Was hinter den Thesen der Corona-Skeptiker steckt
In der Corona-Krise verbreiten sich krude Theorien und Spekulationen rascher als das Virus selbst. Viele sind schnell zu entkräften. Manchmal ist es für ein Urteil jedoch zu früh
Der Moment, in dem Bill Gates, der Multimilliardär und MicrosoftGründer, in den Augen einiger Menschen zu einer Art Superschurken wird, zum Anführer jener dunklen Mächte, die die CoronaPandemie in die Welt gebracht haben, dieser Moment lässt sich ganz genau bestimmen. Die InternetSuchmaschine Google dokumentiert, wann immer mehr Menschen ähnliche Suchanfragen stellen – und damit auch, wann aus der kruden Idee einiger weniger plötzlich eine Verschwörungstheorie von globalem Ausmaß wird.
Zwischen Ende Januar und Mitte März googeln die Menschen in Deutschland noch eher vereinzelt nach den Begriffen „Bill Gates“und „Corona“. Ab Mitte April steigt die Zahl der Suchanfragen rasant an. Anfang Mai erreicht sie ihren vorläufigen Höhepunkt. Manche Menschen tippen nun nicht mehr nur einzelne Wörter in die Suchleiste ihres Internet-Browsers, sondern gleich einen ganzen Satz: „Was hat Bill Gates mit Corona zu tun?“
Auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sieht man währenddessen Menschen, die Schilder mit der Aufschrift hochhalten: „Gib Gates keine Chance“, eine Abwandlung des bekannten Slogans einer Anti-Aids-Kampagne. Bei ihren Protesten stehen die Gates-Gegner in einer Reihe mit Impfkritikern, linken und rechten Demonstranten und mit Menschen, die nicht nur Bill Gates, sondern noch viele weitere dunkle Mächte hinter der Pandemie vermuten.
Aluhutträger werden Verschwörungstheoretiker meist etwas abschätzig genannt – in Anlehnung an Menschen, die glauben, eine Kopfbedeckung aus Aluminium schütze sie vor geheimen Mächten, die via Telepathie Einfluss nehmen wollen. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier konnte sich in dieser Woche den Kommentar nicht verkneifen, ein Mundschutz sei „empfehlenswerter als ein Aluhut“. Andersherum gibt es unter Verschwörungstheoretikern auch ein Wort für jene Menschen, die von ihren Thesen nichts wissen wollen: Schlafschafe, eine Herde naiver Dummköpfe also, die den wahren Kern hinter allem nicht erkennen.
Diese Begriffe tauchen seit Beginn der Corona-Krise immer öfter auf; auch Menschen, die sich nur wenig im Internet bewegen, kennen sie plötzlich – genau wie Theorien über dunkle Machenschaften, wissenschaftliche Ungenauigkeiten, politische Einflussnahme. Sie haben eine deutlich höhere Reproduktionszahl als das Coronavirus, verbreiten sich trotz Kontaktbeschränkungen über das Telefon, WhatsApp, Facebook und Telegram oder auch einfach über den Gartenzaun. Nicht jeder, der sie liest und weitergibt, ist ein Verschwörungstheoretiker. Oftmals sind es Menschen, die sich ärgern, die verunsichert sind und nach einfachen Antworten suchen.
Auch einige Prominente teilen ihre mitunter schrägen Ansichten ganz unverblümt: Starkoch Attila Hildmann wetterte unlängst, die Maske sei „das neue Hakenkreuz“. Und Sänger Xavier Naidoo behauptet in einem Video, die Regierung benutze die Corona-Pandemie als tödliche Waffe gegen alle alten Menschen.
Aber zurück zu Bill Gates. Was hat der Software-Milliardär nun mit Corona zu tun? In der Welt der Verschwörungstheorien lautet die Antwort: viel, vielleicht sogar alles. Gates, so die These, wolle die Corona-Pandemie nutzen, um überall auf der Welt Zwangsimpfungen durchzusetzen und letztlich die Weltherrschaft zu erlangen. Er und seine Frau Melinda würden der Weltgesundheitsorganisation, der Bundeskanzlerin und selbst dem Virologen
Drosten diktieren, was sie zu tun hätten.
Richtig ist im Fall von Gates, dass er bereits vor fünf Jahren davor warnte, dass die Folgen einer Pandemie radikaler sein würden als die eines Krieges. Gates und seine Frau Melinda unterstützen über ihre Stiftung, die sich schon seit Jahren dem Gesundheitsschutz verschrieben hat, auch die Erforschung eines Impfstoffes gegen Covid-19. Daneben gehört die Stiftung zu den Geldgebern der Weltgesundheitsorganisation. Aus diesen Fakten stricken Verschwörungstheoretiker munter neue Theorien zusammen, als handle es sich um einen bunten Schal und nicht um ein wirres Geflecht von Halbwahrheiten.
