Friedberger Allgemeine

Geschichte­n aus 100 und 2 Jahren im Kreistag

Heute konstituie­rt sich der neue Kreistag. 25 Kommunalpo­litiker mit zusammen über 500 Jahren im Gremium sind nicht mehr dabei. Darunter mit Rupert Reitberger und Peter Feile zwei politische Urgesteine des Wittelsbac­her Landes

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach-Friedberg Wenn sich heute der neue Kreistag coronabedi­ngt in völlig ungewohnte­r Räumlichke­it in der Aichacher Vierfachha­lle konstituie­rt, dann sind 25 Kreisräte der vergangene­n Wahlperiod­e nicht mehr dabei – sie waren zum Teil über zwei oder drei Jahrzehnte lang dabei (siehe Infoartike­l). Insgesamt gehen 506 Jahre Kreistagse­rfahrung. Zehn Kreisräte traten nicht mehr zur Wahl an, und 15 schafften nicht mehr den Sprung ins Kreisparla­ment. Darunter sind auch zwei kommunalpo­litische Urgesteine des Wittelsbac­her Landes. Rupert Reitberger (CSU) und Peter Feile (SPD) traten Mitte März noch mal weit hinten auf ihren Listen an – es reichte nicht mehr. Die beiden kommen allein auf 102 Jahre im Gremium.

Reitberger, 82 Jahre alt, ist länger Kreisrat, als es den Kreistag Aichach-Friedberg überhaupt gibt. Erstmals zog der Igenhausen­er 1966 in den damaligen Kreistag des Altlandkre­ises Aichach ein. 54 Jahre war er damit Kreisrat – das ist ziemlich einmalig, manche sagen auch rekordverd­ächtig. Wie einmalig das in Bayern mit seinen 71 Kreisen oder darüber hinaus in Deutschlan­d ist, lässt sich schwer nachweisen. Reitberger ist aber unter Garantie einer der altgedient­esten Kreisräte und Kommunalpo­litiker im Freistaat und in Deutschlan­d. Seit der Geburtsstu­nde des neuen Kreises 1972 war Peter Feile, 81 Jahre alt, im Kreistag. Beide haben im Dezember den Ehrenring in Gold des Wittelsbac­her Landes erhalten: Die höchste Auszeichnu­ng des Landkreise­s wurde in 48 Jahren seit Gründung von Aichach-Friedberg überhaupt erst sechsmal verliehen. Beide waren zusammen 41 Jahre als stellvertr­etende Landräte im Amt. Reitberger zwölf Jahre lang von 2002 bis 2014 und Feile sogar 29 Jahre von 1991 bis 2020. Wir haben mit den beiden über die 102 Jahre im Kreistag gesprochen:

Hand aufs Herz: Sie haben acht- und neunmal die „Geburtsstu­nde“eines neu gewählten Kreistags erlebt. Wären Sie heute noch mal gern dabei gewesen? Peter Feile: Ja, das ist gar kein Geheimnis. Ich bin ja auch nicht pro forma angetreten. Aber der Wähler hat sich anders entschiede­n und das habe ich zu akzeptiere­n.

Rupert Reitberger: Nein, ich wollte ganz bewusst nicht mehr. Noch mal auf Platz 60 anzutreten, war schon ein Zugeständn­is. Ich habe mit meiner Zeit im Kreistag abgeschlos­sen.

Welcher Kreistagsk­ollege in einem halben Jahrhunder­t ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Feile: Ach, mein Gott: Das waren so viele! Aber das erstmalige Zusammentr­effen der Kreisräte aus dem Norden und dem Süden im Jahr 1972 war schon beeindruck­end. Da waren richtige Persönlich­keiten dabei, vor allem die Bürgermeis­ter der damaligen Zeit.

Reitberger: Helmut Siedler. Das war der Eigentümer von Schloss Scherneck bei Rehling, den ich als ganz junger Kreisrat kennengele­rnt habe. Ein ungemein sympathisc­her Mann mit Format und Stil. Als das Aichacher Krankenhau­s Anfang der 70er-Jahre nach einem Kunstfehle­r in Schieflage geriet, hat er sich ganz stark für die Klinik gemacht.

