Neuer Streit ums Homeoffice
Nach der Verschärfung der Lockdown-Regeln stehen plötzlich wieder die Arbeitgeber im Fokus. Sie sollen noch mehr Arbeit von zu Hause ermöglichen. Doch wollen das die Beschäftigten überhaupt? Und warum sind manche Firmen offenbar noch zurückhaltend?
Die Corona-Krise hat eine Revolution der Arbeitswelt in Deutschland losgetreten. Jeder vierte Arbeitnehmer arbeitet derzeit ausschließlich im Homeoffice. Weitere 20 Prozent tun dies zumindest teilweise. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom aus dem Dezember hervor. 2019, im Jahr vor der Krise, haben nur rund 13 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland von zu Hause aus gearbeitet, vor allem Selbstständige. Nur 5,5 Prozent nutzten laut dem Statistischen Bundesamt täglich oder zumindest die Hälfte ihrer Arbeitszeit das Homeoffice. Eine gewaltige Verschiebung also. Dennoch geht das vielen nicht weit genug.
Als Reaktion auf die Verschärfung der Lockdown-Regeln für den Privatbereich fordern Politiker nun auch weiter reichende Vorgaben für Arbeitgeber zur Arbeit im Homeoffice. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) etwa sagte, die Politik habe immer wieder appelliert, Homeoffice-Angebote zu machen und Beschäftigte zu Hause zu lassen, so weit es geht, statt sie an den Arbeitsplatz zu bitten und damit „Kontakte und Verkehre“auszulösen. Jeder, der jetzt darauf nicht reagiere, sei „schlichtweg unsolidarisch“. Grünen-Politikerin Beate Müller-Gemmeke forderte gar „ein Recht auf Homeoffice und ein Homeoffice-Gebot, das sich an die Arbeitgeber richtet“.
Bisher ist beides aber nicht in Sicht. Laut einem Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sollen Arbeitnehmer künftig immerhin das Recht bekommen, einen Wunsch nach regelmäßigem mobilen Arbeiten mit ihrem Arbeitgeber zu erörtern. Im bayerischen Kabinettsbeschluss zur LockdownVerlängerung heißt es nur: „An die Arbeitgeber wird daher erneut dringend appelliert, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Beschäftigten Homeoffice zu ermöglichen.“
Doch unabhängig davon, ob noch mehr Homeoffice helfen könnte, die Pandemie einzudämmen, stellt sich die Frage, warum manche Arbeitgeber offenbar noch zögerlich sind. Und ob die Arbeitnehmer überhaupt mehr Homeoffice wollen – wenn dies an ihrem Arbeitsplatz überhaupt denkbar wäre. Denn ganz viele Berufe lassen sich ja schlicht nicht aus der Ferne ausüben. Aus der Erfahrung der vergangenen Monate lässt sich zumindest die zweite Frage eindeutig mit Ja beantworten. Arbeitspsychologin
Stempel von der Fernuniversität Hagen hat im Frühjahr 2020 eine Untersuchung über die Chancen und Risiken des Homeoffice gestartet. Unserer Redaktion sagte sie, dass die Mehrheit der Studienteilnehmer sich für die Zukunft ein gemischtes Arbeiten mit mehr Flexibilität zwischen dem Arbeiten zu Hause und im Büro wünscht. Vor allem der Zeitgewinn durch das Wegfallen der Pendelei wird in der neuen Arbeitssituation als positiv erlebt. Stärken des Homeoffice seien zudem mehr Flexibilität und Autonomie sowie konzentrierteres und störungsfreieres Arbeiten. Als nachteilig empfunden wird am häufigsten der fehlende Austausch mit Kollegen, eine ungenügende räumliche und technische Ausstattung sowie mangelnde Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben.
„Es wird schwierig werden, Arbeitnehmern diese Flexibilität in Zukunft vorzuenthalten. Denn jetzt, wo Homeoffice in der Krise gemacht werden musste, hat es ja in der Regel auch funktioniert“, sagt Stempel. Mittlerweile seien großzügige Homeoffice-Regelungen sogar ein Punkt, mit dem viele UnternehChristiane men in Stellenanzeigen für sich werben. Mobiles Arbeiten wird also nicht mehr verschwinden. Aber es muss noch deutlich besser geregelt werden, sagt die Arbeitspsychologin. „Arbeitnehmer arbeiten im Homeoffice oft deutlich mehr. Wir nennen das interessierte Selbstgefährdung: Beschäftigte gehen freiwillig über ihre Belastungsgrenzen hinaus. Sie haben ihre Ziele stark verinnerlicht und nicht gelernt, Probleme loszulassen oder Pausen einzuhalten.“
Dass die Arbeitsleistung im Homeoffice nicht geringer wird, bestätigt auch eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Allerdings gibt es Unterschiede. Am besten beurteilen jene Arbeitnehmer ihre Leistung, die zu Hause über einen festen Arbeitsplatz in einem separaten Büro verfügen. Mehr Probleme haben Personen, die Kinder oder Angehörige betreuen müssen. Sie arbeiten dafür oft auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten. Insgesamt kann konzentrierte Einzelarbeit nach mehrheitlicher Einschätzung der Arbeitnehmer im Homeoffice sogar besser erledigt werden als im Büro.
Doch warum sind viele Arbeitgeber offenbar nach wie vor zurückhaltend, was eine Ausweitung des mobilen Arbeitens angeht? Fachkräfte-Expertin Christine Neumann von der IHK Schwaben sieht dies als Zeichen eines Kulturwandels in der Arbeitswelt, der längst noch nicht abgeschlossen ist. Es geht um mehr Vertrauen und Eigenverantwortung für die Ergebnisse statt Kontrolle der reinen Arbeitszeit. „Viele Unternehmen haben sehr flexibel auf die neue Situation reagiert. Manche wurden auch in eine Richtung gestoßen, in die sie sich vorher noch nicht getraut haben. Aber die Branchen sind sehr unterschiedlich und die Unternehmen einer Branche sind sehr unterschiedlich.“
Trotzdem hätten nicht nur Beschäftigte festgestellt, dass vieles auch digital funktioniert. Gerade im städtischen Bereich, wo Büroflächen teuer sind, könnten Unternehmen künftig mehr auf mobiles Arbeiten setzen. Dafür seien aber nicht Vorschriften, sondern betriebsindividuelle Vereinbarungen der richtige Weg, betont auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Ein Knackpunkt für die Arbeitgeber ist, dass für Personen, die dauerhaft von zu Hause arbeiten, deutlich strengere Regeln in Bezug auf den Arbeitsschutz gelten. Die Revolution muss also noch auf die Bürokratie warten.