Corona: Das sind Augsburgs Verlierer und Gewinner
Die Corona-Krise hat viele Firmen in der Region in Schwierigkeiten gebracht, andere dagegen waren Nutznießer der Pandemie. Ein Lieferdienst konnte den Umsatz fast verdoppeln, andere Unternehmen schlossen für immer. Erfahrungsberichte eines schweren Jahres
eWenn Lorenz Rau, Geschäftsführer der Messe Augsburg, auf das Jahr 2020 zurückblickt, hat er dafür nur drei Worte: „Es war turbulent.“Eine Formulierung, die die Ereignisse seiner Branche schon fast zu optimistisch wiedergibt, denn tatsächlich, auch das sagt Rau, war das nach dem Zweiten Weltkrieg die größte Krise der Messewirtschaft – einschneidender als die Finanzkrise.
Für Rau auch deshalb eine bittere Erfahrung, weil er erst im März die Stelle des Geschäftsführers der Messe Augsburg angetreten hatte und dann keine einzige reale Messe begleiten konnte. So wie ihm ging es in diesem Jahr vielen Menschen, die stellvertretend für verschiedene Branchen stehen. Doch die Krise brachte auch Gewinner hervor.
Statt Veranstaltungsbesuchern sah Lorenz Rau viele Menschen, die nur deshalb zum Messegelände kamen, weil die Stadt dort das CoronaTestzentrum eingerichtet hat. Für seinen Arbeitgeber bedeuten die vielen ausgefallenen Veranstaltungen einen Millionenverlust. Der entstandene Schaden gleicht die Messe Augsburg durch die Aufnahme von Krediten aus, um die Liquidität zu sichern. Trotz allem will Rau den Optimismus nicht verlieren. Mit der digital durchgeführten Eigenveranstaltung „Off-Grid Expo + Conference“habe man Pionierarbeit geleistet und ein Format für die Zukunft geschaffen. Eine weitere Hoffnung: Messen werden nach der Pandemie eine wichtige Plattform zur Absatzförderung sein und so das Geschäft wieder ankurbeln. Auch Konzerte oder die Auftritte von Comedians werden dann wieder gefragt sein. Das stärke dann auch der schwer getroffenen Veranstaltungsbranche wieder den Rücken – hoffentlich nicht zu spät.
Eine Befürchtung, die auch Friseure haben. Sie sind sicher, dass nach dem Lockdown die Kunden zurückkommen werden. Doch bis dahin gehen viele durch ein Tal, sagt Innungsvorsitzender Matteo Leggio. Er erzählt von weinenden Kollegen, die nicht wissen, ob sie ihren Laden wieder aufsperren können, oder wie lange sie nach Ende des Lockdowns noch durchhalten werden. „Ich schätze, mindestens 20 bis 30 Prozent der Friseure in Schwaben werden aufgeben müssen“, so Leggio. Auch für Kosmetikstudios sehe es düster aus. Denn aufholen könne man die Verluste nicht. Keiner brauche nach dem Lockdown zwei Haarschnitte.
Das gleiche Argument führen Gastronomen an: Auch ihr Angebot wird nach Ende der Krise nicht stärker nachgefragt, nur weil man während des Lockdowns verzichten
emusste. Im Gegenteil. Mancher Restaurantbetreiber wird gar keine Speisen mehr anbieten können, weil Corona ihn zur Aufgabe gezwungen hat oder staatliche Hilfen zu spät kommen. Ein Beispiel ist die TapasBar Purist, die schon im Frühjahr nach zwölf Jahren geschlossen hat.
Auch im Einzelhandel hinterlassen Corona-Pandemie und Lockdown Spuren. Während die Filialisten Reno und Bonita ihre Geschäfte in der Annastraße zum Jahresende schließen, kämpft manch inhabergeführter Laden weiter ums Überleben. Vielfach sind Kreditrahmen ausgeschöpft, berichtet der Branchenverband. Händler erzählen von Umsatzeinbußen von bis zu 70 Prozent und wirken persönlich von der Krise mitgenommen. Andreas Gärtner vom Schwäbischen Einzelhandelsverband sagt: „Sollte der Lockdown verlängert werden, gehen wohl bei vielen Händlern die Lichter aus“. Die Innenstädte werden nach der Krise anders aussehen. Marcus Vorwohlt, Chef des Modehaus Rübsamen, ergänzt: „Wir müssen den radikalsten Rotstift ansetzen und sparen, wo es nur geht“.
Eine Erfahrung, die auch Reisebüros und Beherbergungsbetriebe machen mussten. Hotels waren zeitweise komplett geschlossen. Die Mitarbeiter waren teils zu 100 Prozent in Kurzarbeit, Inhaber von Reisebüros erzählten von „jeder Menge Arbeit bei null Verdienst“. „Bei jeder Reise, die wir stornieren, verlieren wir die Provision, also unser Einkommen“, sagte Erika
Schmutz vom „Reisebüro hinter dem Perlach“im Mai. Von bis zu 80 Prozent Umsatzausfällen spricht der Deutsche Reiseverband.
„Für den Tourismus war 2020 ein Katastrophenjahr“, fasst Augsburgs Tourismusdirektor Götz Beck die Lage zusammen. Für Augsburg rechnet er mit einem Minus an Übernachtungen und Gästeankünften von 50 bis 60 Prozent. Doppelt bitter findet er die Entwicklung, weil man sich 2019 noch in allen Bereichen des Tourismus stark entwickelt und auf Rekordniveau befunden habe. „Wir waren auf dem Weg, den Tourismus zu einer Leitökonomie für Augsburg zu machen.“Das Niveau von 2019 wieder zu erreichen, werde ein hartes Stück Arbeit und nicht sofort gelingen. Immerhin glaubt Beck, dass Reisen nach Ende der Krise wieder ein großer Wunsch der Menschen sein wird, der der Branche wieder Aufwind verleiht.
Es gibt weitere Verlierer. Dazu gehören Messebauer oder Taxifahrer ebenso wie die Kreativwirtschaft oder Industriebetriebe, die mit unterbrochenen Lieferketten oder Absatzschwierigkeiten kämpfen. Bei den Augsburger Wirtschaftskammern sieht man die Situation mit Sorge. Vielen Unternehmen drohe das Aus, sollten die von Bund und Land zugesagten Hilfen nicht
dFriseure leiden unter der CoronaKrise. Schon zum zweiten Mal müssen sie während des Lockdowns ihre Geschäfte schließen. Der Umsatz, der so verloren geht, sei nicht mehr einzuholen. Niemand brauche nach der Wiedereröffnung zwei Haarschnitte. Klare Ge winner der Krise sind Lieferdienste wie Boxbote. Das Unternehmen konnte seinen Umsatz im Jahr 2020 nahezu verdoppeln.
dWenige bis keine Gäste, Essen nur zum Mitnehmen – Gastronomen leiden unter der CoronaKrise. Einzelne Branchen wie Fahrradhändler dagegen erlebten einen Auf schwung.
schnell fließen, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Marc Lucassen zuletzt. Auch eine Insolvenzwelle in 2021 schließen Experten nicht aus.
Doch wie so oft in Krisen: Es gibt auch Profiteure. Zu den Gewinnern zählen in diesen Tagen unter anderem Baumärkte. Die Menschen haben die Zeit genutzt und zu Hause renoviert, umgebaut oder sich neu eingerichtet. Das Geld, das man in diesem Jahr nicht in den Urlaub investierte, floss in andere Projekte. Der Handelsverband Heimwerken, Bau und Garten berichtet von einem Umsatzplus von rund 15 Prozent. Auch Möbelhäuser haben – zumindest in Teilen – profitiert. Über Umsätze wollen ortsansässige Händler nicht sprechen. Immerhin gäbe es genügend Unternehmen, denen es schlecht ginge, man wolle sich nicht öffentlich im Erfolg sonnen, heißt es. Man fühle stattdessen mit diesen Betrieben und genieße den eigenen Erfolg im Stillen. Zudem sei Erfolg in diesen Zeiten auch eine Frage der Betrachtungsweise.
Das sieht auch Maximilian Gehl vom Radcenter Gehl so. Oft wird der Fahrradhandel als Gewinner der Krise dargestellt, doch wenn man den Chef des Familienunternehmens fragt, ob er sich und seine Branche ebenso sieht, fällt ein „Jein“.
„Wenn man unsere Umsätze mit jenen in anderen Branchen vergleicht, sind wir Gewinner der Krise. Wenn man anschaut, welche Umsätze wir ohne Corona hätten machen können, dann müssen wir
einen Verlust von fünf bis zehn Prozent ausweisen“, sagt Gehl.
