Ein filmisches Denkmal
Das passt in die Zeit: „Harriet“erzählt von einer starken Frau, die selbst aus der Sklaverei geflohen ist und dann andere aus ihr befreit hat. Aber ist das mehr als ein Heiligenbildchen?
Es ist der genau richtige historische Stoff für die aktuelle Situation. Im Zuge der „Black Lives Matter“-Kampagne werden die Denkmäler von Sklavenhaltern und Rassisten in den USA von Demonstranten gestürzt – da bringt Hollywood mit „Harriet“ein filmisches Denkmal für die Abolitionistin Harriet Tubman (1820–1913) in die Kinos. Aber ist es auch der richtige Film?
„Black Lives Matter“– das könnte auch das Lebensmotto Tubmans gewesen sein, die aus der Sklaverei flüchtete, aber immer wieder in die Südstaaten zurückkehrte, um unter dem Decknamen „Moses“weitere Sklaven in den Norden zu führen. Tubman spielte eine zentrale Rolle in der Fluchthilfeorganisation „Underground Railroad“, der zuletzt auch der Autor Colson Whitehead in einem Roman ein Denkmal bereitet hat. Während des amerikanischen Bürgerkrieges arbeitete sie als Krankenschwester und Kundschafterin für die Armee der Unionisten. Nach dem Krieg und dem Ende der Sklaverei engagierte sie sich für das Frauenwahlrecht. Ein bis zum Ende bewegtes Leben, aus dem Regisseurin Kasi Lemmons die frühen Jahre für ihr klassisches Biopic herausgreift.
Der Film beginnt mit einer traumartigen Vision. Denn seit Minty – so Tubmans Sklavenname, den sie später ablegen wird – als Dreizehnjährige einen gewaltsamen Schädelbruch erlitten hat, fällt sie immer mal wieder in Ohnmacht. Die Bilder, die sie dann sieht, kommen ihrer Meinung nach direkt von Gott. Die religiösen Erscheinungen verleihen Minty (Cynthia Erivo) jene Entschlusskraft, mit der sie durch ihr außergewöhnliches Leben gehen wird. Im Jahr 1849, in dem die Filmhandlung einsetzt, ist Minty mit dem freien Sklaven John verheiratet und soll nach dem beglaubigten Willen ihres verstorbenen Besitzers ebenfalls freigelassen werden. Aber die Erben des verschuldeten Anwesens kümmern sich nicht um das Testament und wollen Minty weiterverkaufen.
Allein macht sie sich auf die Flucht 100 Meilen durch die Wälder und Sümpfe Marylands und gelangt schließlich mit Unterstützung von Fluchthelfern über die Grenze nach Pennsylvania. In Philadelphia lernt sie durch den Aktivisten William
Still (Leslie Odom) und die Hotelbesitzerin Marie Buchanon (Janelle Monáe) die ihr bis dahin unbekannte Welt afroamerikanischen Wohlstands und politischen Engagements kennen. Sie gibt sich selbst den neuen Namen Harriet und fasst schon bald in der neuen Umgebung Fuß, kann und will sich aber nicht daran gewöhnen, dass ihre Freunde und Verwandten weiterhin in Sklaverei leben. Alle erklären sie für verrückt, als sie zurück nach Maryland fährt, um einige Familienmitglieder in die
Freiheit zu führen. Schon bald sind es nicht nur Verwandte und Freunde, sondern auch unbekannte Plantagenarbeiter, die ihrem Ruf in die Freiheit folgen. Als schließlich ein Gesetz in Kraft tritt, dass es Sklavenjägern auch ermöglicht, in den Nordstaaten zu operieren, hilft sie die Flucht über 600 Meilen nach Kanada zu organisieren, um später im Bürgerkrieg erneut nach Maryland zurückzukehren.
Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Kasi Lemmons legt „Harriet“
als geradliniges HeldinnenPorträt an. Wie so oft bei vermeintlich „schwierigen“Themen, mit denen man die konservativen Teile des US-Publikums verschrecken könnte, flüchtet man sich auch hier in eine sehr konventionelle Erzählweise, die ästhetisch und narrativ keine Risiken eingeht. Dennoch ist „Harriet“ein absolut sehenswertes Werk, das ein zentrales, historisches Schuld-Thema behandelt, welches im kulturellen Diskurs in den USA nach wie vor nicht ernsthaft aufgearbeitet wurde.
Dabei verdankt „Harriet“seine emotionale Wirkung vor allem der brillanten Performance von Hauptdarstellerin Cynthia Erivo (siehe
In der Rolle der Harriet Tubman kann sie in ihrem dritten Film nun ihr enormes Leinwandcharisma erstmals voll entfalten. Sie verhindert erfolgreich, dass die Figur zum Heiligenbildchen verkommt, und erdet sie mit einer stillen, nachhaltigen Präsenz. Auch wenn so manche Drehbuchpassage etwas steifbeinig daherkommt, verleiht Erivo ihrer Heldin in den Dialogen eine glaubwürdige Autorität. Nach „Harriet“dürften sich in Hollywood für sie viele Türen öffnen.
Ein Porträt in sehr konventioneller Erzählweise