400 Jahre Rathaus: Das „vergessene“Jubiläum
Augsburgs Prachtbau steht seit 1620 – und damit seit 400 Jahren. Eigentlich wollte die Stadt das feiern, wenigstens ein bisschen, doch die Rechnung ging nicht auf. Von neuen Plänen, alten Ideen – und nackten Tatsachen
Viele deutsche Städte haben ältere Rathäuser als Augsburg, nur wenige haben größere. Was Baumeister Elias Holl ins Augsburger Zentrum stellte, sucht in ganz Mitteleuropa seinesgleichen. Tatsächlich steht der Renaissancebau heute vor allem wegen eines Konkurrenzkampfs da: Die Fugger hatten im 16. Jahrhundert mit einigen Bauten im italienischen Stil von sich reden gemacht. Die Patrizier konnten und wollten sich das nicht bieten lassen. So setzten sie Fuggerhäusern und -kapelle kurzerhand ein neues Rathaus entgegen. Ein Gebäude, über das man viele Geschichten erzählen kann.
Im Jahr 1620 war der Bau fertig, ihn „hochzuziehen“hatte nur fünf Jahre gedauert, allerdings auch Opfer gefordert: Das vorherige, gotische Rathaus musste erst abgerissen werden. Nicht etwa, weil es baufällig gewesen wäre. „Es entsprach einfach nicht mehr dem Zeitgeist“, sagt der Augsburger Autor Martin Kluger, der vor Kurzem ein Geschichtsbuch über das Augsburger Rathaus verfasst hat.
Vergangenes Jahr hätte der HollBau, der in jedem Augsburg-Reiseführer zu finden ist, sein 400-Jähriges feiern können. Hätte, denn wie aus so vielen Veranstaltungen wurde auch aus dieser wegen der Corona-Pandemie nichts. Die Stadt hatte zwar einen Festakt samt Ausstellung geplant, als im März aber der erste Corona-Fall in Augsburg bekannt wurde, legte man die Pläne auf Eis. Was blieb, waren eine Mini-Ausstellung im Unteren Fletz, bei der das erste Sitzungsprotokoll von 1620 zu sehen war, und eine Sonderbriefmarke der LogisticMail-Factory. Alles aber nicht so schlimm, heißt es aus der Stadtverwaltung. 1620 habe ohnehin nur die Hülle des Rathauses gestanden. „Der Innenausbau war erst vier Jahre später abgeschlossen“, sagt Hauptamtsleiter Bernhard Maurmeir.
Nun könnte auch das Jahr 2021 ein Holl-Jubiläum gefeiert werden, immerhin jährte sich Anfang Januar der Todestag des Baumeisters zum 375. Mal. Doch die Stadt hat auch dieses Ereignis hintangestellt. Wichtiger ist der 500. Geburtstag der Fuggerei, der im August gefeiert wird. Holl muss also weiter warten, genau gesagt noch zwei Jahre: 2023 steht sein 450. Geburtstag an. Dann werde es, sagt Maurmeir, „wohl einen Festakt, Vorträge und Ausstellungen geben“.
Tausende von Touristen kommen in normalen Jahren ins Augsburger Rathaus, was sie vor allem anzieht ist der Goldene Saal samt seiner Fürstenzimmer. Über 32 Meter ist er lang, über 17 Meter breit und gut 14 Meter hoch.
„Adäquat genutzt wurde der Saal letztlich nie“, sagt Autor Martin Kluger. Denn der eigentliche Plan der Patrizier, sich mit dem Neubau wieder die Reichstage zu sichern, ging nicht auf. Nur noch einmal, 1713, rief der Kaiser zu dieser wichtigen Versammlung nach Augsburg, danach lief Regensburg der Fuggerstadt den Rang ab.
Wer heute aufmerksam durch den Goldenen Saal geht, kann dort viele Hinweise auf die Geschichte der Stadt entdecken. Gemälde zeigen die fünf Augsburger Hauptgewässer Lech, Wertach, Singold, Brunnen- und Senkelbach. Sie verherrlichen das Haus Habsburg und die römischen Kaiser. Besonders amüsiert ist Autor Kluger aber über eine Darstellung an einer der östlichen Fensterlaibungen. Ein strammer Putto streckt dort seinen nackten Po in Richtung des Lechviertels. Die Augsburger Stadtwache sprengte dort am Ostersonntag des Jahres 1528 eine geheime Versammlung der reformatorischen Täuferbewegung.
Ob der nackte Po im Goldenen Saal tatsächlich ein Bild gewordener Beleg für damalige Auseinandersetzungen über den vermeintlich wahren Glauben sind, kann Martin Kluger nicht sagen. „Über Schriftquellen ist das kaum zu belegen.“Aber vielleicht ist das eine Frage, die bis zum nächsten Jubiläumsjahr erforscht werden kann.
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Literatur Das Buch „Das Renais sancerathaus und der Goldene Saal in Augsburg“von Martin Kluger ist im Con textVerlag erschienen. Es kostet 6,90 Euro.