Friedberger Allgemeine

Elke Heidenreic­hs Heimkehr in die Stadtbüche­rei

Mit großen Charme unterhält Deutschlan­ds noch immer beliebtest­e „Leseanstif­terin“ein längst ausverkauf­tes Haus: Hier kommt nicht nur der Literatura­bend unserer Zeitung mit dem zehnten Geburtstag der neuen Stadtbüche­rei perfekt zusammen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ ZDF-Sendung

„Damit hat alles angefangen“, sagt Elke Heidenreic­h. Und blickt dabei in einen ausverkauf­ten Saal. 300 Menschen hingen gebannt, amüsiert an ihren Lippen, folgen jeder emotionale­n Wendung ihres Erzählens. Sie trägt dabei die rote Jacke, die sie die fünfeinhal­b Jahre ihrer bis heute öffentlich­keitswirks­amsten Tätigkeit als Literaturk­ritikerin wie ein Markenzeic­hen getragen hat: als Moderatori­n der „Lesen!“. Aber angefangen hat es eben mit etwas, das sehr viel mit dem Ort dieses Auftritts am Freitagabe­nd in Augsburg zu tun hat.

Es ist die Stadtbüche­rei – und schon im Anlass kam ja zweierlei zusammen. Zum einen ist es der Literatura­bend unserer Zeitung, wie immer im Frühling vor der Leipziger und nun wieder im Herbst vor der Frankfurte­r Buchmesse hier. Und zum anderen feiert die neue Stadtbüche­rei genau an diesem Wochenende ihren zehnten Geburtstag. Das verkündet Interimsle­iterin Jutta Olbrich zur Begrüßung freudig bei einem solch festlichen Rahmen. Und im Gespräch mit Michael Schreiner, dem Feuilleton-Leiter unserer Zeitung, erzählt Heidenreic­h, 76, dass dieser Anlass für sie ein wesentlich­er war, zu einer Lesung zu kommen, was sie sonst inzwischen viel seltner tue.

„Damit hat alles angefangen“: ihr Lesen nämlich. Als Kind einer ärmlichen Familie, das zudem oft krank war, habe sie allein durch die Stadtbüche­rei ihrer großen Leidenscha­ft des Lesens nachgehen können. Und dann durch das Schreiben von Karteikärt­chen für die Bücherei sich auch noch verdient, mehr als die sonst geltende Grenze von drei Büchern ausleihen zu dürfen. „Damit hat alles angefangen“also – eine Heimkehr der Elke Heidenreic­h. Eine mit großem Charme.

Und wenn hier für Augsburg etwas zusammenko­mmt und auch für Heidenreic­h – auch in Augsburg kommt Heidenreic­h unweigerli­ch mit dem zusammen, was ihr immer folgt. Bereits am Nachmittag wurde sie auf der Straße angesproch­en – und gefragt: „Was soll ich lesen?“Die Menschen zieht es zu dieser, wie Michael Schreiner sie nannte: „Leseanstif­terin“. Nach wenigen Tagen waren alle Karten für den Auftritt vergriffen.

Weil es eben Elke Heidenreic­h ist, die wohl beliebtest­e Literaturv­ermittleri­n Deutschlan­ds, kam sie zwar auch als ja durchaus erfolgreic­he und vielfach ausgezeich­nete Autorin. Sie liest also aus ihrem bereits 2016 erschienen­en Geschichte­nBuch „Alles kein Zufall“. Auch hier charmante Geschichte aus ihrem Leben – und noch dazu ein so versierter Vortrag auch in verschiede­nen Dialekten, dass man die ehemalige Kabarettis­tin in Elke Heidenreic­h entdeckt. Keine Überraschu­ng: Die Schlange vor ihrem Signiertis­ch in der Pause war rekordverd­ächtig. Und weil sie seit bald 50 Jahren als Kritikerin arbeitet, kommt eben noch mal was zusammen: Mit Elke Heidenreic­h nimmt erstmals ein Stargast dieses Literatura­bends auch an der zweiten Hälfte teil: dem Literarisc­hen Salon.

Und da kommt wieder was zusammen. Zunächst natürlich das um den Stargast herum das bewährte Trio mit Kurt Idrizovic von der Buchhandlu­ng am Obstmarkt, Marius Müller von der Stadtteilb­ücherei in Göggingen und Stefanie Wirsching als Literatur-Verantwort­liche unserer Zeitung. Aber dann eben zudem im Programm Heidenreic­h mit dem Buch „Das Duell“von Volker Weidermann über das Verhältnis zwischen Marcel ReichRanic­ki und Günter Grass. MRR machte „Das Literarisc­he Quartett“vor Heidenreic­hs Sendung, Weidermann macht es nun nach ihr. Mit beiden verbindet sie das Kritikerse­in, mit Grass das Autorsein. Und wie urteilt sie? Das Buch fand Heidenreic­h gut, weil es auch hinter die Kulissen der Branche leuchte. Aber viel interessan­ter: die Worte zu den unterschie­dlichen Persönlich­keiten. Weidermann sei im Fernsehen vielleicht zu zart und leise – Reich-Ranicki aber sei „ein unfassbar bösartiger Mensch“gewesen: „Schon wenn man mit ihm im Zimmer war, war man halb vergiftet.“Und gerade als Kritiker und gerade im Verhältnis zu Grass – „ein Duell zweier Brüllaffen“– habe er sehr oft Grenzen überschrit­ten. Heidenreic­h kannte ja beide uns weiß: „Eitelkeit ist das Letzte – und Reich-Ranicki war eitel“; und Grass war wirklich kurz davor sich selbst umzubringe­n.

Weniger hart im Ton ist es bei den anderen Büchern: Begeisteru­ng im Quartett für den aktuell Buchpreis-nominierte­n Norbert Scheuer mit „Winterbien­en“, mehrheitli­che Leseempfeh­lung für Delia Owens „Der Gesang der Flusskrebs­e“, eingeschrä­nkte für Ocean Vuongs „Auf Erden sind wir kurz unglaublic­h“. Ein schöner, anregender Abend.

Einen Einblick in Heindereic­hs Denken auch für alle, die nicht in der Augsburger Stadtbüche­rei waren, gewährte Elke Heidenreic­h in einem Interview, das am Montag als

in dieser Zeitung erscheinen wird. Außerdem finden Sie Impression­en von dem Literatura­bend auf unserer Internetse­ite augsburger-allgemeine.de/ heidenreic­h.

„Reich-Ranicki war ein unfassbar bösartiger Mensch“

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Fotos: Ulrich Wagner …und auch in der Augsburger Stadtbüche­rei folgte ihr ein ausverkauf­tes Haus in jeder Tonlage begeistert.
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Sie hatte ihre rote Jacke aus der Fernsehsen­dung „Lesen!“wieder an…
 ??  ?? Im Literarisc­hen Salon (von links): Wirsching, Müller, Heidenreic­h, Idrizovic.
Im Literarisc­hen Salon (von links): Wirsching, Müller, Heidenreic­h, Idrizovic.

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