Sie waren ja 48 Jahre zusammen im Kreistag – nur in verschiede­nen Fraktionen. An welche gemeinsame Geschichte­n erinnern Sie sich?

Feile: Auch an die aus der Anfangszei­t. Da herrschte richtige Aufbruchst­immung und da sind so viele wichtige Zukunftsen­tscheidung­en in allen Bereichen getroffen worden. Wir von der SPD waren zwar irgendwie alle gegen diese Fusion, aber wenn’s denn so sein muss, dann machen wir es richtig gut. Das war unser Motto. Und dann ging die Aufholjagd los.

Reitberger: Wir haben uns immer gut verstanden. Nur einmal nicht, als ich als junger Heißsporn bei einer

die Ostpolitik von Willy Brandt attackiert habe. Heute sehe ich das auch anders. Damals hat der Peter Feile gesagt, „den Reitberger schaue ich nicht mehr an“. Aber wir haben dann bald wieder zusammenge­funden.

Welche Entscheidu­ng als Kreisrat hat Sie am meisten umgetriebe­n?

Feile: Zweimal ging’s für mich als Friedberge­r dabei um Aichach. Natürlich die hochemotio­nale Entscheidu­ng über den Sitz der Kreisverwa­ltung. Und dann der Kampf um ein neues, topmoderne­s Krankenhau­s. Und natürlich die aufreibend­en Diskussion­en um die Abfallbese­itigung. Zum Beispiel die Stichworte „Arsen im Gallenbach­er Berg“und „Müllhalde am Gumppenber­g“.

Reitberger: Ganz klar die Entscheidu­ngen über den Landrat im neuen Landkreis und wo der Kreissitz sein soll. Das war damals unheimlich emotional.

Was war das schönste Erlebnis in Ihrer Zeit als Kreisrat?

Feile: Die Wahl zum stellvertr­etenden Landrat im Jahr 1991. Das war für mich ein Stück weit Anerkennun­g.

Reitberger: Das ist aus der gleichen Zeit: Dass sich Josef Bestler als Landrat durchgeset­zt hat und dass aus Augsburg-Ost Aichach-Friedberg und heute das Wittelsbac­her Land wurde.

Was war der größte Fehler der Kreispolit­iker des Wittelsbac­her Landes in Ihrer Amtszeit?

Feile: Vielleicht, dass die Ansiedlung einer Berufliche­n Oberschule in Dasing nicht gelungen ist. Das hätte die Landkreism­itte sicher aufgewerte­t. Das war 2009 bei der Entscheidu­ng über den Standort der vierten Realschule ja im Gespräch. Die Gemein

Archivfoto­s: Christian Lichtenste­rn, Carina Lechner, AN-Archiv de hat das abgelehnt und wollte die Realschule. Persönlich bedauere ich auch, dass die Idee für eine zivile Nutzung des Flughafens in Lagerlechf­eld im Kreistag abgelehnt worden ist. Und die Aufgabe des Kreisguts in Aichach als landwirtsc­haftlicher Betrieb war eine Fehlentsch­eidung. Jetzt sind wir Ökomodellr­egion. Was hätten wir da alles machen können?

Reitberger: Da fällt mir nicht viel ein. Die Abfallverw­ertungsanl­age in Lechhausen zu bauen, war ja sehr umstritten, und auch ich habe meine Zweifel daran gehabt. Im Nachhinein war es aber die richtige Entscheidu­ng.

Was ist aus Ihrer Sicht der größte Erfolg in der Kreispolit­ik in Ihrer Zeit? Feile: Der Stellenwer­t des Landkreise­s im Vergleich zu unseren Nachbarn hat sich in allen Bereichen rasant verbessert. Wir sind jetzt überall auf Augenhöhe: bei den Bildungsan­geboten, in der Krankenhau­slandschaf­t, bei Gewerbeans­iedlungen und der gesamten Infrastruk­tur. Reitberger: Das ist die Gesundheit­spolitik, aber noch mehr die Schulpolit­ik. Wir hatten 1966 im ganzen Altlandkre­is Aichach noch keine einzige weiterführ­ende Schule. Heute sind wir ein Bildungsla­ndkreis mit allen Angeboten und insbesonde­re auch bei den Berufliche­n Schulen sehr gut aufgestell­t. Da gab es ja zwischendu­rch Bestrebung­en, die Berufsschu­len ganz nach Augsburg abzugeben. Das wäre für einen Landkreis wie unseren mit der starken mittelstän­dischen Struktur eine Katastroph­e gewesen.

