Friedberger Allgemeine

Merchings „Gänseliese­l“verabschie­det sich

Kunigunde Behringer führt Sommer für Sommer ihr Federvieh an die Paar zum Weiden. Dabei erlebt sie manch tierische Überraschu­ng

- VON CHRISTINA RIEDMANN‰POOCH

Merching Den ganzen Sommer über bis Anfang November konnte man in Merching an der Paarbrücke das reinste Dorfidyll erleben, wenn Kunigunde Behringer samt langem Stock mit ihren Schützling­en zum Gänsehüten kam. Als sie klein war, sei Gänsehüten die Aufgabe der Kinder gewesen, erzählt die Merchinger­in. Die Gänse habe man morgens zur Paar getrieben, abends seien sie von selbst wieder zurückgeko­mmen.

Die meisten Landwirte haben heute das Gänsehüten längst aufgegeben. Besonders, seitdem die Federn, die früher für Betten sehr begehrt waren, an Bedeutung verloren haben. Kunigunde Behringer hat die Tradition jedoch von ihrer Familie übernommen. Schon ihre Großmutter hatte Gänse und ihre Mutter hielt selbst nach Aufgabe der Landwirtsc­haft daran fest.

Damit es Gänsen gut geht, brauchen sie nach Erfahrung der Merchinger­in vor allem Auslauf. Sie dürfen tagsüber nicht lange eingesperr­t sein. Das macht das Gänsehalte­n sehr zeitaufwän­dig. Das Federvieh erwartet gegen 6 Uhr die erste Mahlzeit – und weil die Tiere ziemlich schlau sind und allerhand anstellen, kann man sie keine Sekunde aus den Augen lassen.

„Gänse sind stolz, eigenständ­ig und edel, kein bisschen unterwürfi­g nicht feig und extrem auf Eigenständ­igkeit bedacht. Zwar kann man sie dazu bringen, dass sie einem am Abend Maiskörner aus der Hand fressen, oder dass sie sich einem auf den Schoss kuscheln – aber sie sind ausgesproc­hen intelligen­te und selbstbewu­sste Tiere“, schwärmt Kunigunde Behringer.

Wenn es neue, junge Gänse gibt, ist von Anfang an klar, dass dies keine Haustiere werden. Spätestens um Martini am 11. November werden sie geschlacht­et, um zur knusprigen Weihnachts­gans zu werden. Vorher aber möchte die Merchinger­in ihnen ein erfülltes, gansgerech­tes Leben bieten: frei und voller Abenteuer mit Zugang zur Paar, wann immer es möglich ist.

Kunigunde Behringers erwachsene­r Enkel Vincent ist ebenfalls begeistert von den Tieren. So gab es auch dieses Jahr, Anfang Mai, sieben kleine Gänseküken: Vier weiße Deutsche Landgänse und drei Pommersche, die ein graues Federkleid haben. Die Küken akzeptiert­en die beiden „Ersatzmama­s“sofort. „Sie liefen uns überall hin nach“, erinnert sich Vincent.

Schon einen Monat später bekamen die jungen Gänse ihre ersten

Federn und sahen zu diesem Zeitpunkt nicht besonders schön aus, findet Vincent. Sie begannen nicht nur, ihr Revier gegen den Postboten zu verteidige­n, sondern eroberten immer mehr vom Hof, grasten fleißig, hinterließ­en ihre „Tretminen“und zerlegten alles in sämtliche Einzelteil­e, was nicht schnell genug weggeräumt wurde.

Der Charakter der einzelnen Gänse kristallis­ierte sich immer mehr heraus und sie bekamen Namen: Schwarzfed­er, Der große Weiße, Schneewitt­chen, Tüpfelchen, Prinzessin, Lady – und der Anführer, „Die Graue Eminenz“. „So einen menschlich­en Chef hätte ich mir auch gewünscht“, meint Kunigunde Behringer: „Er war ruhig, friedlich, geduldig – aber wehe, es hat jemand seine Herde bedroht!“.

Einer der Lieblingsp­lätze der Gänse war die Paar. Kunigunde Behringer begleitete sie dabei immer – doch an einem heißen Sommertag musste sie kurz zu ihrem Haus zurück. Als sie wiederkam, sah sie statt ihrer munteren Gänseschar nur noch Federn im Wasser schwimmen – und zwei aufgeregte Jagdhunde. Hinter ihnen sprang, schrie und watete der Hundebesit­zer durch die Paar – packte die Hunde und rettete damit den Gänsen das Leben. Nach einer riesengroß­en Schrecksek­unde entdeckte Kunigunde Behringer ihre unverletzt­en Schützling­e. Sie hatten sich vor der Hitze offensicht­lich unter der Brücke versteckt.

Als sich die Blätter zu färben begannen, waren aus den kleinen Küken selbstbewu­sste Ganter und Gänsedamen geworden. Selbst gegen Vincent, der arbeitsbed­ingt nicht so oft bei Ihnen sein konnte, verteidigt­en sie leidenscha­ftlich Haus, Hof und ihre Gänseliesl – mit Schnabel, wildem Flügelschl­agen und angriffslu­stigem Geschnatte­r.

Damit war es Anfang November, kurz vor dem Martinstag, schlagarti­g vorbei. „Es war ja schon klar, dass sie geschlacht­et werden, bevor ich sie hatte!“, meint Kunigunde Behringer. Leicht gefallen ist es ihr in all den Jahren trotzdem nie: So wurden sie auch dieses Mal mit Extra-Salatköpfe­n verwöhnt, jedes Tier wurde einzeln gestreiche­lt und beruhigt, damit keines Stress hatte, als es zur Schlachtba­nk ging.

Kunigunde Behringer selbst bleibt weg, bis die Tiere erkaltet sind. Dann sind die Gänse „absolut hochwertig­es Fleisch“, das gerupft und ausgenomme­n werden muss, erklärt sie. In diesem Jahr ist ihr der Abschied besonders schwer gefallen: Kunigunde Behringer ist schon Mitte 70 und hat altersbedi­ngt beschlosse­n, dass es im Frühjahr keine kleinen Gänseküken mehr gibt – und auch Vincent kann dies im Moment nicht mit seiner Arbeit unter einen Hut bringen. So fügt sie hinzu: „Der Körper ist froh, die Seele leidet, aber die schönen Erinnerung­en bleiben.“

Und auf den knusprigen Braten – am liebsten im Kreise ihrer Lieben – freut sie sich sehr. Ihre Familie ist groß und gut sechs bis acht Personen können an einer Weihnachts­gans essen. Vincent lacht verschmitz­t und ergänzt, dass drei gute Esser die Weihnachts­gans im Notfall schon auch allein schaffen würden: „I gfrei mi scho!“

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Foto: Gertrude Benotte Wie eine Gänsemagd aus alten Zeiten: Kunigunde Behringer macht einen Spaziergan­g mit ihren Schützling­en an der Paar in Mer‰ ching.
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Foto: Kunigunde Behringer Federvieh mit viel Charakter: Die „Graue Eminenz“führt die Gänseschar auf dem Weg zur Paar an.

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