Elke Heidenreichs Heimkehr in die Stadtbücherei
Mit großen Charme unterhält Deutschlands noch immer beliebteste „Leseanstifterin“ein längst ausverkauftes Haus: Hier kommt nicht nur der Literaturabend unserer Zeitung mit dem zehnten Geburtstag der neuen Stadtbücherei perfekt zusammen
„Damit hat alles angefangen“, sagt Elke Heidenreich. Und blickt dabei in einen ausverkauften Saal. 300 Menschen hingen gebannt, amüsiert an ihren Lippen, folgen jeder emotionalen Wendung ihres Erzählens. Sie trägt dabei die rote Jacke, die sie die fünfeinhalb Jahre ihrer bis heute öffentlichkeitswirksamsten Tätigkeit als Literaturkritikerin wie ein Markenzeichen getragen hat: als Moderatorin der „Lesen!“. Aber angefangen hat es eben mit etwas, das sehr viel mit dem Ort dieses Auftritts am Freitagabend in Augsburg zu tun hat.
Es ist die Stadtbücherei – und schon im Anlass kam ja zweierlei zusammen. Zum einen ist es der Literaturabend unserer Zeitung, wie immer im Frühling vor der Leipziger und nun wieder im Herbst vor der Frankfurter Buchmesse hier. Und zum anderen feiert die neue Stadtbücherei genau an diesem Wochenende ihren zehnten Geburtstag. Das verkündet Interimsleiterin Jutta Olbrich zur Begrüßung freudig bei einem solch festlichen Rahmen. Und im Gespräch mit Michael Schreiner, dem Feuilleton-Leiter unserer Zeitung, erzählt Heidenreich, 76, dass dieser Anlass für sie ein wesentlicher war, zu einer Lesung zu kommen, was sie sonst inzwischen viel seltner tue.
„Damit hat alles angefangen“: ihr Lesen nämlich. Als Kind einer ärmlichen Familie, das zudem oft krank war, habe sie allein durch die Stadtbücherei ihrer großen Leidenschaft des Lesens nachgehen können. Und dann durch das Schreiben von Karteikärtchen für die Bücherei sich auch noch verdient, mehr als die sonst geltende Grenze von drei Büchern ausleihen zu dürfen. „Damit hat alles angefangen“also – eine Heimkehr der Elke Heidenreich. Eine mit großem Charme.
Und wenn hier für Augsburg etwas zusammenkommt und auch für Heidenreich – auch in Augsburg kommt Heidenreich unweigerlich mit dem zusammen, was ihr immer folgt. Bereits am Nachmittag wurde sie auf der Straße angesprochen – und gefragt: „Was soll ich lesen?“Die Menschen zieht es zu dieser, wie Michael Schreiner sie nannte: „Leseanstifterin“. Nach wenigen Tagen waren alle Karten für den Auftritt vergriffen.
Weil es eben Elke Heidenreich ist, die wohl beliebteste Literaturvermittlerin Deutschlands, kam sie zwar auch als ja durchaus erfolgreiche und vielfach ausgezeichnete Autorin. Sie liest also aus ihrem bereits 2016 erschienenen GeschichtenBuch „Alles kein Zufall“. Auch hier charmante Geschichte aus ihrem Leben – und noch dazu ein so versierter Vortrag auch in verschiedenen Dialekten, dass man die ehemalige Kabarettistin in Elke Heidenreich entdeckt. Keine Überraschung: Die Schlange vor ihrem Signiertisch in der Pause war rekordverdächtig. Und weil sie seit bald 50 Jahren als Kritikerin arbeitet, kommt eben noch mal was zusammen: Mit Elke Heidenreich nimmt erstmals ein Stargast dieses Literaturabends auch an der zweiten Hälfte teil: dem Literarischen Salon.
Und da kommt wieder was zusammen. Zunächst natürlich das um den Stargast herum das bewährte Trio mit Kurt Idrizovic von der Buchhandlung am Obstmarkt, Marius Müller von der Stadtteilbücherei in Göggingen und Stefanie Wirsching als Literatur-Verantwortliche unserer Zeitung. Aber dann eben zudem im Programm Heidenreich mit dem Buch „Das Duell“von Volker Weidermann über das Verhältnis zwischen Marcel ReichRanicki und Günter Grass. MRR machte „Das Literarische Quartett“vor Heidenreichs Sendung, Weidermann macht es nun nach ihr. Mit beiden verbindet sie das Kritikersein, mit Grass das Autorsein. Und wie urteilt sie? Das Buch fand Heidenreich gut, weil es auch hinter die Kulissen der Branche leuchte. Aber viel interessanter: die Worte zu den unterschiedlichen Persönlichkeiten. Weidermann sei im Fernsehen vielleicht zu zart und leise – Reich-Ranicki aber sei „ein unfassbar bösartiger Mensch“gewesen: „Schon wenn man mit ihm im Zimmer war, war man halb vergiftet.“Und gerade als Kritiker und gerade im Verhältnis zu Grass – „ein Duell zweier Brüllaffen“– habe er sehr oft Grenzen überschritten. Heidenreich kannte ja beide uns weiß: „Eitelkeit ist das Letzte – und Reich-Ranicki war eitel“; und Grass war wirklich kurz davor sich selbst umzubringen.
Weniger hart im Ton ist es bei den anderen Büchern: Begeisterung im Quartett für den aktuell Buchpreis-nominierten Norbert Scheuer mit „Winterbienen“, mehrheitliche Leseempfehlung für Delia Owens „Der Gesang der Flusskrebse“, eingeschränkte für Ocean Vuongs „Auf Erden sind wir kurz unglaublich“. Ein schöner, anregender Abend.
Einen Einblick in Heindereichs Denken auch für alle, die nicht in der Augsburger Stadtbücherei waren, gewährte Elke Heidenreich in einem Interview, das am Montag als
in dieser Zeitung erscheinen wird. Außerdem finden Sie Impressionen von dem Literaturabend auf unserer Internetseite augsburger-allgemeine.de/ heidenreich.
„Reich-Ranicki war ein unfassbar bösartiger Mensch“