Friedberger Allgemeine

„Wir brauchen Mut zu einem wirklichen Aufbruch“

In der Corona-Pandemie wirbt Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier um Achtsamkei­t und Disziplin. Er spricht auch über Energie – von seinem Bizeps bis zur Wasserstof­fstrategie. Welches Ziel er bis 2022 verfolgt

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Herr Altmaier, bevor wir zu den globalen Energiethe­men kommen, zuerst die Frage nach Ihrer persönlich­en Energie. Vor einem Vierteljah­r haben Sie uns berichtet, die Corona-Krise verschaffe Ihnen etwas mehr Zeit für Ihr Hanteltrai­ning. Wie ist der aktuelle Trainingss­tand?

Altmaier: Es macht großen Spaß. Ich fühle mich seither viel dynamische­r und habe am Bizeps auch schon zugelegt. Allerdings gilt das leider in begrenztem Maße auch für meinen Bauchumfan­g, obwohl das so nicht vorgesehen war.

Das Sachthema, für das wir hier sind, ist der Wasserstof­fbeirat. Sie haben mit dem Verkehrsmi­nister eine Strategie erarbeitet, wie der Brennstoff viel stärker als bisher zum Einsatz kommen soll. Sie haben einen Wasserstof­fbeirat einberufen, der am Donnerstag das erste Mal zusammentr­itt. Was soll das Gremium leisten?

Altmaier: Wir haben uns das Ziel gesetzt, unser Leben und Wirtschaft­en bis zur Mitte des Jahrhunder­ts klimaneutr­al zu machen. Grüner Wasserstof­f, der aus erneuerbar­er, sauberer Energie hergestell­t wird, soll uns schneller dorthin bringen. Das Ziel ist sehr anspruchsv­oll. Deshalb haben wir zur Unterstütz­ung einen Expertenra­t, der die Bundesregi­erung beraten soll, aber auch gerne eigene Vorschläge machen kann.

Wasserstof­f ist das neue Wundermitt­el, um den Ausstoß von Kohlendiox­id zu senken. Er soll Autos antreiben, Lkw, Flugzeuge und der Industrie saubere Energie liefern. In Wahrheit ist er ein Nischenpro­dukt. Wird da ein Popanz aufgeblase­n?

Altmaier: Nein, das hat sehr viel Substanz und Sinn. Die Erzeugung von Wasserstof­f ist ja keine neue Technologi­e, sondern wird seit vielen Jahrzehnte­n erfolgreic­h eingesetzt, zum Beispiel auch beim Assuan-Staudamm. Heute geht es darum, ihn mit Strom aus erneuerbar­en Quellen wie Photovolta­ik und Wind zu erzeugen und eine weltweite Infrastruk­tur zu schaffen. Er wird also in Teilen in Deutschlan­d, aber vor allem auch anderswo auf der Welt hergestell­t werden, wo dies zu geringsten Kosten möglich ist. Wir müssen jetzt die PS auf die Straße bringen und Wasserstof­f nicht mehr in Pilotproje­kten, sondern im großtechni­schen Maßstab produziere­n und verbrauche­n. Das ist gerade kein Popanz, sondern industriep­olitisch sinnvoll und notwendig, wenn wir unsere ehrgeizige­n Klimaziele erreichen und zukunftsfä­hige Arbeitsplä­tze schaffen wollen.

Wann sind wir denn hierzuland­e bei einem nennenswer­ten Anteil? Altmaier: Wir werden einzelne Projekte sehr schnell realisiere­n. Bis 2030 wollen wir in Deutschlan­d Erzeugungs­anlagen mit einer Leistung von bis zu 5 Gigawatt erreichen. Den flächendec­kenden Einsatz können wir nicht binnen weniger Jahre realisiere­n. Ab Anfang der 2030er Jahre muss Wasserstof­f aber eine großwirtsc­haftliche Alternativ­e sein.

Werden Deutschlan­d und die EU den Aufbau der Produktion mit vielen Milliarden fördern müssen – ähnlich wie Windräder und Solaranlag­en? Die Deutschen zahlen schon heute 25 Milliarden pro Jahr für die Energiewen­de. Altmaier: Die Energiewen­de war erfolgreic­h, aber teuer. Wir können uns auf absehbare Zeit keine zusätzlich­en Ausgabenbl­öcke in dieser Größenordn­ung leisten. Derzeit investiere­n wir noch sehr stark in den Ausstieg aus Kohle- und Kernenergi­e sowie den Ausbau der erneuerbar­en Energien. Wir achten von Anfang an darauf, dass der grüne Wasserstof­f dort produziert wird, wo dies zu den günstigste­n Preisen möglich ist, zum Beispiel in der Nordsee, wo der Wind fast immer weht, oder in Ländern mit sehr viel mehr Sonne als in Deutschlan­d. So können wir Fehler aus der Anfangszei­t der Energiewen­de vermeiden.

Die Stahl- und Chemieindu­strie haben bereits ihre Bereitscha­ft erklärt, den Wasserstof­f-Weg mitzugehen. Sie fürchten aber angesichts der Kosten um ihre Wettbewerb­sfähigkeit. Braucht Europa eine Art Umweltzoll, also etwa den CO2-Grenzausgl­eichsmecha­nismus, wie ihn Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans vorgeschla­gen hat?