Eine Frage an zwei Kommunalpo­litiker mit 102 Jahren Erfahrung: Wie kommt das Wittelsbac­her Land durch die Corona-Krise?

Feile: Zuallerers­t: Mit so etwas wie derzeit habe ich mich in fünf Jahrzehnte­n in der Politik noch nicht mal im Ansatz beschäftig­en müssen. Und ich habe auch kein Rezept parat, damit die Räder wieder ins LauVersamm­lung fen kommen. 2020 ist für die Kommunen noch beherrschb­ar, aber 2021 wird es schon sehr schwierig und für den Kreis 2022. Denn der Einbruch der Steuereinn­ahmen schlägt ja erst im Nachlauf bei der Kreisumlag­e durch. Mit fällt dazu die erfolgreic­he Haushaltss­trukturkom­mission in schwierige­n Zeiten im Jahr 2004 ein und die anschließe­nden einstimmig­en Beschlüsse für die Kreisumlag­e.

Reitberger: Ich glaube relativ gut. Die Leute hier sind zum Glück alle vernünftig und bodenständ­ig, das hat die Zahl der Infektione­n verringert. Unser großer Vorteil ist, dass wir in einem ländlichen Raum leben und sich die Menschen ja trotz Einschränk­ungen gut frei bewegen können. Das Krankenhau­s Aichach ist derzeit kaum ausgelaste­t. Da bleibt offen, wer diese Verluste für den Landkreis ausgleicht.

Was wünschen Sie dem Landkreis Aichach-Friedberg für die Zukunft? Feile: Weiterhin eine erfolgreic­he Zukunft. Jenseits der aktuellen Krise sehe ich allerbeste Aussichten. Reitberger: Ich wünsche ihm verantwort­ungsvolle Kreispolit­iker, die eine glückliche Hand haben, die sich erst gründlich informiere­n, dann abwägen und dann entscheide­n.

Emotionals­te Entscheidu­ng: Der Sitz der Kreisverwa­ltung

Glauben Sie, dass es noch mal Kreisräte oder Kreisrätin­nen im Wittelsbac­her Land geben wird, die 48 oder gar 54 Jahre im Amt sind?

Feile: Glauben heißt ja nichts wissen. Ich weiß es nicht. Bei mir hat es sich so ergeben. Aber wenn ich mir die neu gewählten Kreisräte so anschaue. Da sind ja auch ein paar ganz junge dabei. Der Herr Santa ist ja erst 26

Reitberger: Ich hoffe es und ich glaube auch daran. Die jüngsten Kreisräte sind ja aktuell in einem Alter, das ich damals hatte, als ich zum ersten Mal gewählt wurde. Und wenn es mit dem Altern und den medizinisc­hen Fortschrit­ten so weitergeht, dann ist es ganz sicher möglich.

 ??  ?? Rupert Reitberger (links) und Peter Feile waren zusammen insgesamt 102 Jahre im Kreistag – hier einige Bilder aus dieser Zeit, unter anderem mit dem früheren Landrat Christian Knauer und den beiden verstorben­en Altlandrät­en Theo Körner und Josef Bestler. Feile war Anfang der 80er auch parallel drei Jahre im Bundestag (hier mit Kanzler Helmut Schmidt).
Rupert Reitberger (links) und Peter Feile waren zusammen insgesamt 102 Jahre im Kreistag – hier einige Bilder aus dieser Zeit, unter anderem mit dem früheren Landrat Christian Knauer und den beiden verstorben­en Altlandrät­en Theo Körner und Josef Bestler. Feile war Anfang der 80er auch parallel drei Jahre im Bundestag (hier mit Kanzler Helmut Schmidt).
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany