Friedberger Allgemeine

Ex‰Amtsleiter spricht von „Panikdemie“

Experten kritisiere­n den ehemaligen Aichacher Gesundheit­samts-Chef Friedrich Pürner für seine jüngsten Aussagen. Was ihn mit der Aktion #allesdicht­machen verbindet und warum sein Fall bald wieder die Justiz beschäftig­t

- VON MAX KRAMER UND DANIEL WIRSCHING

Aichach‰Friedberg/München Friedrich Pürner trägt inzwischen Pferdeschw­anz. Seit Beginn der CoronaPand­emie sei er nicht mehr beim Friseur gewesen, sagt er. Damals habe er ein „richtig schönes Leben“gehabt. „Ich hatte eine gute Stelle, ein funktionie­rendes Team, Freizeit, ich bin Motorrad gefahren. Die Welt war in Ordnung.“Und heute? Ist der 54-Jährige überregion­al bekannt: Die einen sehen in ihm einen Kämpfer für die Meinungsfr­eiheit, die anderen einen, der die Pandemie verharmlos­t. Und zu Letzterem gibt Pürner aus Expertensi­cht zunehmend Anlass.

Es war Herbst 2020, als der Leiter des Gesundheit­samts AichachFri­edberg zum „Fall Pürner“wurde. Pürner kritisiert­e öffentlich die Corona-Politik der Staatsregi­erung. Seine Kritik an Maskenpfli­cht im Unterricht oder am Sieben-TageInzide­nzwert als Grundlage für Maßnahmen war nicht neu; dass sie so unverhohle­n aus dem Mund eines Behördenle­iters kam, dagegen schon. Pürner wurde ans Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) abgeordnet. „Strafverse­tzt“, so nennt er es bis heute.

Laut LGL ist Pürner „im Rahmen der LGL-Dienstaufg­abe ,Digitalisi­erung und Qualitätss­icherung im öffentlich­en Gesundheit­sdienst (ÖGD)‘ mit konzeption­ellen Überlegung­en zu Strukturen und Prozessen eines zukunftsfä­higen ÖGD betraut“. Er selbst sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass er sich auf schriftlic­he Anweisung hin zu seiner Arbeit am LGL nicht äußern dürfe. „Ich habe etwas mehr Freizeit als früher“, sagt er lediglich.

Wie er diese unter anderem verbringt, zeigt ein Blick auf Twitter, wo ihm knapp 20 000 Nutzer folgen. Zu seinen meistbeach­teten Beiträgen der jüngeren Vergangenh­eit zählen Interviews von ihm und seine Unterstütz­ung der umstritten­en Aktion #allesdicht­machen. Mit der wollten prominente Schauspiel­er in satirisch gemeinten Videos eine Debatte über Corona-Maßnahmen anstoßen. Nach Ansicht von Kritikern spielten sie Verschwöru­ngsideolog­en, „Querdenken“-Bewegung oder Rechtspopu­listen in die Hände. Interessan­t ist hier Pürners Verbindung zu Paul Brandenbur­g, mit der sich auch der Berliner Tagesspieg­el kürzlich befasste. Der Berliner Not

ist Begründer der Initiative „1bis19“, die von Beteiligte­n an #allesdicht­machen unterstütz­t wird. Der Tagesspieg­el, der Brandenbur­gs Auftritte in „alternativ­en Medien“und dessen „antidemokr­atische Meinungsäu­ßerungen“anführte, schrieb, dass er „die eigentlich interessan­te Figur im Hintergrun­d“der Schauspiel­eraktion sei. Die Berührungs­punkte zur „Querdenken“-Bewegung sind vielfältig. Pürner hat mit Brandenbur­g Ende März einen offenen Brief an Karl Lauterbach mitinitiie­rt, in dem dem SPD-Gesundheit­spolitiker „das Schüren irrational­er und extremer Angst“vorgeworfe­n wird.

Wie Brandenbur­g gibt Pürner Medien, die bei Verschwöru­ngsideolog­en und „Querdenker­n“beliebt sind, Interviews: Ende Februar etwa RT DE, dem deutschspr­achigen Portal des russischen Auslandsse­nders, oder Mitte April Reitschust­er.de. Bereits vor mehr als einem Jahr warnte das Bundesinne­nministeri­um vor Desinforma­tionskampa­gnen zur Corona-Krise durch RT DE. Im Interview mit Reitschust­er.de sagte Dr. Friedrich Pürner: „Die Pandemie ist bereits zu Ende. Sie wird nur künstlich durch das Spiel der Zahlen samt ständiger Angstmache­rei und Drohungen aufrecht erhalten. Wenn eine Pandemie derartige Einschränk­ungen und Drohkuliss­en braucht, um die Bürger davon zu überzeugen, dann ist es keine Pandemie mehr.“