Es gibt auf den Demonstrationen, in YouTube-Videos, Chats oder Telefongesprächen viele dieser Verschwörungstheorien – aber auch Thesen und Spekulationen, die noch kein Urteil zulassen. Manchmal, weil es bisher nicht genügend wissenschaftliche Erkenntnisse gibt. Manchmal, weil es sich schlicht um unterschiedliche Ansichten von Forschern handelt, die aufeinander prallen. Und manchmal, weil gewisse Entscheidungen erst im Rückblick bewertet werden können. Wir haben verschiedene Theorien von CoronaSkeptikern gesammelt – und erklären, was dahintersteckt.
Wird die Pandemie genutzt, um einen Impfzwang einzuführen?
Auf den sogenannten Hygiene-Demonstrationen ist eine Gruppe sehr stark vertreten – die der Impfgegner. Ihr Vorwurf: Die Regierung nutze die CoronaPandemie, um die Bevölkerung unter Zwang zu impfen. Dafür gibt es jedoch keinen Beleg. Zum einen ist bisher kein Impfstoff entdeckt. Zum anderen gibt es in Deutschland keinen Impfzwang, niemand wird also auf einem Arztstuhl gefesselt und gegen seinen Willen geimpft.
Allerdings ist seit diesem Jahr eine Masern-Impfung bei Kindern, Erziehern, Lehrern, medizinischem Personal und Flüchtlingen vorgeschrieben. Wer gegen diese Impfpflicht verstößt, muss mit einem Bußgeld rechnen. Eine Impfpflicht nach diesem Vorbild ist auch immer wieder für Covid-19 im Gespräch. Ein entsprechendes Gesetz ist – anders als manchmal behauptet – nicht verabschiedet worden.
Ist Covid-19 harmloser als eine Grippe?
Es ist ein Vergleich, der sich schon seit Beginn der Corona-Pandemie hält: Die neuartige Covid-19-Erkrankung sei nicht gefährlicher als eine Grippe. Als Beleg wird oft die Zahl von 25000 Grippetoten in der Saison 2017/2018 herangezogen. Mediziner und andere Experten haben jedoch schon oft davor gewarnt, das Coronavirus derart zu verharmlosen. Denn dabei werden unterschiedliche Werte miteinander verglichen. Bei den vom Robert-KochInstitut veranschlagten 25 000 Grippetoten handelt es sich um eine Zahl, die durch die Berechnung der sogenannten Übersterblichkeit zustande kommt. In der Grippesaison 2017/2018 sind also etwa 25000 Menschen mehr gestorben als aufgrund der durchschnittlichen Sterberate erwartet.
Im Labor festgestellt wurde das Grippevirus aber im selben Zeitraum nur bei 1674 Verstorbenen. Bei den Menschen, die als CoronaTote gezählt werden, ist die Erkrankung jedoch immer durch einen Labortest nachgewiesen worden. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass die aktuelle Statistik wahrscheinlich noch nicht alle Corona-Opfer verzeichnet. RKI-Chef Lothar Wieler betonte schon vor einiger Zeit, dass die Dunkelziffer möglicherweise deutlich höher liege, weil nicht jeder Fall entdeckt werde.
Darüber hinaus gibt es weitere große Unterschiede zwischen Covid-19 und der Grippe: Gegen das Coronavirus ist bisher kein Impfstoff entdeckt worden, das Virus ist außerdem völlig neuartig und kaum erforscht. Es ist nicht klar, wie es sich durch äußere Einflüsse verändert, wie schnell es sich verbreitet und wie aggressiv es sich im Körper verhält. Dazu kommt eine Sterberate, die nach ersten Erkenntnissen deutlich höher liegt als bei einer Grippe.
Werden in der Corona-Krise die Freiheitsrechte abgeschafft?
Seit März wurden mit Verweis auf das Infektionsschutzgesetz in kurzer Zeit mehrere in Deutschland fest verankerte Grundrechte stark eingeschränkt: etwa die Fortbewegungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Religionsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Manche Beschränkungen wurden mittlerweile von den Gerichten wieder gekippt. Sie griffen so weitreichend in die Rechte des Einzelnen ein, dass sie nach Ansicht der Richter nicht mehr vom Infektionsschutzgesetz gedeckt waren. So entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Demonstrationen unter Auflagen erlaubt sein müssen. Kritik an den Einschränkungen kommt auch immer wieder von Journalisten und der Opposition im Bundestag.
Ein Blick ins Ausland zeigt: Die Krise wird andernorts durchaus dazu genutzt, die Rechte der herrschenden Regierung auszubauen. In Ungarn setzte Viktor Orbán ein Notstandsgesetz durch, Regierungsgegner wurden festgenommen. Der Vorwurf: Sie sollen Fehlinformationen über das Coronavirus verbreitet haben. Und auch in den USA reklamierte Präsident Donald Trump im Kampf gegen Covid-19 für sich „allumfassende Macht“. Fest steht aber auch: In Deutschland sind die Freiheitsrechte aktuell eingeschränkt, abgeschafft sind sie nicht. Ob die Regierung ihren Bürgern im Sinne des Infektionsschutzes zu viel zugemutet hat, werden die Gerichte entscheiden müssen.
Übertragen 5G-Funkmasten das Coronavirus?
