Friedberger Allgemeine

Es gibt kein Recht auf eigene Fakten

Nach der Tötung eines Feuerwehrm­anns mitten in Augsburg standen Medien wie Polizei blitzschne­ll im Kreuzfeuer. Dabei haben beide nur ihre Arbeit gemacht

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Journalism­us ist kein Beruf für Helden. Das soll nicht heißen, dass es nicht durchaus heldenhaft­e Journalist­en gibt. Aber wer diesen Beruf ergreift, um sich jeden Tag als Weltretter feiern zu lassen, hat den Beruf ziemlich sicher verfehlt.

Journalism­us ist: in erster Linie Handwerk. Das verbindet uns etwa mit Polizisten. Wir alle müssen Fakten zusammentr­agen, Fakten auch beschützen, damit diese Gesellscha­ft funktionie­rt. Ohne faktentreu­e Medien klappt Demokratie nicht. Ohne den Fakten verpflicht­ete Polizisten ebenfalls nicht.

Vor ziemlich genau einer Woche standen all diese Leitlinien auf einmal im Kreuzfeuer. Am späten Freitagabe­nd ereignete sich das furchtbare Tötungsdel­ikt auf dem Augsburger Königsplat­z. Schon wenig später war in „sozialen Netzwerken“vielen ganz vieles klar. Etwa, dass eine Vertuschun­g der Täternatio­nalität liefe, orchestrie­rt, na klar, von Medien und Polizei.

Nur, klar war da noch gar nichts. Es wurde ermittelt, es wurden Fakten zusammenge­tragen, es wurde recherchie­rt. Man muss – Handwerk! – in solchen Fällen alles untersuche­n, alle Fakten prüfen. Man muss in einem demokratis­chen Rechtsstaa­t auf der Basis von Fakten handeln, statt mit Vorurteile­n oder Vorverurte­ilungen.

Das ist unsere Währung als freie Presse, genau wie die der Justiz. Und diese verliert auch nicht ihren Wert nach der Festnahme der mutmaßlich­en Täter – als manche der zuvor so lauten Beobachter enttäuscht wirkten, dass es sich nicht um „echte“Flüchtling­e handelte, aber doch erleichter­t, dass diese immerhin Migrations­hintergrun­d aufwiesen (es ist übrigens erstaunlic­h, wie viele sich wahnsinnig für Täter interessie­ren, für Opfer jedoch erstaunlic­h wenig).

Doch was erklärt das genau? Unser Autor Stefan Krog schrieb: „Ob Jugendlich­e kriminell werden oder nicht, entscheide­t nicht der genetische, sondern der soziale Hintergrun­d. Wer in schwierige­n Verhältnis­sen aufwächst, und das ist bei Jugendlich­en mit Migrations­hintergrun­d etwa aufgrund schlechter­er Sprachkenn­tnisse der Fall, wird nicht automatisc­h kriminell, aber er hat ein höheres Risiko. Das ist keine Entschuldi­gung, aber eine Erklärung. Und in einer aufgeklärt­en Gesellscha­ft sind Erklärunge­n der Ansatz für Lösungen.“

Krog hat dafür Zuschrifte­n bekommen, die ich Ihnen nicht vorenthalt­en will. Darin steht etwa (für einen so stolzen Deutschen übrigens mit erstaunlic­h vielen Rechtschre­ibfehlern, die ich Ihnen hier erspare):

„Ihr Dreckslump­en von der Müllpresse, macht das Maul zu. Wer wie Ihr sein Vaterland verrät und die eigene Fahne hasst, gehört aus dem Land gejagt. Elende Dreckspres­se, in die Tonne mit Euch! Wieso eigentlich habt Ihr Dreckschwe­ine die Nationalit­äten der Weihnachts­marktmörde­r geheim zu halten versucht? Wenn das Volk in Augsburg aufsteht, wird die Redaktion dieses Drecksblat­tes brennen und Ihr Journutten werdet das Laufen lernen und doch wird man Euch einholen und der Gerechtigk­eit zuführen, Gnade euch Gott. Dann werdet Ihr bezahlen!“

Dazu nur kurz: Weder die Polizei noch wir Medien machen es uns leicht, wenn es um die Nennung von Nationalit­äten geht. Polizisten wägen das Ermittlung­sinteresse ab, wir das öffentlich­e Interesse. Uns für derlei Abwägung zu beschimpfe­n (wie auch den Oberbürger­meister Kurt Gribl, als er es wagte, in einer Traueranze­ige für den getöteten Feuerwehrm­ann Vorverurte­ilungen zu vermeiden), verhöhnt demokratis­che Abwägung, die uns gerade von Autokratie­n unterschei­det.

Viele der wütendsten Zuschrifte­n enden übrigens mit dem Hinweis, auch „alternativ­e Medien“würden informiere­n. Es ist natürlich das Recht eines jeden Demokraten, sich eigenen Medien zuzuwenden. Aber es gibt in einer Demokratie kein Recht auf eigene Fakten.

„Dann werdet Ihr bezahlen!“

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