Eine Mark Schminkzulage
Der berühmte Bariton Johannes Martin Kränzle hatte sein Debüt vor 50 Jahren am Theater Augsburg – als Bub. Jetzt tritt er erneut in Richard Strauss’ „Rosenkavalier“auf – an der Bayerischen Staatsoper in München
Geschlagene 46 Jahre lang seit 1972 hatte der prächtigst ausgestattete Rokoko-„Rosenkavalier“in der Inszenierung von Otto Schenk auf dem Spielplan der Bayerischen Staatsoper München gestanden – bevor er 2018 nach 195 Aufführungen abgesetzt wurde. An diesem Sonntag nun hebt das Nationaltheater eine Neuinszenierung der Richard-Strauss-Oper aus der Taufe – vorerst freilich nur per Stream (18 Uhr).
Und mit von der Partie ist ein in Augsburg geborener namhafter Sänger: der Bariton Johannes Martin Kränzle, der als neureicher Herr von Faninal seine minderjährige Tochter Sophie an den Baron Ochs auf Lerchenau verheiraten will. Der Ochs aber stellt sich als grob ungehobelt heraus – was Sophie auf Distanz zu ihm gehen und Nähe zur Titelfigur Rosenkavalier nehmen lässt. Zarte Bande stellen sich ein…
Auch Johannes Martin Kränzle verbindet mit dem „Rosenkavalier“eine ganz besondere Geschichte. In dieser bittersüßen Komödie gab er vor 50 Jahren als achtjähriger Bub in Augsburg sein Bühnendebüt, es war am 3. Oktober 1971. Seine Rolle damals in dem Hugo-von-Hofmannsthal-Libretto wird heute als höchst heikel empfunden: „ein kleiner Neger“. Er hat stumm und trippelnden Schrittes nicht so furchtbar viel zu tun auf der Bühne – im Wesentlichen nur im 1. Akt eine Tasse Schokolade zu servieren und zum Finale ein Taschentuch aufzuheben – was den einen oder anderen Regisseur nicht davon abhält, den schwarzen Buben auch ein paar indiskrete Blicke in die Szenerie werfen zu lassen.
Johannes Martin Kränzle, so erzählt er selbst, war zu dem trippelnden Auftritt gekommen, weil er seinerzeit in der Augsburger Ballettschule von Magda Karder lernte, die ja damals seit Jahrzehnten auch am Stadttheater beschäftigt war. Kinderarbeit beziehungsweise Kinderarbeit am Abend und in der Nacht war 1971 noch kein Thema, aber honorierte Arbeit war der Auftritt dennoch. Kränzle erinnert sich an sieben Mark Abendgage plus Schwarzschminkzulage von einer Mark. Heute liegt er drüber. Für die acht Mark trat er dann 1971 auch in einer Weihnachtsgala mit der berühmten, in Augsburg ansässigen Sopranistin Sena Jurinac als Feldmarschallin anlässlich einer
auf.
Doch von allzu langer Dauer blieb das „Rosenkavalier“-Engagement nicht, berichtet Kränzle – und setzt nach, dass die schulischen Leistungen nachließen… Gleichwohl kam der spätere StephanerSchüler mit dem Theater sporadisch doch in Berührung: mal im Kinderchor bei einer Freilichtbühnenaufführung von „Turandot“, mal als
Page im „Falstaff“, mal in Nico Dostals „Ungarischer Hochzeit“, hier „als vierter Sänftenträger“, wie er tiefstapelnd anmerkt.
Sein professionelles Debüt gab Kränzle, der Violine, Regie und Gesang studierte – und auch komponierend tätig ist –, 1987 im Opernhaus Dortmund als Konrad Nachtigall in Wagners „Meistersinger“.
Da hob dann die steil steigende Karriere an, die Kränzle seitdem in tragende Rollen an die bedeutendsten Opernhäuser führt. 2021 sieht sein Sommer so aus: In Bayreuth wird er sechsmal wieder den „Meistersinger“-Beckmesser singen – sein ungeheuer schrulliger Auftritt wird dort seit Jahren umjubelt –, und zwischenrein wird er bei den Salzburger
Festspielen, wie auch schon 2020, den Don Alfonso aus Mozarts „Così fan tutte“geben. Wagner und Mozart im Wechsel! Einmal sogar an zwei aufeinanderfolgenden Abenden. Das bedeutet – nebenbei gesagt – auch, dass Kränzle mittlerweile von seiner schweren Krankheit genesen ist. Medikamente muss er nicht mehr nehmen.
Die Parallelverpflichtung ist eine logistische Leistung, bei der sich Salzburg und Bayreuth ebenso absprechen mussten wie bei der Parallelverpflichtung von Asmik Grigorian, die 2021 in Bayreuth die Senta im „Fliegenden Holländer“singt und in Salzburg die Chrysothemis in „Elektra“. Hier wie dort gefragt zu sein, das schmückt…
Aber jetzt steht erst einmal für Kränzle der neue Münchner „Rosenkavalier“an, den der künftige Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski dirigieren und Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, inszenieren wird. Kosky hatte sich speziell Kränzle als Herrn von Faninal gewünscht – so wie er sich Kränzle im September 2020 auch als Jesuiten Rangoni für einen neuen Züricher „Boris Godunow“von Mussorgsky gewünscht hatte. Auch hier gilt: Das schmückt.