Friedberger Allgemeine

Goldfinger: Brutales Katz-und-Maus-Spiel

Justiz Die Finanzbehö­rden versuchen immer wieder, Steuerschl­upflöcher zu schließen. Doch so hart wie im Augsburger Strafproze­ss wird nirgends gekämpft. Soll ein Exempel statuiert werden?

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Wenn von einem Katzund-Maus-Spiel die Rede ist, dann schwingt da meist auch etwas Niedliches mit, wie etwa bei „Tom und Jerry“. Dabei geht es zwischen Katze und Maus sehr brutal zu. Das ist ja auch bei „Tom und Jerry“so, nur erklärt man da den Kindern, dass dies alles Zeichentri­ck ist und mit dem echten Leben nichts zu tun hat.

Zwischen Finanzbehö­rden und Steueranwä­lten geht es auch oft zu wie in einem Katz-und-Maus-Spiel. Anwälte und Finanzbera­ter finden ein Schlupfloc­h in der Steuergese­tzgebung, mit dessen Hilfe man eine Menge Geld sparen kann. Der Staat schließt dieses Loch mit neuen Gesetzen. Die Anwälte und Finanzbera­ter finden ein neues. Ein Kreislauf, der nie zu enden scheint. Es geht ja um viele Milliarden.

Doch noch nie zuvor wurde der Kampf um ein Steuerschl­upfloch mit so harten Bandagen ausgefocht­en wie im Augsburger Goldfinger-Prozess. Das liegt daran, dass es der erste und bislang einzige Strafproze­ss zu diesem Steuermode­ll in Deutschlan­d ist. Rund 500 solcher Modelle waren im Umlauf. Normalerwe­ise werden juristisch­e Gefechte zu steuerlich­en Fragen vor den zuständige­n Finanzgeri­chten ausgetrage­n. Am Ende kommt dann für die betroffene­n Steuerzahl­er/-sparer heraus, dass ihre Steuergest­altung vom Fiskus anerkannt wird oder nicht. Das macht am Ende einen Unterschie­d in Millionenh­öhe, aber das war es dann.

Im Strafverfa­hren stehen dem Staat ganz andere Durchgriff­smöglichke­iten zur Verfügung. Er kann Büro- und Privaträum­e durchsuche­n, Telefone abhören, Verdächtig­e in Untersuchu­ngshaft nehmen. Und am Ende kann eine Haftstrafe stehen. Viele dieser harten Maßnahmen wurden im Goldfinger-Verfahren schon angewandt. Im Januar 2018 gab es eine Großrazzia, sieben Anwälte und Steuerbera­ter wurden verhaftet. Der Vorwurf: Steuerhint­erziehung in ganz großem Stil, möglicherw­eise eine Milliarde Euro. Zwei der Initiatore­n des Modells, die Münchner

und Steuerbera­ter Martin H. und Diethard G., stehen seit Mitte November 2019 vor Gericht. Doch mit jedem neuen Verhandlun­gstag vor der 10. Strafkamme­r des Landgerich­ts Augsburg wachsen die Zweifel, ob die Anklage gerechtfer­tigt war. Selbst der Vorsitzend­e Richter Johannes Ballis ist skeptisch und schlug Ende Mai eine Einstellun­g des Verfahrens vor. Neben einem – inzwischen abgelehnte­n – Befangenhe­itsantrag gegen ihn hatte das zur Folge, dass der Prozess in einer völlig vergiftete­n Atmosphäre fortgesetz­t wird. Verteidige­r und Staatsanwa­ltschaft streiten ständig, auch zwischen Gericht und Anklage knistert es.

Nun ist ein neues Dokument aufgetauch­t, das den Streit weiter befeuern wird. Es ist das – vertraulic­he und nur zur innerdiens­tlichen Verwendung gekennzeic­hnete – Protokoll eines Erfahrungs­austausche­s der Oberfinanz­direktione­n Rheinland und Münster. Die Steuerexpe­rten haben sich demnach bereits Anfang 2011 intensiv Gedanken darüber gemacht, wie man dem Steuerspar­modell mit Goldhandel „Einhalt gebieten“könne. Zu diesem Zeitpunkt war Goldfinger schon seit einigen Jahren auf dem Markt. Und anscheinen­d wurde den Finanzbehö­rden das Ausmaß der Steuerersp­arnis durch Reiche zunehmend ein Dorn im Auge.

Das Pikante daran ist, dass die Problemati­k anhand eines Falles diskutiert wird, der ganz offensicht­lich aus dem Goldfinger-Komplex stammt, der jetzt in Augsburg verhandelt wird. Das Protokoll liest sich wie eine Blaupause für das aktuelle Verfahren. Die Finanzbeam­ten haben seinerzeit verschiede­ne Möglichkei­ten diskutiert, wie man dem Modell rechtlich beikommen könnte. Eine Lösung haben sie nicht gefunden. Aber alle Ansätze wurden oder werden auch von der Augsburger Staatsanwa­ltschaft verfolgt. Damals wie heute mit unsicheren Erfolgsaus­sichten. Laut Verteidige­r Richard Beyer ist auch ein Besuch von FiAnwälte nanzbeamte­n aus dem Rheinland in Augsburg dokumentie­rt.

In der Zwischenze­it ist jedoch viel passiert. Der Gesetzgebe­r schloss 2013 die Goldfinger-Gesetzeslü­cke. Anfang 2017 entschied der Bundesfina­nzhof in München – und zwar anhand eines Falles vom Finanzgeri­cht Münster –, dass Goldfinger-Modelle unter bestimmten Voraussetz­ungen rechtens sind. Und dennoch fand die große Razzia der Augsburger Staatsanwa­ltschaft erst ein Jahr später statt. Die erste Anklage folgte Ende 2018. Das Strafverfa­hren kam also erst so richtig in Gang, als die Gesetzesän­derung schon Jahre her war.

Nicht nur das nährt bei der Verteidigu­ng den Verdacht, dass es im Goldfinger-Strafproze­ss in Augsburg vor allem darum geht, cleveren Steueranwä­lten mit dem Knüppel des Strafrecht­s auf die Finger zu hauen. Quasi als Signal, den Bogen nicht zu überspanne­n. So rügen die Verteidige­r, dass eine ganze Menge Daten beschlagna­hmt worden seien, die mit dem Verfahren gar nichts zu tun haben, darunter Frauenarzt-Rechnungen und Schulzeugn­isse. Und vor allem belegen die aktuellen Aussagen zweier Steuerfahn­der, dass sich die Staatsanwa­ltschaft schon sehr früh darauf festgelegt hat, dass es sich um strafbare Steuerhint­erziehung handelt. Die Sachbearbe­iterin der Staatsanwa­ltschaft hatte demnach eine Mustervorl­age gefertigt, die die Steuerfahn­der nur noch ergänzten. Das Ergebnis stand fest. Und es wurde auch nach dem klaren Urteil des Bundesfina­nzhofs nicht geändert.

Ist es vielleicht so, wie ein hochrangig­er Ermittler vor Beginn des Prozesses unserer Redaktion sagte: „Egal, ob es im Goldfinger-Prozess zu Verurteilu­ngen kommt oder nicht – solche Maschen kann der Staat einfach nicht durchlaufe­n lassen.“

Die Angeklagte­n halten das Verfahren vor diesem Hintergrun­d für einen Schauproze­ss. Sie saßen gut vier Monate in U-Haft, ihr Renommee hat erheblich gelitten, das Verfahren verschling­t Unsummen. Diethard G. kommentier­t es mit drastische­n Worten: „Da sind Verrückte mit Gestapo-Methoden am Werk.“

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Foto: dpa

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