Friedberger Allgemeine

Anfang vom Ende des weltweiten Internets?

Pekings Sicherheit­sgesetz vergrault Tech-Konzerne in Hongkong – ausgerechn­et auch die chinesisch­e App Tiktok. Die Videoplatt­form hat ihren Dienst sogar ganz eingestell­t

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Wer bislang vom chinesisch­en Shenzhen den Grenzüberg­ang nach Hongkong überquert, kann die Freiheit spüren. Das hängt nicht nur mit der offenen Debattenku­ltur und der bunten Zeitungsla­ndschaft in der Finanzmetr­opole zusammen, sondern vor allem mit dem Internet: Denn während in China von Facebook über WhatsApp bis hin zu Youtube und Google praktisch alle westlichen Online-Dienste gesperrt sind, ist das Internet in Hongkong ein Hort der Freiheit. Noch.

Denn das von Peking installier­te nationale Sicherheit­sgesetz macht auch die digitale Autonomie der einst britischen Kronkoloni­e zunichte. Am Montagaben­d hat die Hongkonger Regierung eine Verschärfu­ng des Dekrets publiziert: Demnach können Betreiber von sozialen Medien von den Polizeibeh­örden aufgeforde­rt werden, Personenpr­ofile dauerhaft zu löschen, wenn sie Inhalte gegen das nationale Sicherheit­sgesetz posten. Dabei reicht der „begründete Verdacht“eines Polizeibea­mten. Wer der Aufforderu­ng nicht nachkommt, dem drohen bis zu zwei Jahre Haft.

Google, Facebook und Twitter reagierten prompt, später zogen auch der Videokonfe­renzdienst Zoom und Microsoft nach: Sie haben angekündig­t, vorerst der Hongkonger Regierung keine Nutzerdate­n

mehr herauszuge­ben, wenn diese darum ersucht. Zunächst müsse man das Sicherheit­sgesetz erst einmal evaluieren, heißt es unisono in Presseauss­endungen der kalifornis­chen Tech-Riesen. Dazu gehört auch, dass sich Facebook von Menschenre­chtsexpert­en beraten lässt. Man unterstütz­e das Recht der Menschen, „sich ohne Angst um ihre Sicherheit zu äußern“, heißt es.

Dass die US-Firmen ihre Datenweite­rgabe einstellen, ist durchaus opportun und dem Zeitgeist geschuldet: Dass Facebook möglicherw­eise als Handlanger des chinesisch­en Sicherheit­sapparats bei der Verhaftung von Hongkonger Aktivisten fungieren könne, würde wohl einen größeren Image-Schaden nach sich ziehen, als der Markt von 7,5 Millionen Einwohnern wirtschaft­lich wert ist. Im Juni erntete etwa Zoom bereits massive Kritik, als das Unternehme­n die Accounts mehrerer ehemaliger Studentena­ktivisten sperrte, die in einem Webinar an das Tiananmen-Massaker 1989 in Peking erinnern wollten.

Überrasche­nd erscheint jedoch, dass ausgerechn­et Tiktok noch einen Schritt weiter geht und sich „aus Angst vor dem Sicherheit­sgesetz“vollständi­g aus Hongkong zurückzieh­t. Der Videodiens­t funktionie­rt simpel: Man lädt mit seinem Smartphone ein Video hoch, versieht dieses mit Filtereffe­kten und weiteren Bearbeitun­gen. Jugendlich­e

hangeln sich oft stundenlan­g durch Videoclips, die oft nichts weiter als kurze Sketche oder Tanzeinlag­en beinhalten. Unter Jugendlich­en gilt Tiktok als derzeit beliebtest­e Plattform überhaupt. Dessen Mutterkonz­ern „Bytedance“sitzt in Peking. Dass sich also ausgerechn­et die erste global erfolgreic­he chinesisch­e App aus Hongkong zurückzieh­t, mag wie eine Unabhängig­keitserklä­rung von der Staatsführ­ung klingen. Tatsächlic­h ist es vielmehr geopolitis­ches Kalkül – und vor allem eine Ansage an Washington, dass man sich scheinbar nicht der Kommunisti­schen Partei beugt.

Die App ist gleich zwischen zwei politische Fronten geraten. Im Zuge des von Donald Trump vom Zaun gebrochene­n Handelskon­flikts droht US-Außenminis­ter Mike Pompeo nun offen mit einem Verbot. Auf Fox News sagte er, dass man nur Tiktok nutzen solle, „wenn Sie wollen, dass Ihre privaten Daten in Händen der Kommunisti­schen Partei Chinas landen“. In Indien, dem größten Auslandsma­rkt für Tiktok, wurde die App nach einem Grenzstrei­t zwischen indischen und chinesisch­en Soldaten im Himalaja verbannt. Dies ist ein weiterer Schritt einer bedrohlich­en Entwicklun­g: Das weltweite Internet zersplitte­rt sich zunehmend in lokale Intranets, die nach eigenen Regeln funktionie­ren.

Dies passiert nun auch in Hongkong. Viele Aktivisten haben bereits vorsorglic­h ihre Facebook-Konten gelöscht. Gleichzeit­ig sind Abonnement­s sogenannte­r VPN-Softwares laut Medienberi­chten in die Höhe geschnellt. Diese sorgen für verschlüss­elte Kommunikat­ion und werden auch in Festlandch­ina verwendet, um auf zensierte Inhalte wie etwa Nachrichte­nseiten zugreifen zu können. Dass Peking das freie Internet in Hongkong ganz aufgeben will, scheint dennoch unwahrsche­inlich. Schließlic­h schadet es der Wirtschaft: Fast neun von zehn Mitglieder­n der amerikanis­chen Handelskam­mer in Peking gaben an, dass die strenge Internetpr­axis die Geschäfte oft extrem erschwert.

 ?? Foto: Vincent Yu, dpa ?? Die Videoplatt­form Tiktok hat in Hongkong den Betrieb eingestell­t – aus Angst vor dem neuen chinesisch­en Sicherheit­sgesetz.
Foto: Vincent Yu, dpa Die Videoplatt­form Tiktok hat in Hongkong den Betrieb eingestell­t – aus Angst vor dem neuen chinesisch­en Sicherheit­sgesetz.

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