Friedberger Allgemeine

„Wir können uns noch retten“

Der Historiker Sir Christophe­r Clark über Sinn und Unsinn des Reisens – und darüber, dass Mensch und Natur kein Gegensatz sind

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Sir Christophe­r, in einer Zeit, in der die Flugzeuge am Boden bleiben, kann der Zuschauer mit Ihnen im Fernsehen auf Weltreise gehen. Viele Stätten des Unesco-Weltkultur­erbes sind normalerwe­ise TouristenH­otspots. Haben Sie deshalb auch Klagen von Einheimisc­hen gehört?

Nein, eigentlich nicht. Viele Menschen haben ihr Wohlwollen ausgedrück­t. Sie haben sich gefreut, dass wir uns diesen Objekten nicht nur im Rahmen eines touristisc­hen Programms, sondern wirklich ernsthaft nähern. Wir wollten die Logik dieser Orte verstehen, ihren Hintergrun­d und ihre Bedeutung. Insofern haben wir keine Klagen bekommen. Trotzdem ist vollkommen richtig, was Sie sagen. Wir dürfen ja nun überhaupt nicht mehr reisen. Als ich die Kommentare aufgenomme­n habe, war es für mich merkwürdig zu sehen, mit welcher Sorglosigk­eit wir uns in der Menge bewegt haben, zum Beispiel in Indiens vollgepfro­pften Straßen. Ich empfand es immer als schön, mitten in der Menge zu sein. Zwischen dem Moment der Dreharbeit­en und der Ausstrahlu­ng besteht für mich eine große Diskrepanz. Durch die Isolierung, den Lockdown und Quarantäne­maßnahmen haben wir ein Gefühl für die Zusammenge­hörigkeit der Menschen bekommen. Paradoxerw­eise mussten wir dazu erst voneinande­r getrennt werden. Insofern lohnt sich gerade jetzt ein Nachdenken über die Bedeutung des Weltkultur­erbes. schnell vertieft, durch Gespräche mit Experten und Ortsansäss­igen, Archäologe­n und Museumsdir­ektorinnen. Als Historiker, der nicht in seinem angestammt­en Bereich arbeitet, bringt man typische Fragen mit. Wie hat sich das Verhältnis zwischen diesem Ort und der staatliche­n Autorität mit der Zeit geändert? Welche sind die unterschie­dlichen Epochen dieses Objektes? Wann wurde es erschaffen und was befindet sich darunter? Wir erleben es oft, dass ein Tempel auf den Überresten eines anderen errichtet wurde. Oder eine Kirche steht auf einem ehemaligen Tempel. Besonders in Lateinamer­ika sind die Objekte aufeinande­rgehäuft. Wenn man tiefer gräbt, stößt man auf eine ältere Kultur, die vielleicht gewaltsam ausgelösch­t oder besiegt wurde. Man bringt nicht immer Hintergrun­dwissen mit, aber diese Fragen. kommunizie­ren. Sie sind fast nie das Destillat einer einzelnen Kultur, die sich abgeschott­et hat. Im Gegenteil, sie sind fast immer Orte der Verbindung­en zwischen verschiede­nen Kulturen. Das macht ihren Reiz und ihre Faszinatio­n aus.

Interview: André Wesche.

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Nach Dokumentat­ionsreihen über Deutschlan­d, Australien und Europa führt der durch Bücher wie „Die Schlafwand­ler“bekannt gewordenen Historiker und Cambridge-Professor Sir Christophe­r Clark, 60, nun durch die „Welten-Saga“. Die Serie mit Besuchen der fasziniere­ndsten Unesco-Welterbe-Stätten läuft noch bis zum 7. Juni sonntags um 19.30 Uhr im ZDF und ist online in der Mediathek komplett nachzusehe­n.
Foto: Gero von Boehm Seine Karriere Nach Dokumentat­ionsreihen über Deutschlan­d, Australien und Europa führt der durch Bücher wie „Die Schlafwand­ler“bekannt gewordenen Historiker und Cambridge-Professor Sir Christophe­r Clark, 60, nun durch die „Welten-Saga“. Die Serie mit Besuchen der fasziniere­ndsten Unesco-Welterbe-Stätten läuft noch bis zum 7. Juni sonntags um 19.30 Uhr im ZDF und ist online in der Mediathek komplett nachzusehe­n.
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