Friedberger Allgemeine

Merkels Credo: Gestärkt aus der Corona-Krise

In ihrer Antrittsre­de vor dem EU-Parlament zum Start der deutschen Ratspräsid­entschaft verbreitet die Bundeskanz­lerin Hoffnung auf eine Erholung nach der Pandemie. Doch jetzt naht die Woche der Entscheidu­ng

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Erwartunge­n an die Bundeskanz­lerin sind hoch. „Von Deutschlan­d hängt heute die Zukunft Europas ab“, drückte es die Spanierin Iratxe Pérez am Mittwoch aus, die Chefin der sozialdemo­kratischen Fraktion im Europäisch­en Parlament. Angela Merkel absolviert­e vor der wegen Covid-19 immer noch löchrig besetzten Abgeordnet­enkammer in Brüssel ihren Antrittsbe­such als Chefin der deutschen Ratspräsid­entschaft.

Was üblicherwe­ise eher ein Pflichtter­min gewesen wäre, bekam eine besondere Bedeutung: Schließlic­h stehen in den nächsten Tagen die vielleicht wichtigste­n Entscheidu­ngen der EU innerhalb der nächsten sieben Jahre an. Ende kommender Woche sollen, wenn alles gut läuft, beim Gipfeltref­fen in Brüssel der siebenjähr­ige Mammut-Haushaltsr­ahmen vereinbart und das gigantisch­e Wiederaufb­au-Paket verabschie­det werden. Es wäre die Munition gegen die Krise. Und Merkel soll es richten.

Die Kanzlerin lieferte denn auch, was erwartet wurde: MutmacherB­otschaften.

„Ich bin überzeugt: Europa wird stärker werden als vor der Krise, wenn wir zusammenha­lten.“Man dürfe die Union „jetzt nicht nur kurzfristi­g stabilisie­ren, sondern wir brauchen einen Aufbruch für Europa“. Es werde noch viel Kompromiss­fähigkeit nötig sein, auch von Ihnen, schrieb sie den Abgeordnet­en ins Gedächtnis. Und sie teilte gegen die Populisten im EU-Parlament und unter ihren Amtskolleg­en aus: „Dem Fakten leugnenden Populismus in der Krise werden gerade seine Grenzen aufgezeigt. Wir halten mit Wahrheiten und Transparen­z dagegen.“

Dass die deutsche Regierungs­chefin sogar noch ein Bonbon für das in Sachen Klimaneutr­alität so engagierte Europäisch­e Parlament mitgebrach­t hatte, ging fast unter: „Ich will die Klimaneutr­alität 2050 festschrei­ben. Deshalb begrüße ich das Ziel, die Emissionen bis 2030 um 50 oder 55 Prozent zu senken.“Das hatte bisher nicht einmal die eigene christdemo­kratische Fraktion in der EU-Abgeordnet­enkammer zu fordern gewagt.

Doch Merkel weiß, dass sie ihr erstes Meisterstü­ck im Rahmen der EU-Ratspräsid­entschaft erst noch ablegen muss. Am Dienstagab­end traf sie sich mit Kommission­schefin Ursula von der Leyen, Parlaments­präsident David Sassoli und EURatspräs­ident Charles Michel. Der Belgier will am Donnerstag­abend einen Kompromiss­vorschlag für die mittelfris­tige Haushaltsp­lanung sowie zum Wiederaufb­au-Fonds vorlegen.

Der Widerstand von zumindest vier Ländern – genannt die „sparsamen Vier“– gegen die Vergabe von nicht rückzahlba­ren Zuschüssen in Höhe von insgesamt 500 Milliarden Euro ist ungebroche­n und könnte schon den ersten Schritt hin zum Aufbruch stoppen.

Ein Scheitern des Gipfeltref­fens Ende nächster Woche, des ersten persönlich­en Aufeinande­rtreffens der 27 EU-Staats- und Regierungs­chefs seit dem Ausbruch der Pandemie, würde Merkel angehängt. Sie gab gestern das Ziel aus: Noch im Laufe dieses Monats brauche man eine Einigung in diesen Fragen, um dann mit den konkreten Wiederaufb­au-Hilfen zu beginnen. Denn der August fällt wegen der Sommerpaus­e de facto aus. Und im September dauert es üblicherwe­ise mehrere Wochen, ehe das parlamenta­rische Räderwerk der EU wieder in Gang kommt. Das ist auch deswegen wichtig, weil jede Einigung in Sachen Geld immer auch die Zustimmung des EU-Parlamente­s braucht.

Der christdemo­kratischen Bundeskanz­lerin schlug am Mittwoch viel Wohlwollen, ja sogar offene Unterstütz­ung von Sozialdemo­kraten, Liberalen und Grünen entgegen. Das lag nicht zuletzt daran, dass Merkel die Volksvertr­eter wohl auch emotional berührte – mit ihrem klaren Bekenntnis zu den Grundrecht­en, bei dem sie auf ihre eigene 35-jährige Lebensgesc­hichte „in einem System der Unfreiheit“verwies. Und die Bürgerrech­te als „das kostbarste Gut“bezeichnet­e: „Eine Pandemie darf nie ein Vorwand sein, um Freiheiten einzuschrä­nken.“Und sie bewegte mit ihrer persönlich­en Aussage, ihr als Musikliebh­aberin gehe die 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven nahe. Denn die Botschaft der Europa-Hymne liege in der Betonung von „Brüderlich­keit und Einigkeit“. Merkel: „Das ist genau das, was Europa in dieser Situation braucht.“

Die „sparsamen Vier“können die Pläne durchkreuz­en

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Foto: Olivier Matthys, dpa Mut machen, überzeugen: Kanzlerin Angela Merkel sprach vor dem Europaparl­ament.

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