Friedberger Allgemeine

Ian Andersons Flöte fehlt niemandem

Im Spectrum erinnert Martin Barre an die Songs seiner Ex-Band Jethro Tull

- VON CHRISTIAN GÖGLER

Martin Barre war zwischen 1968 und 2012 Lead-Gitarrist von Jethro Tull. Seit ihrer Auflösung 2012 spielt Martin Barre seine eigenen Fassungen der Tull-Stücke. Doch offenbar erinnern sich nicht mehr viele Fans an den versierten Gitarriste­n. Im Spectrum fackelte Barre vor spärlichem, aber hoch aufmerksam­em Publikum in der Hauptsache Stücke seiner ehemaligen Band ab.

Den Namen seines einstigen Kollegen, Kopf und Flötisten von Jethro Tull – Ian Anderson – mit dem er 44 Jahre Studio und Bühne teilte, erwähnt Martin Barre in Augsburg mit keiner Silbe. Dass das Ende von Jethro Tull nicht ganz einvernehm­lich ablief, zeigt sich auch darin, dass Barre seine eigene Version der 50-Jahre-Jethro-Tull-JubiläumsC­D produziert­e, wo er unter „MLB: Martin Lancelot Barre“firmiert.

Für die Bühne hat der agile 72-jährige Brite eine famose Truppe aus erfahrenen und technisch sattelfest­en Musikern um sich geschart, darunter der renommiert­e Bassist Alan Thomson, der u. a. mit Geezer Butler, David Gilmour und Rick Wakeman tourte und Songs aufnahm. Nun ist Jethro Tulls Musik keine einfache, sondern hoch komplexe Rockmusik mit verquerer Rhythmik, unzähligen Breaks und Wechseln in Tempo, Lautstärke, Stil und Atmosphäre. Musik, die in den 1970er Jahren richtig angesagt und heute durch alle Popularitä­tsraster fiele.

Auch der Live-Sound im Spectrum erhält eine starke 70er Schlagseit­e. Ohne Keyboards aber klingt er klarer, staubtrock­en und wohltuend entschlack­t. Härter und knackiger noch mit zwei Gitarren, dafür gänzlich ohne Querflöte, dem Markenund Erkennungs­zeichen Jethro Tulls. Und, welch Wunder, sie fehlt niemandem. Manches Solo an der E-Gitarre spielt Barre oft melodiös als Twin Leads gemeinsam mit Dan Crisp. Für diese Tour hat Martin Barre tief im Fundus von Jethro Tull gewühlt und manche Raritäten wieder ans Tageslicht und auf die Bühne befördert. „To cry you a Song“oder „Teacher“vom „Aqualung-Album“sind solche. Die wenigen Barre-Songs im Konzert hätten genauso gut auf einer Tull-Scheibe Platz finden können.

Crisps weiche Stimme gibt den Tull-Stücken ihren Wohlklang zurück, während Anderson auf seinen letzten Konzerten immer näher an die Grenzen seiner Belastbark­eit kam. Dessen Stimme wirkte heiser und brach in hohen Tonlagen oft ganz weg. Bei der stimmliche­n Variabilit­ät von Dan Crisp sind die alten Songs nun wieder ein Genuss.

Eine Kuriosität passiert beim letzten Song: Crisps Gesangsmik­rofon fällt aus. Barre reicht ihm seines, aber auch das funktionie­rt nicht. So spielt die Band – sozusagen in der Maxi-Version – einige Minuten nur das Riff von „Locomotive Breath“ohne Text in Schleife weiter. Bis schließlic­h der Fehler gefunden ist und der Gesang einsetzt. Wie im Spectrum hat man den Rock-Klassiker wohl noch nie gehört. So echt und ungefilter­t klingt Musik nur in einem Live-Klub.

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Foto: Christian Gögler Martin Barre (im Vordergrun­d) war Gitarrist von Jethro Tull. Dass die Songs immer noch zünden, zeigte sich jetzt im Spectrum.

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