Ein besonders ungewöhnliches Feindbild in der Corona-Krise ist kein Mensch, sondern ein Mobilfunkmast. In den Niederlanden und Großbritannien wurde die Feuerwehr in den vergangenen Wochen wiederholt zu brennenden Funkmasten gerufen. Die Behörden in den Ländern sind überzeugt davon, dass die Brände im Zusammenhang mit einer Verschwörungstheorie stehen, die seit einiger Zeit durch das Internet geistert: Demnach soll sich das Coronavirus über den neuen Mobilfunkstandard 5G verbreiten.
Richtig ist, dass die Auswirkungen von Handystrahlung auch schon vor der Corona-Krise umstritten waren. Die Internationale Agentur für Krebsforschung hat die Strahlung 2011 als potenziell krebserregend eingestuft. Das Coronavirus wird aber nicht durch Funkwellen übertragen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind die häufigsten Erkrankungswege die Tröpfcheninfektion sowie Aerosole, mikroskopisch kleine Partikel, die beim Sprechen entstehen.
Warum widersprechen sich Wissenschaftler immer wieder? Gerade in einer Zeit, in der alles unsicher scheint, suchen viele MenChristian schen Sicherheit in der Wissenschaft – und sind dann enttäuscht und verunsichert, wenn Wissenschaftler nicht einer Meinung sind oder ihren Kurs plötzlich ändern. Doch in dieser Annahme liegt bereits der Fehler. Denn Wissenschaft lebt vom Widerspruch. So kommt es auch, dass Erkenntnisse zum Coronavirus immer wieder revidiert und angepasst werden. Das ist kein Zeichen von mangelnder Sorgfalt, sondern Teil des Forschungsprozesses, den die Bevölkerung aktuell quasi live miterlebt. So lässt es sich auch erklären, dass die Wissenschaft bei einigen Fragen wie gespalten wirkt: Viele Experten sind von der Gefährlichkeit des Coronavirus überzeugt, mit Sucharit Bhakdi, einem pensionierten Professor für Immunbiologie, gibt es aber auch einen renommierten Kritiker, der Covid-19 für harmloser hält als die Grippe. Auch bei der Maskenfrage gehen die Meinungen unter Forschern stark auseinander.
Ist eine schnelle Durchseuchung besser als ein Shutdown?
Wäre ein Shutdown vermeidbar gewesen? Bei einer raschen Durchseuchung, so die These, hätte sich ein großer Teil der Bevölkerung schnell mit dem Virus angesteckt. Experten sprechen dann von Herdenimmunität. Gegner dieses Ansatzes führen an, dass ein exponentieller Anstieg der Erkrankungen das Gesundheitssystem in Deutschland überlastet hätte. Der Shutdown habe den Krankenhäusern und Gesundheitsämtern einen Zeitpuffer beschert.
Abschließend lässt sich diese Frage womöglich erst im Rückblick klären. Denn die bisherigen Entscheidungen wurden immer unter dem Eindruck des aktuellen Wissensstands getroffen. Und der verändert sich aktuell von Tag zu Tag. Fest steht aber, dass etwa Großbritannien, das zunächst mit der Herdenimmunität geliebäugelt hat, schnell zurückgerudert ist und im Anschluss einen Shutdown mit teils deutlich strengeren Maßnahmen als Deutschland verhängt hat.
Grundsätzlich gehört das strikte Herunterfahren des öffentlichen Lebens, gefolgt von schrittweisen Lockerungen, zu den gängigen Konzepten in der Pandemieforschung. Experten sprechen seit einiger Zeit immer wieder von „Hammer und Tanz“, angelehnt an einen Aufsatz des Autors Tomas Pueyo, der darin skizziert, wie ein verträglicher Mittelweg zwischen Gesundheit und Gesellschaft aussehen kann.
Sind Masken Virenschleudern?
Es ist ein Satz, der Angela Merkel wohl noch länger nachhängen wird. Im April soll die Bundeskanzlerin hinter verschlossenen Türen gewarnt haben, dass sie Alltags-Masken für „Virenschleudern“halte. Seit fast drei Wochen gilt in Deutschland nun jedoch eine Maskenpflicht, viele Menschen greifen auf genau diese Masken aus Stoff zurück. Kritiker monieren deshalb, dass ein Mund-und-Nasen-Schutz nutzlos – und von der Regierung wider besseren Wissens eingeführt worden sei. Aber stimmt das?
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte betont, dass für Alltagsmasken keine Schutzwirkung wissenschaftlich nachgewiesen ist. Das liegt aber auch daran, dass Studien dazu aktuell erst durchgeführt werden. Zwei erste Studien aus Asien geben Hinweise darauf, dass die Alltagsmasken nicht den Träger, aber seine Mitmenschen schützen.
Das RKI nennt den Mund-NaseSchutz aus Stoff einen zusätzlichen „Baustein, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Covid-19 in der Bevölkerung zu reduzieren“. Das gelte aber nur, wenn zusätzlich Regeln wie das regelmäßige Händewaschen befolgt werden.