Friedberger Allgemeine

Nicht nur Joggen ist jetzt sehr beliebt

Sport Weil Fitness- und Yogastudio­s weiter geschlosse­n bleiben, weichen viele auf andere Sportarten aus. Ein Augsburger Händler berichtet von einem ungewöhnli­chen Boom

- VON LEONHARD PITZ

Geht man dieser Tage an der Wertach spazieren, kann man kaum zwei Schritte machen, ohne von einem Jogger überholt zu werden. Doch die Corona-Krise verschafft auch anderen Sportarten einen Aufschwung – und könnte ebenso Folgen für die Vereine haben.

Hans-Peter Brandl-Bredenbeck, Professor für Sportpädag­ogik an der Universitä­t Augsburg, sieht aktuell Individual­sportarten im Vorteil und solche, für die man wenig Material braucht oder es schon zu Hause habe: „Viele holen gerade auch die alten Inliner aus dem Keller, um damit Sport zu machen.“In dieser Krisenzeit sei der Sport auch eine „psychische Ressource“. „Diejenigen, die davor schon Sport getrieben haben, verbinden damit positive Emotionen und greifen das jetzt wieder auf, auch als Ablenkung von den vielen schlechten Nachrichte­n rund um Corona“, so Brandl-Bredenbeck.

Er vermutet, dass aktuell vor allem die Menschen joggen oder Fahrrad fahren, die bereits zuvor Sport gemacht haben. „Erste Daten von einem Kollegen aus Potsdam deuten darauf hin, dass die Schere zwischen denen, die sportlich aktiver und denen, die inaktiver sind, weiter auseinande­r geht.“Besonders problemati­sch findet der Sportpädag­oge, dass gerade der Sportunter­richt wegfalle. Dieser sei für sozial benachteil­igte Kinder oft der einzige Zugang zum Sport. Ob die Krise auch den Vereinsspo­rt nachhaltig verändern werde, sei sehr schwer abzuschätz­en, sagt Brandl-Bredenbeck. „Ich glaube, viele werden sich nach Corona die Frage stellen: War das für mich so wichtig, dass ich das wieder anfange?“

Für Mike Häuser, Inhaber des „Runner’s Shop“, war bereits zuvor ein klarer Trend zum Joggen erkennbar. „Viele, auch eigentlich weniger sportliche Leute, sind in den vergangene­n Jahren zum Laufen gekommen.“ Er glaubt, dass einige, die jetzt mit dem Joggen begonnen haben, auch nach Corona weitermach­en: „Wenn sie Blut geleckt haben, dann bleiben sie.“

Die Nachfrage nach Laufschuhe­n habe Corona auf jeden Fall gesteigert, so Häuser. Zwar würden sich im Frühjahr generell viele Menschen neue Laufschuhe zulegen, dieses Jahr sei der Andrang aber noch größer gewesen. „Teilweise war das so extrem, dass am Abend noch Leute vor meinem Laden Schlange standen, die ich dann auf morgen vertrösten musste“, erzählt der 63-jährige. „Momentan ist das Klientel schon etwas ungewöhnli­cher, viele kommen einfach zum Laufen, weil sie vom Homeoffice abschalten wollen und ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.“Das Laufen habe den Vorteil, dass es einfach sei. „Man muss nur seinen Schuh anziehen, die

Tür aufmachen, rausgehen und los gehts.“

In den Gärten und Garagen, also weniger sichtbar, profitiert aber scheinbar noch eine andere Sportart. So berichtet Martin Lodner, Inhaber des Tischtenni­sfachgesch­äfts TTExpert, von einem regelrecht­en Tischtenni­s-Boom durch Corona. „Mitte März war innerhalb von zwei Wochen der komplette Markt für Platten leer gefegt“, erzählt er. Diese seien aktuell fast nicht zu bekommen, oftmals gebe es Lieferzeit­en von ein bis zwei Monaten. Sein Laden verfüge noch über ein kleines Kontingent an Platten, ein Vorrat noch aus dem Januar, denn auch er müsse jetzt auf neue Lieferunge­n warten.

Die Umsätze seien vor allem im Freizeitbe­reich stark gestiegen, sagt Lodner. Viele Familien hätten sich Tischtenni­splatten gekauft, um in den eigenen vier Wänden oder im Garten zu spielen. „Ein Grund dafür ist, dass es wenig Berührungs­ängste mit der Sportart gibt, jeder hat irgendwann schon mal Tischtenni­s gespielt“, sagt Lodner. Zudem sei es eine einfache Möglichkei­t, mit der Familie Sport zu treiben. Deswegen würden auch Alternativ­en zur Platte zurzeit verstärkt nachgefrag­t. „Flexible Netze sind gerade sehr beliebt, weil man sie einfach am Küchentisc­h oder der Biergarnit­ur im Garten befestigen kann.“

Für den Tischtenni­ssport sei Corona ein zweischnei­diges Schwert. Zum einen, sagt Lodner, sehe er eine gewisse Verdrossen­heit unter Wettkampfs­pielern, bedingt durch Ligaabbrüc­he und das ausfallend­e Training. Zum anderen gebe es die Chance, dass der Sport langfristi­g davon profitiere. „Das ist ja kostenlose Werbung, wenn die Kinder jetzt schon daheim Tischtenni­s spielen“, so Lodner. Die Vereine sind aus seiner Sicht jetzt gefordert, aktiv zu werden und diese Kinder durch gutes Schnuppert­raining zu integriere­n.

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Foto: Peter Fastl Bei schönem Wetter zieht es derzeit viele Menschen raus in die Natur, etwa für einen Spaziergan­g oder zum Joggen an der Wertach.

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