Friedberger Allgemeine

Warum Augsburger die Welt retten können

Die junge Truppe von Fridays for Future hat so viele Menschen wie nie für das Klima auf die Straße gebracht. Aber können eine Stadt und ihre Einwohner das schaffen? Na klar! Wer sonst?

- VON MARCUS BÜRZLE mb@augsburger-allgemeine.de

Wir sind selber schuld, dass am Freitag die Schule anruft und sagt: „Ihr Kind hat die Schule unerlaubt verlassen.“Klimastrei­k. Wir sind selber schuld, dass am Freitag der Verkehr in der Innenstadt nur noch kroch, als 6000 Menschen für mehr Klimaschut­z demonstrie­rten. Wir sind selber schuld, weil wir über Jahre und Jahrzehnte die globale Erwärmung so ernst genommen haben wie die Waage daheim, die anzeigt: He, Du nimmst zu!

Jeder weiß, dass das auf Dauer nicht gesund ist, aber oft muss es erst der Arzt sagen oder gar der Körper streiken. Man muss den Schülern danken, denn sie haben uns endlich wachgerütt­elt. Ihnen ist gelungen, woran die „Profis“gescheiter­t sind.

Und so diskutiere­n wir jetzt im Supermarkt mit dem Nachwuchs, ob die Bio-Gurke aus Spanien besser ist als die regionale ohne Bio. Verbannen Plastikfla­schen und verzichten ziemlich oft auf Fleisch. Haha, wird jetzt mancher sagen. Das soll die Welt retten? Was bringt das schon? Etwas größer gedacht klingt der Zweifel so: Augsburg kann nie das Klima retten, Deutschlan­d kann doch nichts bewegen, wenn die anderen nichts tun. Die Chinesen, die Amerikaner, die was weiß ich wer. So kann man argumentie­ren und man tut es in der Regel dann, wenn man selbst nichts tun will. Es wird immer einen geben, der nicht mitzieht. Würden wir immer auf alle anderen warten, würde die Welt in einem ewigen Stillstand verharren. Frei nach dem Satz von John F. Kennedy – „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“– könnte man sagen: Frage, was Du für das Klima tun kannst, was Deine Stadt dafür tun kann.

so tief greifende Veränderun­g lässt sich in einer Demokratie nämlich nicht von oben diktieren – das wäre wohl nur in Nordkorea möglich. In einer Demokratie kann sich die Politik doch nur in dem Rahmen bewegen, den die Menschen ihr geben. Und wenn in Augsburg rund 6000 Menschen fürs Klima auf die Straße gehen, geben sie ein klares Zeichen, wo sie diesen Rahmen sehen. Sie haben der Stadt eine der größten Demonstrat­ionen seit Langem beschert, es waren mindestens so viele Augsburger unterwegs als während des AfD-Parteitags. Die Zahl zeigt, dass viele bereit sind, etwas zu tun.

Die größte Macht ist tatsächlic­h das Handeln – von unten her. Viele Menschen sind dort schon viel weiter als die Politik. In Augsburg gibt es seit langem Aktive in den vielen Gruppen der Lokalen Agenda. Jenseits dessen bauen sich Augsburger Passivhäus­er, obwohl das niemand verlangt. Sie kaufen Elektroaut­os (wenn sie eines bekommen). Oder sie nehmen schlicht das Fahrrad oder gehen zu Fuß statt ins Auto zu steigen. Einfacher und billiger kann man das Klima nicht schützen – und den Geldbeutel schonen. Sie warten nicht, bis die Stadt, die Bundesregi­erung oder die Welt etwas beschließe­n oder verbieten, denn sie merken: Da ist ein Problem und ich will etwas dageEine gen tun. Denn eines ist auch klar: Die Folgen werden wir spüren – jeder Einzelne, aber auch Augsburg als Stadt. Das beste Beispiel ist der Dieselskan­dal: Mit den Folgen – möglichen Fahrverbot­en – müssen sich die Städte herumschla­gen. Wenn die Sommer unerträgli­ch heiß werden, muss erst einmal die Stadtplanu­ng eingreifen. Und wenn die Menschen mehr mit Tram und Rad fahren wollen, ist die Stadt gefragt. Und sie kann handeln. Königsplat­zumbau und Fahrradsta­dt sind nur zwei Beispiele aus dem Bereich Mobilität. Es geht auch viel kleiner: Im Internet kann jeder abrufen, ob sich sein Hausdach eignet, um Sonnenstro­m zu erzeugen. Energieber­ater geben kostenlos Tipps, wo man im Haus oder in der Wohnung auch mit weniger Strom auskommt. Natürlich verringert sich der weltweite CO2-Ausstoß dadurch nur um eine lächerlich kleine Menge. Wenn aber viele Menschen und viele Städte an einem Strang ziehen, bewegt sich etwas, und es baut sich Druck nach oben auf. Daher ist es auch richtig und wichtig, dass die Augsburger Aktivisten von Fridays for Future demnächst konkrete Forderunge­n für die Stadt formuliere­n. Einen besseren Moment gibt es wohl nicht – kurz vor der Kommunalwa­hl im März 2020.

Wer handeln möchte – und es scheinen nicht wenige Menschen zu sein – hat nun die besten Chancen. Das ist ganz klar der Verdienst der Schülerinn­en und Schüler. Sie uns wachgerütt­elt. Und so wie es aussieht, werden sie auch nicht locker lassen. Das ist gut so. Danke.

Ein solcher Wandel lässt sich nicht von oben verordnen

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Foto: Bernd Hohlen Save the Planet, rettet die Erde – mit diesem Slogan am Hut war am Freitag ein Demonstran­t in Augsburg unterwegs.
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