Wie Kinder unter der Krise leiden
Jugendhelfer, Kinderschutzbund und Kommunalverbände warnen vor zunehmender Gewalt in Familien. Trotz steigender Probleme fühlen sich ausgerechnet die Kinderheime von Politik und Behörden im Stich gelassen
Noch schaffen es die Betreuer in der Jugendhilferichtung „Zuhause auf Gut Hemerten“, dass die Stimmung unter den 19 Kindern und Jugendlichen in der CoronaKrise nicht kippt. Die freie Jugendhilfe-Einrichtung in Münster im Landkreis Donau-Ries kümmert sich um schwer traumatisierte Minderjährige. „Derzeit wird uns wie wohl auch vielen Eltern bewusst, wie viel eigentlich Lehrer in der Schule leisten“, sagt der pädagogischer Leiter des kleinen Heims, Patrick Heining. „Einen Lehrer können weder wir noch all die Apps und per E-Mail verschickten Arbeitsblätter ersetzen.“Dass derzeit die Schule ausfällt, ist für zahllose Heime und Jugendhilfe-Einrichtungen in Deutschland ein Riesenproblem.
„Unsere Einrichtungen schließen nicht, sondern arbeiten rund um die Uhr weiter“, sagt Max Ruf vom Dachverband für private Träger in der Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe VPK in Bayern. „Unser Problem ist, dass wir nun auch die Vormittagszeiten in der Betreuung abdecken.“Doch die überwiegende Zahl der 96 bayerischen Landratsämter sei bislang nicht bereit, die zusätzliche Leistung zu bezahlen. Nur das Landratsamt Unterallgäu habe die Übernahme der Kosten angekündigt. „Unsere Träger werden hier im Stich gelassen, obwohl öffentlich stets bekundet wird, wie wichtig deren Arbeit ist“, kritisiert Ruf.
Auch der Geschäftsführer des kleinen Heims in Münster, Christian Heining, hat das gleiche Problem: Überstunden, die unsere Mitarbeiter aus großem Engagement leisten, jemals erstattet bekommen.“
Dabei leisteten die Heimpädagogen immens viel: „Die Krise zehrt an den Nerven aller: Wir betreuen stark traumatisierte Kinder, die un„Uns dass die häusliche Gewalt zunimmt, lesen von Familientragödien, Verzweiflungstaten und dramatischen wirtschaftlichen Folgen“, warnt Heining. „Da kommt noch viel Arbeit auf die Jugendhilfe zu.“
Dies sieht auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund so: „Es besteht die Befürchtung, dass es durch die Ausgangsbeschränkungen und die Kontaktsperre in den nächsten Wochen verstärkt zu Gewalt in Familien kommen kann“, warnt Städtebund-Geschäftsführer Gerd Landsberg.
„Problematisch ist, dass persönliche Kontakte zwischen Jugendämtern und Familien derzeit die Ausnahme sind“, betont er. „Die Kinder besuchen auch nicht mehr die Kitas, die Schule oder die Sportvereine, Orte, an denen ein möglicher Missbrauch entdeckt werden könndie te.“Jugendämter versuchten nun über Telefon, Mail oder Videoanrufe Kontakt zu den Familien mit Hilfebedarf zu halten. In Härtefällen würden die Kinder oftmals weiter in Kitas und Schulen betreut. „Notwendig wäre es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern zu den systemrelevanten Berufen zu zählen und sie mit Schutzkleidung auszustatten. Dann könnten auch Hausbesuche stattfinden.“
Belastbare Zahlen, die einen Anstieg von Gewalt belegen, lägen bislang nicht vor. Die Signale sind widersprüchlich, berichtet der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. „Die bundesweite Beratungshotline Nummer-gegen-Kummer verzeichnet aktuell etwa 20 Prozent mehr Anrufe von Eltern und Kindern, die sich mit ihren Sorgen dorthin wenden.“Zugleich berichteten Jugendämter aber von abnehmenden Fremdmeldungen von Kindeswohlgefährdungen. „Die abnehmenden Meldungen haben wohl eher ihre Ursache darin, dass übliche Frühwarnsysteme wie Kita, Schule und Kinderärzte aktuell entweder eingestellt sind oder nur noch im Notbetrieb arbeiten.“
Das größte Problem sei, dass in vielen ärmeren Familien zu beengten Wohnverhältnissen nun auch noch die Angst vor dem Verlust der Arbeit komme. Hilgers fordert eine unbürokratischen Zahlung von 90 Euro pro Kind und Monat als Sofort-Nothilfe: „Wer Armut und Existenzsorgen lindert, der trägt ganz konkret auch zu Gewaltprävention bei“, betont der Kinderschutzbund-Präsident.
Viele Frühwarnsysteme funktionieren nicht mehr