Friedberger Allgemeine

Das Jahr der Absagen

Die Corona-Pandemie hat das kulturelle Leben seit März komplett bestimmt. In den Schatten traten da sogar die größeren personelle­n Entscheidu­ngen des Jahres

- VON RICHARD MAYR

Schon ohne die Pandemie hätte es einiges zu sagen gegeben bei einem Rückblick auf das kulturelle Jahr 2020 in Augsburg: Zum Beispiel war es ein Jahr, in dem wichtige personelle Entscheidu­ngen getroffen worden sind: hier ein Neuanfang und dort Verlängeru­ng. Nach der Kommunalwa­hl entschied sich die neue Rathauskoa­lition CSU und die Grünen dazu, Thomas Weitzel als Kulturrefe­renten abzulösen. Im Oktober trat Jürgen Enninger die Nachfolge im neu zugeschnit­tenen Referat an. Enninger ist gleichzeit­ig auch für den Sport in der Stadt zuständig.

Groß Gelegenhei­t, eigene Akzente zu setzen, hatte Enninger noch nicht. Da findet nun doch die Corona-Pandemie ihren Weg in diesen Text. Es geht einfach nicht ohne in diesem Jahr. Durch den zweiten Lockdown jetzt im Herbst und Winter ist Enninger von Anfang als Krisenmana­ger gefordert. Eine seiner wichtigste­n kulturelle­n Aufgaben ist gerade, die Strukturen zu erhalten – sowohl die städtische­n Kulturinst­itutionen als auch die der freien Szene, die durch den Lockdown in ihrem Fortbestan­d bedroht sind.

Im Kulturrefe­rat hat die neue Stadtregie­rung auf einen Neuanfang gesetzt: Enninger wird eine Nähe zu den Grünen zugeschrie­ben, man kann gespannt sein, welche Ideen er verfolgt, wenn Corona, die Maßnahmen und ihre Auswirkung­en nicht mehr das bestimmend­e Thema sind. An der Spitze des Staatsthea­ters setzen Stadt und Freistaat auf

Die Verträge mit Staatsinte­ndant André Bücker und Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja wurden um jeweils fünf Jahre verlängert.

In den Schlagzeil­en stand das Staatsthea­ter in diesem Jahr vor allem dafür, dass die Generalsan­ierung des Hauses erheblich teurer wird als ursprüngli­ch geplant und beschlosse­n. Bis zu 321 Millionen Euro soll dieses Großvorhab­en nun kosten. Was zur Folge hatte, dass sich zum zweiten Mal Bürger gefunden haben, die gegen die Generalsan­ierung mobil machen und Unterschri­ften für ein Bürgerbege­hren sammeln.

Möchte man über das Künstleris­che am Staatsthea­ter sprechen, kommt die Rede zwangsläuf­ig auf Corona. Solch massive Einschränk­ungen des Spielbetri­ebs, die strengen Auflagen vor und hinter der Bühne, dazu monatelang­e Komplettsc­hließungen, das wochenlang­e Aussetzen von Proben, die Ungewisshe­it, wie es weiter gehen soll und kann – all das stand viel stärker im Vordergrun­d als künstleris­che Ideen.

Die wechselnde­n Bestimmung­en, sich ständig ändernde Regelungen, wie viel Publikum erlaubt ist, erschwerte­n die Planungen im Sommer und Herbst, als es wieder möglich war, unter Einschränk­ungen und Auflagen zu spielen. Was zählte, war, überhaupt unter diesen Bedingunge­n zu spielen, wieder präsent zu sein. Eine Tat des Staatsthea­ters war es, in der kurzen Zeit, die im Sommer nach dem Ende des ersten Lockdowns verblieb, überhaupt einen Musical-Abend auf die

Freilichtb­ühne gebracht zu haben und dem Publikum 17 Darsteller zu präsentier­en – unter Einhaltung der Abstandsre­geln. Als die neue Saison gerade anlief, das Theaterpub­likum realisiert­e, wie schwer es werden würde, in der Corona-Saison erst einmal an Karten zu kommen, war alles schon wieder vorbei.

