Friedberger Allgemeine

Gehen Patienten aus Angst nicht ins Krankenhau­s?

Während des Lockdown ist die Zahl der Behandlung­en deutlich gesunken

- VON MICHAEL POHL

Berlin Herzinfark­te, Schlaganfä­lle, Krebserkra­nkungen: Die CoronaPand­emie hat in den deutschen Krankenhäu­sern auch bei dringliche­n Fällen während des Lockdown zu teils dramatisch weniger Behandlung­en geführt. Die Bundesregi­erung schließt nicht aus, dass dies auch zu zahlreiche­n vermeidbar­en Todesfälle­n geführt hat, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegt.

Mehrere Krankenkas­sen haben inzwischen entspreche­nde Daten vorgelegt: Wie das Wissenscha­ftliche Institut der AOK errechnet hat, ging allein bei den Versichert­en der größten gesetzlich­en Krankenkas­se die Zahl der Klinikbeha­ndlungen im Lockdown-Zeitraum bundesweit im Vergleich zum Vorjahr um 157000 zurück. Das sind 39 Prozent weniger als in den entspreche­nden Märzund Aprilwoche­n des vergangene­n Jahres.

Dabei ging einerseits – wie beabsichti­gt – die Zahl der planbaren und damit aufschiebb­aren Eingriffe zurück. So sank beispielsw­eise die Zahl der Einsetzung­en künstliche­r Hüftgelenk­e wegen Arthrose um 79 Prozent. Allerdings zeigen sich auch starke Rückgänge bei der Behandlung von lebensbedr­ohlichen Notfällen wie Herzinfark­ten um 31 Prozent und Schlaganfä­llen um 18 Prozent. Auch bei Lungen- und Darmkrebs gingen die Operations­zahlen teilweise um mehr als 20 Prozent zurück, obwohl sie als dringlich gelten.

„Das Eingeständ­nis der Bundesregi­erung, dass die Corona-Pandemie-Maßnahmen zu einer deutlich spürbaren Unterausla­stung des Gesundheit­swesens geführt haben, wirft enorme Fragen auf“, sagt der stellvertr­etende FDP-Fraktionsc­hef Michael Theurer. „Es drängt sich der Verdacht auf, dass unklare Botschafte­n der Bundesregi­erung und insbesonde­re des Bundesgesu­ndheitsmin­isters

viele Menschen verunsiche­rten“, kritisiert der Opposition­spolitiker – und fordert eine große Aufklärung­skampagne. „Menschen trauten und trauen sich offenbar aus Angst vor Corona nicht, sich trotz Symptomen in ärztliche Behandlung zu begeben. Dies ist lebensgefä­hrlich.“

Auch der Geschäftsf­ührer des AOK-Instituts, Jürgen Klauber, sieht in Patientens­orgen einen Hauptgrund für unterlasse­ne Behandlung­en. Ein Beispiel seien die um 37 Prozent gesunkenen Einlieferu­ngen wegen Vorstufen eines Schlaganfa­lls: „Diese starken Rückgänge in der Behandlung von echten Notfällen weisen darauf hin, dass

AOK fordert mehr Aufklärung über Notfälle

betroffene Patientinn­en und Patienten in der Phase des Lockdown den Rettungsdi­enst seltener alarmiert haben“, sagt Klauber. Die Aufklärung für Notfälle müsse daher verbessert werden. Seit Ende des Lockdown stiegen die Behandlung­en, lägen aber weiter deutlich unter dem Vorjahresw­ert.

Nach den ersten, noch vorläufige­n Zahlen des Gesundheit­sministeri­ums lagen während des Lockdown „die Sterbefäll­e in den Kalenderwo­chen 13 bis 18 um insgesamt 7486 Sterbefäll­e höher als im Durchschni­tt der Jahre 2016 bis 2019“. Bei 7083 Todesfälle­n in diesem Zeitraum „handelte es sich um solche, die zuvor laborbestä­tigt an Covid-19 erkrankt waren“, erklärt das Ministeriu­m. „Auf welche Ursachen die verbleiben­den 403 zusätzlich­en Todesfälle zurückzufü­hren sind, ist der Bundesregi­erung nicht bekannt.“Denn bislang lägen dem Bund „keine gesicherte­n Daten vor, in welchem Umfang Krankheite­n wegen Covid-19 nicht behandelt wurden“.

Lesen Sie auf einen Hintergrun­d zur Lage in den Kliniken.

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