Besuchsregeln bringen Altenheime in Bedrängnis
Das Ende des Besuchsverbots kam überraschend. Zum Muttertag gab es einen Ansturm an Besuchern – und manche benahmen sich daneben. Ein Heimleiter sagt, das Personal sei „belächelt“und „verhöhnt“worden
Helene Wiedemann lebt mit ihrem Mann im Augsburger SparkassenAltenheim. Die Seniorin hätte gerne wieder einmal ihre Tochter getroffen, erst recht am vergangenen Wochenende. Doch ihre Sorge vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus war zu groß. Sie sagt: „Am Muttertag sind wir lieber auf unserem Zimmer geblieben.“Viele Menschen nutzten zum Muttertag die Gelegenheit, um nach wochenlanger Trennung ihre Verwandten wieder zu besuchen. Das Besuchsverbot in den Heimen ist aufgehoben. Doch was für die Angehörigen ein Grund zur Freude ist, war für die Verantwortlichen in den Heimen vor allem Stress. Und trotz umfassender Hygienebemühungen wollte sich, wie das Ehepaar Wiedemann, nicht jeder dem Risiko aussetzen.
Die neuen Regeln kamen überraschend. „Wir hätten uns ein bisschen mehr Vorlauf gewünscht“, sagt die Leiterin der städtischen Altenhilfe, Susanne Greger. Die Stadt betreibt sechs Einrichtungen für Senioren mit rund 600 Mitarbeitern und um die 800 Pflegeplätzen. Eine Woche mehr Zeit vor dem großen Ansturm zum Muttertag hätte nach ihrer Ansicht viel Druck von ihren Mitarbeitern genommen. Wenige Minuten nach der Pressekonferenz von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), bei der die Lockerungen bekannt gegeben worden waren, habe das Telefon in den Einrichtungen nicht mehr stillgestanden, berichtet Greger. Angehörige wollten wissen, wann sie endlich wieder zu Besuch kommen dürften.
Gerade mal drei Tage habe man Zeit gehabt, um ein äußerst komplexes Hygiene- und Registrierungskonzept in den Heimen auf die Beine zu stellen. Schließlich gehören alte Menschen zur Hauptrisikogruppe bei Covid-19 und müssen deshalb besonders geschützt werden. „Die Ankündigung hat uns völlig überrascht“, so die Leiterin. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Altenheime zu kleinen sicheren „Inseln“entwickelt, wo die Senioren größtenteils ohne Einfluss von außen vor dem Virus geschützt werden konnten. Susanne Greger macht aus ihrer Skepsis keinen Hehl. „Die neue Situation sehe ich als sehr riskant an. Die Träger müssen viel übernehmen, wenn Kontakt von außen wieder zugelassen wird“, gibt sie zu bedenken.
Auf Basis der bayerischen Infektionsschutzregeln und den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts wurde in aller Eile ein Konzept mit strengen Hygiene- und Sicherheitsauflagen erarbeitet. So waren Besuche in den Zimmern, bis auf wenige Ausnahmen, nicht möglich. Je nach den Voraussetzungen in den Heime traf man sich im Speisesaal, im Empfangsbereich oder an Tischen und in Pavillons im Freien. Im Seniorenzentrum Servatiusstift etwa wurde sogar eine eigene Besucherbox eingebaut. Hier sitzen Bewohner und Besucher durch eine Scheibe getrennt. So wird das Risiko einer Ansteckung vermieden. Allerdings ist die Atmosphäre auch sehr steril.
Viel Aufwandmache die Registrierung jedes einzelnen Besucher sagt Susanne Greger. Um im Fall einer Ansteckung mit Corona den Kontakt nachvollziehen zu können, entwickelte die Altenhilfe ein eigenes Selbstauskunftsformular, das jeVerantwortung der Besucher ausfüllen muss. Aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung waren daran auch zahlreiche juristische Fragen geknüpft. „Wir wissen immer noch nicht, wie lange wir die Daten aufheben müssen“, sagt Greger. Während des ersten Besucheransturms am Samstag und am Muttertag erklärten Mitarbeiter der Einrichtungen den Besuchern geduldig die Notwendigkeit der Formulare. Dazu kam Händedesinfektion und ein Gesundheitscheck mit Messung der Körpertemperatur. „Alleine das hat viele
Mitarbeiter gebunden“, so die Chefin.
Das Bedürfnis nach Kontakt ist groß. So kamen im Sparkassen-Altenheim am Wochenende rund 50 Besucher pro Tag, im Haus Lechrain waren es über 60 und im Servatiusstift 55 Besucher. „Das ist erheblich mehr als an einem normalen Besuchstag“, so Greger. Erlaubt sind aktuell ein Besuch pro Bewohner und Tag. Um auch künftig das Risiko für ihre Bewohner minimieren zu können, fordert sie die Politik auf, umfassende Tests von Pflegepersonal und Bewohnern zu beschließen. „Das fordern alle Träger schon seit langer Zeit – umgesetzt wurde es noch nicht“, bemängelt die Altenhilfe-Chefin.
Auch in anderen Heimen fühlte man sich von der plötzlichen Öffnung ziemlich überfahren – und entsetzt über das Verhalten mancher Besucher. „Die Maßnahmen in so kurzer Zeit umzusetzen, war
Ein Besucher will über eine Terrasse einsteigen
schwierig“, sagt der Chef des Gögginger AWO-Altenheims, Holger Repenning. Für ihn war gerade der Muttertag eine „ambivalente Erfahrung“, wie er sagt. Denn nach dem eiligen Umsetzen der bayerischen Vorgaben mussten sich seine Mitarbeiter am Sonntag mit zum Teil uneinsichtigen Angehörigen herumschlagen, die mit den Formalien nicht einverstanden waren. „Es kam zu ganz schwierigen Szenen“, so der Heimleiter. Mitarbeiter, die mit der Registrierung der Besucher beauftragt waren, wurden „belächelt, verhöhnt und abgetan“. Menschen hätten sich als jemand anderes ausgegeben, um Zutritt zu bekommen, ein Besucher versuchte sogar, über die Terrasse ins Haus einzusteigen. „Ich fand das Verhalten einiger Besucher entsetzlich“, so Repenning.
Dabei habe er im Vorfeld ein gutes Gefühl gehabt. „Wir waren gut vorbereitet.“Sogar ein Rundschreiben habe man an alle Angehörigen geschickt, in dem man schon im Vorfeld auf die strengen Maßnahmen aufmerksam machte. Das Verhalten mancher Besucher hat ihn enttäuscht. „Was geschehen ist, war einfach unangemessen“, sagt der Heimleiter.