Den Umsatzverlust aus dem Frühjahrslockdown konnten Radhändler der Stadt schnell hereinholen. Vor manchen Fahrradgeschäften standen die Menschen damals Schlange, um sich ein neues Rad zu kaufen. Denn viele mieden den öffentlichen Personennahverkehr und stiegen auf’s Rad um. Andere planten Urlaub mit dem Fahrrad statt Baden am Strand. Die Mitarbeiter waren von früh bis spät im Dauereinsatz, die Werkstätten ausgelastet.
Dafür brachen später Umsätze weg, weil der großen Nachfrage und unterbrochener Lieferketten wegen in manchen Segmenten keine Fahrräder mehr zur Verfügung standen und nicht mehr geliefert werden konnten.
Als wahre Profiteure sehen sich viele IT-Unternehmen. Das bestätigt auch Andrea Pfundmeier. Sie ist IHK-Vizepräsidentin und Gründerin des IT-Unternehmens Secomba. Ihre Firma verbucht 2020 ein Rekordjahr – auch wegen Corona. Weil Secomba Verschlüsselungstechnik für Cloud-Technik entwickelt und auch für in der Corona-Pandemie boomende Kommunikationsplattformen wie Microsoft Teams schnell Sicherheitssysteme entwickelt hat, stieg die Nachfrage nach den Produkten. „Wir haben ein deutliches
Umsatzplus“, bilanziert Pfundmeier.
Auch andere Unternehmen der Branche berichten von solchen Effekten. Teils sei die Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter der großen Nachfrage wegen „grenzwertig“gewesen. Allerdings schätze man den Erfolg im Hinblick auf die von der Krise stark betroffenen Branchen sehr, betont Pfundmeier.
Mächtig Aufschwung gab die Corona-Krise 2020 dem Online-Handel sowie den Lieferdiensten. In Augsburg erlebte das Start-up Boxbote einen Schub. „Man kann uns wohl als Corona-Gewinner bezeichnen. Wenn der Dezember so gut läuft, wie wir erwarten, knacken wir fast die Zwei-Millionen-UmsatzGrenze. Vergangenes Jahr lag der noch bei rund einer Million Euro“, erzählt Gründer Raimund Seibold. Sein Ziel: Er will die regionale Alternative zu Amazon werden. Zwar mache das Unternehmen rund 70 Prozent Umsatz mit der Lieferung von Speisen, doch auch Dienstleistungen wie Bücher- oder Lebensmittellieferungen werden immer wichtiger – auch das ein Effekt von Corona. Im ersten Quartal 2021 will Boxbote eine weitere Großstadt erschließen – Nürnberg und Ulm sind in der Auswahl.
Und dann sind da, neben all den Verlierern und Gewinnern, noch Unternehmer, die sich zu keiner der Kategorie zählen, sondern sich einfach als Optimisten beschreiben. So haben in Augsburgs Innenstadt unter anderem die Kette Royal Donuts und „32° – Die Werkstatt für Genuss“mitten in der Krise eröffnet. Weil sie Speisen zum Mitnehmen anbieten, hoffen die Inhaber auf einen guten Start ihrer Konzepte und wollen sich für später empfehlen.
Ähnlich sehen die Lage Hysnije und Çlirim Hyka. Sie haben zum Dezember das Restaurant Trattoria Alesa gelati in Hochzoll-Süd übernommen. „Ich war mir bewusst, dass diese Zeit keine einfache ist, bin aber davon ausgegangen, dass es in Deutschland keinen zweiten Lockdown geben wird“, erzählt Çlirim Hyka. Übernommen hat er vom Vorgänger einen Koch und einen Pizzabäcker. Für diese Beschäftigten braucht er jetzt Arbeit. Deshalb hat er sich entschieden, einen Lieferservice anzubieten.
Wann er sein Restaurant öffnen kann, weiß er nicht. Von den staatlichen Hilfen kann Hyka nichts abgreifen. Er habe das Lokal erst übernommen und könne keine Umsätze aus dem Vorjahr nachweisen, an denen sich die Hilfen bemessen. Für den Gastrofachmann ist das aber in Ordnung. „Ich erwarte nicht, dass der Staat mir hilft.“Vielmehr müsse man in Eigeninitiative dafür sorgen, die schwere Zeit zu überbrücken.
Das Niveau von 2019 zu erreichen, wird schwierig
Mitarbeiter waren von früh bis spät im Dauereinsatz