Ein gespenstischer Nachmittag
Leere Ränge, keine Fans: Der erste Spieltag nach der Corona-Zwangspause zeigt auch in Augsburg zwar, dass das Konzept funktionieren kann. Aber wie kommt Stimmung in einer leeren Betonschüssel auf?
Augsburg Eigentlich ist es am Samstag kurz nach der Mittagszeit in der Augsburger Innenstadt fast wie immer, wenn der FC Augsburg in der Bundesliga ein Heimspiel hat. An den Straßenbahnen wehen kleine FCA-Fähnchen und es ist mehr Polizei zu sehen als sonst üblich. Doch es ist kein normaler Spieltag – es ist der erste Geisterspieltag nach der Corona-Zwangspause. Es sind schon verrückte Zeiten. Die Polizei ist hauptsächlich wegen der Demonstranten in der Stadt, die so tun, als wäre das Coronavirus SarsCoV-2 nur eine Erfindung der Politik. Auf der anderen Seite fährt der Industriezweig Bundesliga seinen Betrieb unter strengen Hygieneregeln wieder hoch. Für die Zuschauer am Bildschirm, um die Fernsehgelder zu bekommen, die für Klubs und Liga überlebensnotwendig sind. Fans im Stadion sind nicht erlaubt.
Deshalb fahren auch die Straßenbahnen nicht zur Endhaltestelle an der WWK-Arena und entlassen dort im Fünf-Minuten-Takt hunderte von FCA-Fans. Kurz nach 14 Uhr herrscht auf dem Vorplatz vor der FCA-Geschäftsstelle gespenstische Ruhe. Nur der FCA-Fanbeauftragte Markus Wiesmeier und ein paar Ordner warten dort. Doch die Augsburger Ultras verhalten sich, wie die anderen aktiven Fanszenen in der Bundesrepublik auch, verantwortungsbewusst. Sie bleiben zu Hause. Ihren Protest gegen die Geisterspiele drücken sie mit einem langen Spruchband aus, das sie schon am Vortag an den Zaun vor der Ulrich-Biesinger-Tribüne angebracht haben: „Der Fußball wird leben – euer Business ist krank.“
Es sind noch 75 Minuten bis zum Anpfiff. Am Haupteingang, dort wo normalerweise die VIPs warten, um zu ihren Business-Seats und Logen zu kommen, ist lediglich der Mediendurchgang offen. Nur zehn Printjournalisten sind laut den Regularien zugelassen. Am Eingang muss jeder ein Formular abgeben, auf dem er unter anderem versichert, frei von Krankheitssymptomen zu sein. Der benutzte Kugelschreiber darf eingesteckt werden. Fieber gemessen wird auch, in
wurde dafür extra ein Hightech-Scanner installiert. Nur der Weg zur Pressetribüne unter dem Stadiondach ist offen. Die Journalisten nehmen den Fahrstuhl (maximal zwei Personen) oder die Treppe. Oben muss Abstand gewahrt werden. Der Mundschutz ist – natürlich – Pflicht.
Und dann geht es los. Als die Mannschaften getrennt einlaufen, spielt die Stadionregie, wie immer, die Kult-Hymne „Wir müssen siegen“ein. Es hallt in der Arena und verstärkt die so schon skurrile Szenerie. Denn die Fans, die sonst ihre Fahnen und Schals zu diesem Lied schwenken, sind nicht da. Für wen spielt die Musik?
Kurz bevor Schiedsrichter Dr. Felix Brych anpfeift, herrscht in der leeren Arena eine gespenstische Ruhe. Für Sekunden ist nur der Lärm der Autos und der Motorräder von der vierspurigen B17 zu hören, die direkt am Stadion vorbeiführt. Das normale Leben draußen dringt in das Kunstprodukt Bundesliga ein. Der Anpfiff löst die Erstarrung. Plötzlich ist die Melodie des Amateurfußballs zu hören – die Stimmen der Spieler. Sie rufen „Hintermann“, „schneller“oder „verschieben“. Wie die Hobbykicker eben auch. Als Hintergrundkulisse gibt es nicht Fangesänge, sondern die aufgeregte Moderation der Radio-Reporter Edgar Endres und Andre Siems für „Heute im Stadion“. Was für eine Ironie, da es doch nur um die Bewegtbilder geht. Bei den beiden FCA-Toren, eines davon wird aberkannt, wird wie immer die Puppenkistenmelodie „Eine Insel mit zwei Bergen“eingespielt. Selten wirkt sie deplatzierter als in dieser klinisch-sterilen Atmosphäre, ohne Fans, die sie mitsingen können. Es gilt als sicher, dass FCA-Torschütze Tin Jedvaj den Text nicht kennt.
Gejubelt wird in Augsburg übrigens nach Vorschrift: Unterarm an Unterarm, Faust an Faust. Die Spieler, die im Zweikampf den KörperAugsburg kontakt ja suchen, halten Abstand. Was auch auffällt: Das Reklamieren verliert ohne Verstärkung von den Rängen die Aggressivität. Das vielleicht einzig Gute an der Geisteratmosphäre.
Selbst die späte 1:2-Niederlage erzeugt kaum erkennbare Reaktionen bei den Augsburgern. Es fehlt der Resonanzkörper der Fans. Es ist zu befürchten, dass den FCA-Spielern die Emotionalität von den Rängen am Ende beim Kampf um den Klassenerhalt fehlen könnte. Sie sind auf jeden Fall innerhalb von Sekunden in der Kabine verschwunden. VfL-Trainer Oliver Glasner würde seine Spieler hingegen alle herzen, doch plötzlich erinnert er sich im Sprint auf das Feld, dass er das nicht darf. Es bleibt bei einer distanzierten Freude. Ein VfL-Mitarbeiter klatscht auf der Tribüne. Dann sind die Feierlichkeiten vorbei. Die Fernsehrechte-Inhaber führen ihre Interviews im Freien. Die Mixed-Zone ist gesperrt. Die
Spieler stehen am Tribünenrand, der Fragensteller erhöht vor der ersten Sitzreihe. Das Mikrofon ist an einer zwei Meter langen Stange befestigt. Schon während der Interviews fährt der Greenkeeper mit seinem Traktor auf den Rasen und mäht fleißig. Das ist alles zu beobachten, weil die virtuelle Pressekonferenz mit den Trainern, die 40 Meter tiefer im Presseraum im Bauch der Arena sitzen, von der Medientribüne aus geführt werden muss. Die Mikrofone gehen nicht, die Fragen müssen per Chat gestellt werden.
Um kurz vor 19 Uhr sind die Stadionausgänge längst verschlossen. Nur die Seitentüre, die man sonst unter der Woche nach der Pressekonferenz oder einem Interview nützt, öffnet sich nach dem Drücken des Summers. Durch ein StadionMundloch ist das Banner der FCAUltras zu sehen. „Der Fußball wird leben – euer Business ist krank“– diese acht Worte bleiben haften.