Die Liebe in Zeiten der Pandemie
Corona kommt – und Länder machen ihre Grenzen dicht. Für Paare, die in unterschiedlichen Ländern leben, heißt das: Sie haben keine Chance, sich zu treffen
Nun schauen sie sich also in die Augen. Judith und Daniel, 26 und 25 Jahre alt. Seit drei Jahren sind sie ein Liebespaar. Eigentlich würden sich die beiden in die Arme schließen. Stattdessen sitzen sie vor ihrem Laptop, einer Maschine aus Plastik und Drähten. Sie bei Wolfsburg, er in Lyon. Ohne Aussicht auf das nächste Treffen.
„Ich will nur eine Perspektive“, sagt Judith. „Es ist schrecklich“, sagt Daniel.
Vor ein paar Wochen noch lebte das Paar in einem Europa mit offenen Grenzen, besuchte sich regelmäßig im Land des jeweils anderen. Das Datum des nächsten Besuchs war ein verlässlicher Fixpunkt, der die Distanz erträglich machte. 1000 Kilometer – einfach.
Dann kam Corona. Die Schlagbäume fielen. Der Gedanke dahinter: Wer Grenzen schließt, unterbindet Kontakte und bekämpft Corona. Viele hielten das anfangs für eine gute Idee, inzwischen aber mehren sich die kritischen Stimmen. Muss es für Liebespaare und Familien nicht eine Ausnahme geben?
Nach Deutschland kann derzeit nur einreisen, wer Deutscher ist oder einen dringenden Grund nachweisen kann – zum Beispiel den Besuch des Ehepartners. Das Problem: Für Paare, die ihre Partnerschaft nicht beweisen können, ist an der Grenze meist Stopp. An den Grenzen vieler anderer Länder wie der Schweiz, Frankreich oder Polen sieht es ähnlich aus. Eine grenzüberschreitende Beziehung in Zeiten von Corona? Kompliziert.
So geht es auch Christine aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis, die sich um ihren kranken Partner in der Schweiz sorgt. Ulrich aus der Nähe von Hamburg, der seine französische Freundin Myriam vermisst. Brigitte aus dem Unterallgäu, die ihren Franco das letzte Mal vor zwölf Wochen am Gardasee besucht hat. Oder eben Judith und Daniel, die neben der Sehnsucht auch ein Datum plagt: der 6. Juni.
Dann will das Paar heiraten. Nicht in Frankreich, nicht in Deutschland – sondern in Dänemark. Weil der bürokratische Aufwand dort erträglicher sei für einen Nicht-EU-Bürger wie Daniel, der aus Nigeria stammt. Noch eine geschlossene Grenze mehr also.
Judith und Daniel, Ulrich und Myriam, Brigitte und Franco: Jedes dieser Schicksale ist einzigartig. Aber alle erzählen dieselbe Geschichte von Sehnsucht und enttäuschter Hoffnung. Und es sind immer mehr Menschen, die diese Gefühle nicht mehr ertragen wollen oder können: Verschiedene OnlinePetitionen kommen inzwischen auf rund 30000 Unterstützer. Die Forderungen: Paare und Familien sollen Grenzen auch in Zeiten der Pandemie leichter überqueren dürfen.
Eine dieser Petitionen stammt vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften, der nach eigenen Angaben jährlich 20000 Anfragen von durch Grenzen getrennten Partnern bekommt und sie juristisch oder psychosozial berät. „Corona wirkt wie ein Brennglas. Die Anfragen haben sehr zugenommen“, sagt Sprecherin Carmen Colinas.
Deshalb hat sie die Petition gestartet, die bislang von rund 3000 Menschen unterzeichnet wurde. Es gehe darum, sichtbar zu machen, dass unzählige Paare und Familien unter den geschlossenen Grenzen leiden würden. Und die Situation sei ernst. „Viele drehen durch“, sagt Colinas. Das Schmerzhafte für viele Paare sei vor allem der fehlende Fixpunkt: Wann sehe ich den anderen wieder? In einer Woche, im Sommer, erst im Herbst?
Weil die Situation so dramatisch sei, ist in diesen Tagen ein offener Brief nach Berlin unterwegs. Einer der Adressaten: Bundesinnenminister Horst Seehofer, sozusagen der Herr über die Grenzen. Ob Seehofer diese Forderungen ernst nimmt? Eine entsprechende Anfrage an das Bundesinnenministerium bleibt trotz Nachfrage unbeantwortet.
„Es nervt. Du fühlst diese Leere, es ist wirklich schlimm“, sagt Daniel. Er und seine Verlobte schmieden nun die wildesten Pläne. Wäre es möglich, über die Schweiz nach Deutschland einzureisen und weiter nach Dänemark? Oder gibt es vielleicht doch eine Flugverbindung?
Judith sagt: „Ich bin jetzt an einem Punkt, wo mir egal ist, wer kommt. Ich möchte einfach heiraten!“Dann hätten sie und Daniel endlich „dieses Stück Papier“und niemand könne sie mehr voneinander trennen. Die Ehe, für das binationale Paar ist sie nicht nur ein Akt – sie ist auch eine Art Fahrkarte, die sie in einem Europa der geschlossenen Grenzen dringend brauchen.
Ulrich aus Hamburg hat seine Sachen gepackt und ins Auto verladen. Die Kunden des selbstständigen Handwerkers wissen es bereits: Sobald die Grenzen öffnen, ist Ulrich weg. Lässt alles stehen und liegen. Fährt 1500 Kilometer, immer Richtung Südwesten bis nach Bordeaux. Brigitte aus dem Unterallgäu will gemeinsam mit ihrem Partner einen Bungalow in Italien errichten. Ein Rückzugsort für Franco und sie. Es ist ihr Zukunftsprojekt.
Judith und Daniel sehnen sich danach, die Grenzen nach Deutschland und Dänemark zu überwinden. Dass sie sich das Jawort geben können. Vielleicht sogar vor einer Handvoll Gäste. Möglicherweise spielt sogar das Wetter mit bei der Feier direkt am Fuße eines Leuchtturms. Zumindest Träumen sind ja keine Grenzen gesetzt.