziaDas
lisierte sie sich auf Turmuhren, denn im aufkommenden Industriezeitalter wurde die Zeitmessung immer wichtiger. Das Unternehmen war seiner Zeit manchmal sogar voraus. 1906 bekam es bei der „Bayerischen Jubiläums-Landes-Industrie, Gewerbe und Kunst-Ausstellung“in Nürnberg eine Goldmedaille für eine sich selbst aufziehenals de Uhr. Doch die wurde zunächst kein Erfolg: Die meisten Orte waren noch nicht an die öffentliche Stromversorgung angeschlossen.
Mittlerweile hat die Elektronik in den Kirchtürmen weitgehend Einzug gehalten. Keine Kirchengemeinde kann es sich leisten – Nostalgie hin oder her –, einen Mesner dreimal am Tag die Gewichte der mechanischen Uhr aufziehen zu lassen. Heutzutage funktionieren Turmuhren und Läutwerke in der Regel elektrisch. Mechanische Uhrwerke werden oft stillgelegt und durch moderne Elektronik ersetzt. Die ist eine Spezialität der Philipp Hörz GmbH. Auch dieses Unternehmen geht auf das Jahr 1862 zurück. Es hatte seinen Stammsitz in Ulm und war einst „fürstlich hohenzollerischer Hoflieferant“. Anfang dieses Jahrtausends jedoch meldete das Unternehmen Insolvenz an – und die deutlich kleinere Firma Pechmann aus Roggenburg kaufte 2004 den Konkurrenten auf. Über einen Zwischenstopp in Weißenhorn wurde der Betrieb nach Biberach verlegt.
Seit einigen Jahren haben dort Pechmanns Kinder das Sagen, Tochter Regina rückte 2014 in die Geschäftsführung, ihr Bruder Andreas 2018. Zwei weitere Geschwister arbeiten ebenfalls im Betrieb mit. Bei Hörz sind 45 Mitarbeiter beschäftigt, rund die Hälfte davon im Außendienst. Das hat weniger mit dem Verkauf zu tun als mit den vielen Wartungsverträgen. Von den 1000 Kunden des Unternehmens hat die Hälfte einen solchen Kontrakt abgeschlossen, denn Uhren und speziell Läutwerke müssen regelmäßig einer Prüfung unterzogen werden. Für sie gibt es sogar einen jährlichen „Glocken-TÜV“, bei dem nicht zuletzt überprüft wird, ob das Material durch die starke Belastung beim Läuten Schaden genommen hat.
Während in vergangenen Jahrhunderten dafür eine Menge Kraft nötig war, genügt heutzutage ein Smartphone, um das elektrische Läutwerk zu steuern. Und per Fernwartung übers Internet lassen sich sogar Fehler in der Technik auslesen. Wie das alles funktioniert, testet das Unternehmen im eigenen Hof, wo Glocken in einem Stahlgestell hängen. Die Nachbarn kennen das schon und blicken längst nicht mehr irritiert auf die Uhr, wenn es mal wieder außerhalb der üblichen Zeiten bimmelt. Um die Zukunft ihres Gewerbes ist weder Meinrad Pechmann noch den Kindern bang. Die sind froh, in solch ein Gewerbe hineingeboren zu sein. „Das ist eine Faszination“, beschreibt Regina Pechmann ihr Metier, „das haben wir schon als Kinder mitbekommen. Es ist einfach toll.“In der Firma ergänzen sie sich gut, wie Regina Pechmann betont, auch das Finanzielle passe. „Kurz und gut: Wir sind dankbar für das alles.“