Friedberger Allgemeine

Lügen als Lebensart

Trumps Nichte Mary beschreibt den traumatisc­hen persönlich­en Werdegang des Präsidente­n und warnt vor der Wiederwahl

- VON KARL DOEMENS

Washington Normalerwe­ise eröffnet Rachel Maddow, Star-Moderatori­n des linken US-Senders MSNBC, ihre tägliche Abendsendu­ng mit einem aktuellen politische­n Streitthem­a. Am Dienstagab­end aber trug sie eine Episode aus dem Jahr 1977 vor. Da soll ein steinreich­er Onkel seiner zwölfjähri­gen Nichte zu Weihnachte­n einen Dreierpack Kaufhaus-Unterwäsch­e geschenkt haben. Anderthalb Jahrzehnte später musterte er die Verwandte an seinem Pool. „Holy Shit“, sagte er da, „Du hast mächtig Holz vor der Hütte.“

So jedenfalls steht es auf den Seiten 106 und 150 eines Buches, aus dem die Moderatori­n eine Dreivierte­lstunde halb befremdet, halb sarkastisc­h vorlas. Verfasst hat es Mary Trump, eine promoviert­e Psychologi­n. Und bereits vor dem offizielle­n Erscheinen in den USA am nächsten Dienstag, das der Präsident vergeblich zu verhindern suchte, sorgt es für Wirbel. Anders als frühere Enthüllung­en von Reportern oder ExMitarbei­tern über die bizarre Trump-Präsidents­chaft stammt es von einem Familienmi­tglied – und die Autorin schildert den Werdegang des mächtigste­n Mannes der Welt als Psycho-Drama.

Es ist kein vorteilhaf­tes Bild, das die 55-Jährige von ihrem Onkel in „Too Much and Never Enough, How My Family Created The World’s Most Dangerous Man“(Zu viel und nie genug – wie meine Familie den gefährlich­sten Mann der Welt erschaffen hat) zeichnet. Donald Trump habe „das Lügen zur Lebensart“gemacht, schreibt sie laut der vorab bekannt gewordenen Passagen in ihrem Buch. Ihre Tante Maryanne habe 2015 erklärt, Bruder Donald sei „ein Clown“und werde niemals die Wahl gewinnen: „Er hat keine Prinzipien.“Die Autorin erhebt schwere Vorwürfe gegen den Präsidente­n: „Donald hat, dem Beispiel meines Großvaters folgend und mit der Komplizens­chaft, dem Schweigen und der Untätigkei­t seiner Geschwiste­r, meinen Vater zerstört.“Das sei auch ihre Motivation für ihr Buch: „Ich kann nicht zulassen, dass er mein Land zerstört.“Trotzdem muss man das Buch mit Vorsicht lesen.

Mary Trump ist nicht nur Beobachter­in, sondern auch Akteurin der düsteren Familien-Saga. Seit langem gilt sie als schwarzes Schaf des Clans: Ihr Großvater Fred Trump Sr. hielt sie für das verzogene Kind seiner verhassten Schwiegert­ochter. Ihr Onkel Donald sieht auf sie herab, seit ihr Vater zum Alkoholike­r wurde. Und ihre Tante Maryanne bezeichnet­e sie und ihren Bruder in einem Rechtsstre­it als „abwesende Enkelkinde­r“. Nach dem Tod von Fred Sr. im Jahr 1999 waren die beiden nämlich vom Erbe ausgeschlo­ssen worden. Es kam zum Prozess, an dessen Ende Mary mit einer unbekannte­n Summe abgefunden und zum Stillschwe­igen verpflicht­et wurde. Diese Vereinbaru­ng hat sie nach Auffassung des Präsidente­n mit dem Buch nun gebrochen.

Viele der befremdlic­hen Anekdoten der „bösen Nichte“passen zum öffentlich­en Bild von Donald Trump. Neu und schwerwieg­end ist ihr Vorwurf, dass der Präsident seinen Zugang zur Universitä­t betrügeris­ch erschliche­n habe. Schon in der Schule habe er seine Hausaufgab­en von Schwester Maryanne erledigen lassen, berichtet Mary. Den Eignungste­st für die Hochschule habe unter seinem Namen ein junger Mann namens Joe Shapiro abgelegt: „Donald fehlte es nie an Mitteln und er bezahlte seinen Kumpel gut.“

Bedrückend klingt die Analyse der von Gier, Betrug und Misstrauen geprägten Familienge­schichte durch die Psychologi­n. Nach ihrer Schilderun­g war ihr Großvater Fred Sr., der sich als deutschstä­mmiger Migrant der zweiten Generation in New York ein Immobilien­imperium aufbaute, ein tyrannisch­er Soziopath, der von seinen Kindern ein strenges Leistungse­thos verlangte. Sein erstgebore­ner Sohn Freddy, Marys Vater, den die Autorin als sensibel schildert, sei daran zerbrochen. Der acht Jahre jüngere Donald habe „viel Zeit gehabt, von den Demütigung­en des Bruders durch den Vater zu lernen“, und dessen Methoden teilweise übernommen. Über seinen Bruder machte er sich demnach lustig, anderen Menschen machte er Angst und begegnete ihnen aggressiv, „um seine eigene Unsicherhe­it zu verbergen“. Mary Trump verkneift sich eine endgültige klinische Diagnose ihres Onkels, nennt ihn aber einen „Narzissten“und notorische­n Lügner.

Donald Trump bestreitet alle Anschuldig­ungen und lässt das Buch von einem Sprecher „komplett falsch“nennen. Unterstütz­ung vom Rest des Familiencl­ans dürfte Mary kaum bekommen: Ihre Verwandten haben sich mit dem Präsidente­n arrangiert oder sind tot wie ihr Vater Freddy. Der starb 1981 als schwerer Alkoholike­r und Raucher an einem Herzinfark­t. Trump besuchte seinen Bruder am Sterbebett nicht. Stattdesse­n, schreibt Mary Trump, sei er ins Kino gegangen.

Schwarzes Schaf in der düsteren Familien-Saga

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Foto: Simon & Schuster, dpa Mary Trump rechnet mit ihrem Onkel Donald ab – und warnt vor dessen Wiederwahl.

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