„Mein Mann soll möglichst weit weg sein“
Ein Ehemann, der seine Partnerin wiederholt gewaltsam attackierte, ist zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt steigt seit Jahren, oft werden Kinder Zeugen
Die unscheinbare Frau betritt verängstigt den Sitzungssaal, nimmt zitternd auf dem Zeugenstuhl Platz. Als sie von Richterin Silvia Huber gefragt wird, ob sie als Ehefrau des Angeklagten aussagen will, schüttelt sie den Kopf und weint. Dann beruhigt sie sich, ist doch zur Aussage über eine Dolmetscherin bereit. Die Beziehung der 31-Jährigen zu ihrem um zehn Jahre älteren Ehemann stand unter keinem guten Stern.
Schon zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren hat der Angeklagte seine Frau massiv verprügelt, zuletzt am 5. November – vor den Augen der beiden Kinder. Nun sitzt er in Untersuchungshaft. Das Besondere an diesem Fall: Innerhalb weniger Wochen hat die Justiz in Corona-Zeiten dieses Verfahren, ohne Fristen zu wahren, durchgezogen – mit Zustimmung aller Beteiligten.
Die Ehefrau, Mutter eines kleinen Sohnes aus einer früheren Beziehung, hat den Angeklagten vor etwas über zwei Jahren über Facebook kennengelernt. Nach einem Treffen wurde sie schwanger, heiratete den Angeklagten sofort. Offenbar bald nach der Geburt des zweiten Sohnes kriselte es in der noch jungen Beziehung. Der Ehemann, der als selbstständiger Trockenbauer gut verdiente, rastete mehrfach aus, wurde gewalttätig. Im Mai dieses Jahres verurteilte ihn ein Gericht wegen zweier Fälle der Körperverletzung zu einer hohen Geldstrafe. Eine weitere Anklage mit Tatzeit Januar ist noch anhängig. Und dann der Abend des 5. November.
Schon in den Tagen zuvor hat es Spannungen zwischen den Eheleuten gegeben. Die Frau will mit den Kindern zurück in ihre Heimat, bittet um Zustimmung des ebenfalls sorgeberechtigten Ehemannes. Als der 41-Jährige mit einer Ex-Freundin telefoniert und sich über seine Frau angeblich lustig macht, eskaliert die Situation. „Ich habe ihn gefragt, ob er sich nicht schämt. Dann hat er mich vor den Kindern mit der Faust gegen den Hinterkopf geschlagen und gerufen, er bringe mich heute um.“Der Angeklagte habe sie am Hals gepackt, gewürgt, sie habe große Angst gehabt, ihn gekratzt. „Dann hat er mich mit einem Spielzeuggewehr geschlagen, mich eingesperrt, sodass ich nicht aus der Wohnung konnte“, erzählt die Zeugin. Ihr Mann habe sie als „Hure“und „Abfall“beleidigt, er habe sie betrogen. Die Kinder würden sehr unter der Situation leiden, das Jugendamt sei eingeschaltet.
„Wie soll es denn nun weitergehen?“, fragt die Richterin die Zeugin. Die Antwort: Sie wolle, dass ihr Mann „möglichst weit weg ist“, sie wolle durchhalten wegen der Kinder. Und: „Das Leben in Deutschland ist auch nicht besser, wenn der Mann das Leben zur Hölle macht.“
Die Richterin rät ihr, auf eigenen Beinen zu stehen.
Der Angeklagte entschuldigt sich bei seiner Frau: „Es tut mir sehr leid.“Sie entgegnet: „Das ist schon das dritte Mal, dass er das sagt.“Der Verteidiger des Ehemannes, Anwalt Jörg Seubert, erklärt, dass sein Mandant, wenn er aus der Haft entlassen werde, zunächst bei seinem Bruder unterkomme. Er biete außerdem ein Schmerzensgeld an.
Richterin Huber belässt es im Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung bei einem Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung. Der Haftbefehl wird aufgehoben. Die Geldauflage beträgt 4000 Euro, zu zahlen an den „Bunten Kreis“. In der Urteilsbegründung geht Silvia Huber mit dem Angeklagten ins Gericht: „Ihre Frau ist keine Leibeigene, mit der Sie umgehen können, wie Sie wollen.“
Die Fälle häuslicher Gewalt, wie sie der Prozess beispielhaft aufzeigte, werden bei der Polizei sehr ernst genommen. Unter den Begriff „häusliche Gewalt“fallen sämtliche Straftaten, die mit Gewalt in einer Beziehung verbunden sind – von der Beleidigung, Bedrohung, sexueller Gewalt bis zur Körperverletzung und zu – glücklicherweise selten vorkommenden – Tötungsdelikten. Dabei spielt weder der Tatort noch die Art der Beziehung eine Rolle. Der polizeiinternen Statistik zufolge steigt die Zahl der Fälle im Bereich des Polizeipräsidiums SchwabenNord seit etwa fünf Jahren an.
2015 wurden 1369 Fälle registriert, bei denen 1067 Frauen die Opfer waren. In rund 20 Prozent der Fälle sind Männer die Opfer, denen teils von Frauen, teils in gleichgeschlechtlichen Beziehungen von ihren Partnern Gewalt angetan wurde. Im Jahr 2017 waren es schon 1415 Fälle, ein Jahr später die bislang höchste Zahl von 1638 Fällen. 2019 wurden 1529 derartige Übergriffe registriert. Besonders bedrückend ist, dass in jedem dritten Fall Kinder Augenzeugen der Attacken werden.
Kriminalhauptkommissarin Sabine Rochel ist die Beauftragte für Kriminalitätsopfer beim Präsidium Schwaben-Nord. Auch wenn häusliche Gewalt zumeist vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleibt, sei die Polizei sensibilisiert. Bereits bei der Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei und dann später auf der Fachhochschule würden die Kolleginnen und Kollegen zum Thema geschult. Weil gerade die Abhängigkeit der Frauen von ihren Partnern groß sei, würden die Fälle immer der Staatsanwaltschaft angezeigt, selbst wenn das Opfer überhaupt keinen Strafantrag stellt, also keine Strafverfolgung wünscht.
„Und wenn in der Beziehung Kinder vorhanden sind, wird immer auch das Jugendamt informiert“, verdeutlicht Sabine Rochel, dass häusliche Gewalt nicht nur einen Aspekt hat. Viele Frauen, so weiß Rochel aus Erfahrung, würden nach Gewaltattacken wieder zu ihren Partnern zurückkehren, weil Kinder da sind, weil die Frauen in einem emotionalen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen. „Das ist für Außenstehende schwer zu verstehen“, räumt sie ein, „aber im Einzelfall nachvollziehbar.“Nicht nur die Kriminalhauptkommissarin ist Ansprechpartnerin für Gewaltopfer. Seit einigen Jahren besteht in Augsburg auch die Opferberatungsstelle „Via“in der Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt, auf die Opfer bei Einsätzen der Polizei stets hingewiesen werden.