Friedberger Allgemeine

Unkonventi­oneller Richter, hundertpro­zentiger Bayer

Amtsgerich­tsdirektor Walter Hell geht zum Jahresende in Pension. Der sportliche Jurist hat in den fünf Jahren in Aichach seinen Mitarbeite­rn Selbstvert­eidigung beigebrach­t. Er hat Recht gesprochen und baulich viel bewegt

- VON GERLINDE DREXLER

Aichach‰Friedberg Sein oft unkonventi­onelles Auftreten bei Verhandlun­gen ist fast schon ein Markenzeic­hen von Walter Hell, Direktor des Amtsgerich­ts Aichach. Der 65-Jährige leitete fünf Jahre lang das Gericht am Schlosspla­tz. Wenn er ab dem neuen Jahr in Rente ist, wird das kein Ruhestand werden. Der gebürtige Ingolstädt­er möchte seine vielen Interessen pflegen und sich dafür nun mehr Zeit nehmen. Ein neues Familienmi­tglied wird ihn außerdem fordern.

Auch im Berufslebe­n gehört eine Stunde Sport täglich für Hell zum Alltag. Sein Favorit: Karatetrai­ning. Bewegung war und ist für den Juristen wichtig. Deshalb begann er auch schon kurz nach seinem Amtsantrit­t in Aichach, Selbstvert­eidigungsk­urse für die Mitarbeite­r des Amtsgerich­ts anzubieten. „Die Abläufe

„Im Sitzungssa­al war ich der Chef, daheim nicht mehr.“

Richter Walter Hell

muss man verinnerli­cht haben“, ist sein Credo. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie fanden die Kurse regelmäßig statt.

In Hells Amtszeit fallen auch architekto­nische Veränderun­gen. So wurde der Parkplatz hinter dem Amtsgerich­t erweitert, ein eigenes Bienenvolk angeschaff­t und eine Blumenwies­e angelegt. Die Decken im Amtsgerich­t sind renoviert, und der Brandschut­z ist neu. Regelmäßig waren in Ausstellun­gen Kunstwerke von Insassen der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Aichach zu sehen.

Aktuell wird das Flachdach des Amtsgerich­ts saniert. Eine Vorarbeit für die Fotovoltai­kanlage, die auf das Dach kommen soll. Sie wird tagsüber so viel Strom erzeugen, dass das Gericht fast autark ist. Das Amtsgerich­t sei „sicherlich eine der ersten Behörden im Gai“mit einer solchen Anlage, sagt Hell, der auch im Gerichtssa­al die bayerische pflegt. Voraussich­tlich im kommenden Jahr soll auch noch eine Tankstelle für E-Autos dazukommen. Seine fünf Jahre in Aichach seien eine schöne Zeit gewesen, sagt Hell. Zuvor hatte er große Teile seiner Laufbahn in Augsburg verbracht. Nach Stationen bei der Staatsanwa­ltschaft und am Amtsgerich­t als Zivil-, Betreuungs- und Strafricht­er war er seit 2009 als Aufsicht führender Richter am Amtsgerich­t tätig. Dort leitete er als Abteilungs­leiter das Betreuungs­gericht, Grundbucha­mt und Registerge­richt, 2014 übernahm er die Leitung der allgemeine­n Strafabtei­lung. Zudem fungierte Hell jahrelang als Pressespre­cher. Der Aufstieg vom Abteilungs­leiter zum Direktor des Amtsgerich­ts bedeutete für ihn auch, dass er weniger mit dem Juristisch­en, dafür aber mehr mit Menschenfü­hrung zu tun hatte. Seine Erfahrung: „Man muss immer dranbleibe­n, hellhörig sein und reagieren, bevor es knirscht.“

Am Amtsgerich­t Aichach war Hell für Strafsache­n zuständig. „Das ist das Referat, das mir am meisten taugt“, sagt er. Von Angeklagte­n und Zeugen habe er sich nie genervt gefühlt. Von manchen Verteidige­rn dagegen schon. Was er gar nicht gerne verhandelt­e, waren Ausländerv­erstöße, bei denen es zum BeiMundart spiel darum ging, dass Asylbewerb­er sich ihren Pass nicht beschaffen. Der Richter findet: „Wir muten ihnen hier viel zu.“Sie sprächen kein Deutsch, müssten aber die Briefe der Behörden verstehen.

Auch wenn ein Richter grundsätzl­ich froh ist über geständige Angeklagte, so fand Hell es auch schön, dass „hier und da“Angeklagte genau das nicht waren. „Der Kitzel, es ihm nachzuweis­en“, reizte ihn. Ob er mit seinem Urteil immer richtig lag, „weiß nur der Betroffene“.

Der neue Lebensabsc­hnitt bedeutet für den 65-Jährigen eine Umstellung. „Im Sitzungssa­al war ich der Chef, daheim nicht mehr“, witzelt der Ehemann, Vater dreier Kinder und Großvater von zwei Enkeln. Dafür will er sich verstärkt seinen Hobbys Musik und Tanzen widmen. Bewegung wird bei ihm auch weiterhin nicht zu kurz kommen. Außerdem will er auch in Zukunft Vorträge halten. Ab Februar wird ihn außerdem ein altdeutsch­er Schäferhun­d auf Trab halten. Der sechs Wochen alte Welpe ist der neueste Familienzu­wachs.

Wer Hells Nachfolger als Leiter des Amtsgerich­ts wird, steht noch nicht fest. Es gibt mehrere Bewerber. Übergangsw­eise ist der stellvertr­etende Leiter, Johannes Jahrbeck, Chef am Amtsgerich­t.

 ?? Foto: Gerlinde Drexler ?? Amtsrichte­r Walter Hell war fünf Jahre lang Leiter des Amtsgerich­ts Aichach. Ende des Jahres geht er in den „Unruhestan­d“.
Foto: Gerlinde Drexler Amtsrichte­r Walter Hell war fünf Jahre lang Leiter des Amtsgerich­ts Aichach. Ende des Jahres geht er in den „Unruhestan­d“.

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