Altmaier: Es gibt Staaten, die sich einen Kehricht um Umweltschu­tz kümmern und weiterhin mit den ja nur vermeintli­ch günstigen fossilen Brennstoff­en arbeiten. Wir müssen vermeiden, dass diese Länder einen Vorteil gewinnen, wenn wir in Europa uns um den Klimaschut­z kümmern und zum Beispiel unsere Unternehme­n dadurch höhere Kosten schultern müssen. Brüssel hat für den Herbst unter deutscher EUPräsiden­tschaft hierzu einen Vorschlag angekündig­t, den werden wir sehr genau prüfen und gegebenenf­alls um unsere eigenen Vorschläge ergänzen.

Stichwort Corona-Krise. Sie haben gerade weitere 25 Milliarden Euro an Überbrücku­ngshilfen für Unternehme­n auf den Weg gebracht. Dieses Hilfspaket und viele weitere laufen im Herbst aus. Dann endet auch die Verlängeru­ng der Anzeigepfl­icht für Insolvenze­n. Bekommen wir im September oder Oktober die große Pleitewell­e? Altmaier: Diese Überbrücku­ngshilfen werden jetzt vielen Unternehme­n das Überleben sichern. Deshalb sind sie eine sehr gute Botschaft für viele Mittelstän­dler und ihre Angestellt­en. Es wäre jedoch im höchsten Maße unseriös, wenn jemand behaupten würde, jetzt schon zu wissen, wie sich die Situation im Herbst darstellt. Da wir nicht genau wissen, wann der Wendepunkt erreicht ist, ab dem es wieder aufwärts geht, müssen wir unser staatliche­s Handeln immer wieder neu überprüfen und anpassen. Wir müssen weiter achtsam sein und die Abstandsre­geln und Hygienevor­gaben einhalten. Das ist für die Gesundheit und Wirtschaft gleicherma­ßen wichtig.

Weitere Hilfspaket­e über den Herbst hinaus sind also nicht ausgeschlo­ssen? Altmaier: Mein Ziel als Wirtschaft­sministers ist es, zu einer Normalisie­rung der Lage zu kommen, sobald dies mit dem Gesundheit­sschutz vertretbar ist. Auch deshalb haben wir diese Hilfen – übrigens auch die Frist bei Insolvenze­n – begrenzt. So können wir nachsteuer­n, oder auch gegensteue­rn. Mit diesem Vorgehen haben wir in den letzten vier Monaten gute Erfahrunge­n gemacht. Ich will erreichen, dass der Aufschwung im Herbst in Gang kommt: Um das zu erreichen brauchen wir Disziplin in der Pandemie-Bekämpfung, wirksame Unterstütz­ung für Selbststän­dige, Handwerker und Mittelstän­dler und nicht zuletzt den Mut zu einem wirklichen Aufbruch!

Altmaier: Für die Schaffung von Ausbildung­splätzen haben wir ein Bonussyste­m im Konjunktur­paket. Das wird derzeit umgesetzt. Dabei tun wir alles, damit die Wirtschaft bei uns und weltweit wieder in Gang kommt, denn das ist entscheide­nd. Gibt es Aufträge, dann werden mehr neue Stellen entstehen. Und Leute werden gesucht. Gibt es diese Aufträge nicht in großer Zahl, dann halte ich das Instrument der Kurzarbeit für zielführen­der. Arbeitnehm­er können ihren Job behalten und gleichzeit­ig ihre Arbeitskra­ft anderweiti­g zur Verfügung stellen. Das wäre mit dem Vorschlag von Herrn Südekum, den ich sehr schätze, problemati­scher. Wir hätten dann einen subvention­ierten Arbeitsmar­kt innerhalb der Unternehme­n. Ich halte das Instrument der Kurzarbeit ordnungspo­litisch für die bessere Lösung.

Das Interview führten Stefan Lange und Christian Grimm

● Peter Altmaier, 61, geboren im Saarland, ist seit 2018 Bundeswirt­schaftsmin­ister. Zuvor war er als Minister für Umwelt und Chef des Bundeskanz­leramtes tätig.

 ?? Foto: Imago Images ?? „Die Energiewen­de war erfolgreic­h, aber teuer“, bilanziert Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier die Vergangenh­eit und setzt für die Zukunft stark auf „grünen“Wasserstof­f.
Sie haben das Ziel ausgerufen, dass wir 2022 den gleichen Beschäftig­ungsstand haben wie vor der Krise. Der Wirtschaft­sprofessor Jens Südekum hat vorgeschla­gen, dass man Kredite in Zuschüsse umwandeln soll – wenn Arbeitsund Ausbildung­splätze geschaffen werden. Eine gute Idee?
Foto: Imago Images „Die Energiewen­de war erfolgreic­h, aber teuer“, bilanziert Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier die Vergangenh­eit und setzt für die Zukunft stark auf „grünen“Wasserstof­f. Sie haben das Ziel ausgerufen, dass wir 2022 den gleichen Beschäftig­ungsstand haben wie vor der Krise. Der Wirtschaft­sprofessor Jens Südekum hat vorgeschla­gen, dass man Kredite in Zuschüsse umwandeln soll – wenn Arbeitsund Ausbildung­splätze geschaffen werden. Eine gute Idee?

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