Merchings „Gänseliesel“verabschiedet sich
Kunigunde Behringer führt Sommer für Sommer ihr Federvieh an die Paar zum Weiden. Dabei erlebt sie manch tierische Überraschung
Merching Den ganzen Sommer über bis Anfang November konnte man in Merching an der Paarbrücke das reinste Dorfidyll erleben, wenn Kunigunde Behringer samt langem Stock mit ihren Schützlingen zum Gänsehüten kam. Als sie klein war, sei Gänsehüten die Aufgabe der Kinder gewesen, erzählt die Merchingerin. Die Gänse habe man morgens zur Paar getrieben, abends seien sie von selbst wieder zurückgekommen.
Die meisten Landwirte haben heute das Gänsehüten längst aufgegeben. Besonders, seitdem die Federn, die früher für Betten sehr begehrt waren, an Bedeutung verloren haben. Kunigunde Behringer hat die Tradition jedoch von ihrer Familie übernommen. Schon ihre Großmutter hatte Gänse und ihre Mutter hielt selbst nach Aufgabe der Landwirtschaft daran fest.
Damit es Gänsen gut geht, brauchen sie nach Erfahrung der Merchingerin vor allem Auslauf. Sie dürfen tagsüber nicht lange eingesperrt sein. Das macht das Gänsehalten sehr zeitaufwändig. Das Federvieh erwartet gegen 6 Uhr die erste Mahlzeit – und weil die Tiere ziemlich schlau sind und allerhand anstellen, kann man sie keine Sekunde aus den Augen lassen.
„Gänse sind stolz, eigenständig und edel, kein bisschen unterwürfig nicht feig und extrem auf Eigenständigkeit bedacht. Zwar kann man sie dazu bringen, dass sie einem am Abend Maiskörner aus der Hand fressen, oder dass sie sich einem auf den Schoss kuscheln – aber sie sind ausgesprochen intelligente und selbstbewusste Tiere“, schwärmt Kunigunde Behringer.
Wenn es neue, junge Gänse gibt, ist von Anfang an klar, dass dies keine Haustiere werden. Spätestens um Martini am 11. November werden sie geschlachtet, um zur knusprigen Weihnachtsgans zu werden. Vorher aber möchte die Merchingerin ihnen ein erfülltes, gansgerechtes Leben bieten: frei und voller Abenteuer mit Zugang zur Paar, wann immer es möglich ist.
Kunigunde Behringers erwachsener Enkel Vincent ist ebenfalls begeistert von den Tieren. So gab es auch dieses Jahr, Anfang Mai, sieben kleine Gänseküken: Vier weiße Deutsche Landgänse und drei Pommersche, die ein graues Federkleid haben. Die Küken akzeptierten die beiden „Ersatzmamas“sofort. „Sie liefen uns überall hin nach“, erinnert sich Vincent.
Schon einen Monat später bekamen die jungen Gänse ihre ersten
Federn und sahen zu diesem Zeitpunkt nicht besonders schön aus, findet Vincent. Sie begannen nicht nur, ihr Revier gegen den Postboten zu verteidigen, sondern eroberten immer mehr vom Hof, grasten fleißig, hinterließen ihre „Tretminen“und zerlegten alles in sämtliche Einzelteile, was nicht schnell genug weggeräumt wurde.
Der Charakter der einzelnen Gänse kristallisierte sich immer mehr heraus und sie bekamen Namen: Schwarzfeder, Der große Weiße, Schneewittchen, Tüpfelchen, Prinzessin, Lady – und der Anführer, „Die Graue Eminenz“. „So einen menschlichen Chef hätte ich mir auch gewünscht“, meint Kunigunde Behringer: „Er war ruhig, friedlich, geduldig – aber wehe, es hat jemand seine Herde bedroht!“.
Einer der Lieblingsplätze der Gänse war die Paar. Kunigunde Behringer begleitete sie dabei immer – doch an einem heißen Sommertag musste sie kurz zu ihrem Haus zurück. Als sie wiederkam, sah sie statt ihrer munteren Gänseschar nur noch Federn im Wasser schwimmen – und zwei aufgeregte Jagdhunde. Hinter ihnen sprang, schrie und watete der Hundebesitzer durch die Paar – packte die Hunde und rettete damit den Gänsen das Leben. Nach einer riesengroßen Schrecksekunde entdeckte Kunigunde Behringer ihre unverletzten Schützlinge. Sie hatten sich vor der Hitze offensichtlich unter der Brücke versteckt.
Als sich die Blätter zu färben begannen, waren aus den kleinen Küken selbstbewusste Ganter und Gänsedamen geworden. Selbst gegen Vincent, der arbeitsbedingt nicht so oft bei Ihnen sein konnte, verteidigten sie leidenschaftlich Haus, Hof und ihre Gänseliesl – mit Schnabel, wildem Flügelschlagen und angriffslustigem Geschnatter.
Damit war es Anfang November, kurz vor dem Martinstag, schlagartig vorbei. „Es war ja schon klar, dass sie geschlachtet werden, bevor ich sie hatte!“, meint Kunigunde Behringer. Leicht gefallen ist es ihr in all den Jahren trotzdem nie: So wurden sie auch dieses Mal mit Extra-Salatköpfen verwöhnt, jedes Tier wurde einzeln gestreichelt und beruhigt, damit keines Stress hatte, als es zur Schlachtbank ging.
Kunigunde Behringer selbst bleibt weg, bis die Tiere erkaltet sind. Dann sind die Gänse „absolut hochwertiges Fleisch“, das gerupft und ausgenommen werden muss, erklärt sie. In diesem Jahr ist ihr der Abschied besonders schwer gefallen: Kunigunde Behringer ist schon Mitte 70 und hat altersbedingt beschlossen, dass es im Frühjahr keine kleinen Gänseküken mehr gibt – und auch Vincent kann dies im Moment nicht mit seiner Arbeit unter einen Hut bringen. So fügt sie hinzu: „Der Körper ist froh, die Seele leidet, aber die schönen Erinnerungen bleiben.“
Und auf den knusprigen Braten – am liebsten im Kreise ihrer Lieben – freut sie sich sehr. Ihre Familie ist groß und gut sechs bis acht Personen können an einer Weihnachtsgans essen. Vincent lacht verschmitzt und ergänzt, dass drei gute Esser die Weihnachtsgans im Notfall schon auch allein schaffen würden: „I gfrei mi scho!“