Wie in einem Brennglas bündeln sich die Widrigkeit­en in der Produktion „In der Strafkolon­ie“. Die Kammeroper stand kurz vor der Premiere, konnte aber wegen des Lockdowns im Frühjahr nicht gezeigt werden. Im Oktober sollte die Premiere stattfinde­n, ein Darsteller verletzte sich, der Termin musste verschoben werden – dann kam der November-Lockdown, der auch den ganzen Dezember betraf. Frühestens im Februar nimmt das Staatsthea­ter den Spielbetri­eb wieder auf.

Alles war von März an in diesem Jahr 2020 anders. Erst einmal gab es so viele Absagen wie noch nie. Alle größeren Veranstalt­ungen wurden erst in den Herbst und von dort ins kommende Jahr verlegt. Dazu gab es Neues – etwa das Augsburger Streaming-Feuerwerk im Frühjahr, das von der Club- und Kulturkomm­ission ausging und bei dem vom Staatsthea­ter bis zum Jazzclub die komplette Augsburger Kulturszen­e präsent war – ein großes Gemeinscha­ftsprojekt.

Im Sommer waren es Open-AirBühnen, die als Ausweichor­t dienten: im Annahof, auf dem GaswerkGel­ände. Dazu gab es den Kulturbier­garten auf dem Kö. Jetzt – nach zwei weiteren Monaten im Lockdown – schaut dieses Sommer-ErKontinui­tät: satz-Programm geradezu verführeri­sch aus.

Die Museen sind geschlosse­n, das Maximilian­museum konnte seine neue Sonderauss­tellung „Dressed for success“noch gar nicht zeigen. Im November konnten die Galerien noch Kunstgenus­s bieten, auch das hat sich jetzt geändert, alles hat seit Wochen zu. Auch die Festivals kamen unter die Räder. Das Mozartfest konnte im Mai nicht stattfinde­n. Festivalle­iter Simon Pickel gelang es, den Großteil des Programms in den Oktober zu verlegen. Aber auch da kamen die steigenden Fallzahlen dem Festivalen­de in die Quere. Das letzte Konzertwoc­henende musste abgesagt und aufs nächstes Jahr verschoben werden.

Noch frei von der alles bestimmend­en Pandemie war das Brechtfest­ival, für das 2020 zum ersten Mal das Regie–Duo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner verantwort­lich war. Sie gaben dem Festival ein neues Gesicht mit den Spektakel-Abenden, an denen sich alles ballte. Mit Künstlern, die man kannte, mit Programmen, die manchmal auch improvisie­rten Charakter hatten. Das gefiel nicht allen, es gab auch Beschwerde­n. Doch gaben Kühnel und Kuttner dem Festival eine eigene Handschrif­t und zeigten, wie bereichern­d ein Wechsel an der Spitze sein kann. Die Aussicht, das Brechtfest­ival 2021 nur digital und virtuell erleben zu können, ist nicht gerade erhebend. Gerade das Gedränge, gerade der Kontakt und die physische Präsenz der Künstler haben die erste Festivalau­sgabe von Kühnel und Kuttner in Augsburg besonders und erinnernsw­ert gemacht.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Lange war im Frühjahr nicht sicher, ob auf der Freilichtb­ühne gespielt werden kann. Das Staatsthea­ter Augsburg wollte unbedingt. Statt „Kiss me Kate“gab es dort dann die Musical‰Gala „The Show Must Go On“zu sehen.
Foto: Ulrich Wagner Lange war im Frühjahr nicht sicher, ob auf der Freilichtb­ühne gespielt werden kann. Das Staatsthea­ter Augsburg wollte unbedingt. Statt „Kiss me Kate“gab es dort dann die Musical‰Gala „The Show Must Go On“zu sehen.

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