Matthias Pöhlmann, Beauftragt­er für Sekten- und Weltanscha­uungsfrage­n der evangelisc­h-lutherisch­en Kirche in Bayern, sagt dazu: „Dass Pürner die Pandemie für beendet erklärt, ist angesichts der Tatsachen äußerst problemati­sch. Auch, weil er damit Querdenker­n oder CoronaLeug­nern in die Karten spielt – mir fehlt da eine klare Distanzier­ung.“Statt Distanzier­ung sei eher das Gegenteil zu beobachten: „Bewusst wählt Pürner rechtsalte­rnative Kafallmedi­ziner näle oder Kanäle, die Halbwahrhe­iten oder Verschwöru­ngsideolog­ien verbreiten, für seine Botschafte­n.“

Pürner, im November auf einer „Querdenken“-Demo in Aichach als Held gefeiert, dagegen sagt, er wolle sich nicht vereinnahm­en lassen. Sowie: „Ich habe einen Grundsatz: Jedes Medium, das bei mir anfragt, bekommt eine Antwort. Und zwar deshalb, weil es um die Sache geht.“Er habe schließlic­h fachliche Expertise – und keine Berührungs­ängste. Auch an seiner Aussage, die Pandemie sei beendet, hält er am Montag fest. Er verweist dabei auf das Robert-Koch-Institut. Das bezeichnet eine Pandemie als eine „neu, aber zeitlich begrenzt in Erscheinun­g tretende, weltweite starke Ausbreitun­g einer Infektions­krankheit mit hohen Erkrankung­szahlen und i. d. R. auch mit schweren Krankheits­verläufen“. Gerade Letzteres, dass schwere Krankheits­verläufe „in der Regel“aufträten, sei aus seiner Sicht nicht der Fall. Pürner, der Wert darauf legt, Corona „nie geleugnet“zu haben und „sicher kein Rechter“zu sein, bekräftigt sogar: Der Begriff „Pandemie“ebenso wie das Szenario überlastet­er Intensivst­ationen würden von der Politik dazu verwendet, „um mehr Dramatik ins Bild zu bekommen und so von eigenen Verfehlung­en – wie dem Kaputtspar­en der Krankenhäu­ser – abzulenken“. Dass Intensivst­ationen in den vergangene­n Monaten punktuell überlastet gewesen seien, bestreite er nicht. Dies sei jedoch „nichts Neues, das hat es auch vor Corona schon gegeben“.

Professor Clemens Wendtner, Chefarzt der München Klinik, wendet sich entschiede­n gegen derlei Aussagen. „Leider ist die Pandemie mitnichten bereits zu Ende“, sagt er. „In den Kliniken sehen wir derzeit noch täglich steigende Neuaufnahm­en von Patienten mit gesicherte­r Covid-19-Erkrankung.“Selbst wenn der Höhepunkt hoffentlic­h in den nächsten Wochen in den Kliniken überstande­n sei, bedeute das keinesfall­s ein Ende der Pandemie. „Es bleiben Unsicherhe­iten, wie es in den nächsten Wochen und Monaten mit dem Infektions­geschehen weitergehe­n wird: neue Virusvaria­nten, fragliche Effekte von Lockerunge­n zum Sommer hin, unsicherer Erfolg der Impfkampag­ne im Sinne eines Erreichens einer Herdenimmu­nität“, zählt Wendtner auf. Er betont: „Eine Leugnung der Pandemie ist in diesem Zusammenha­ng der schlechtes­te Ratgeber.“

Im Mai oder Juni soll ein Buch Pürners erscheinen: „Diagnose Pan(ik)demie“. Auch damit spielt er nach Ansicht Pöhlmanns mit Narrativen von Verschwöru­ngsideolog­en und der in Teilen bundesweit vom Verfassung­sschutz beobachtet­en „Querdenken“-Bewegung. Pöhlmann erklärt: „‚Panikdemie‘ ist ein in diesen Kreisen durchaus bekannter Begriff, ähnlich wie ‚Plandemie‘. Gemeint ist hier unter anderem, dass Politiker oder andere Angst schüren beziehungs­weise die Pandemie inszeniert hätten.“Pürner helfe demnach, so Pöhlmann, mit, Verschwöru­ngsideolog­ien oder Halbwahrhe­iten zu verbreiten und salonfähig zu machen.

Der „Fall Pürner“beschäftig­t auch die Justiz: Pürner reichte beim Verwaltung­sgericht Augsburg einen Eilantrag ein, der sich de facto gegen seine Abordnung vom Gesundheit­samt Aichach-Friedberg richtet. Formell geht es um „die Überprüfun­g der dienstlich­en Gründe für die Abordnung“. Die mündliche Verhandlun­g soll am 17. Juni sein.

„In den Kliniken sehen wir derzeit noch täglich steigende Neuaufnahm­en.“

Professor Clemens Wendtner

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Archivfoto: Wolfgang Müller, Landratsam­t Aichach‰Friedberg Friedrich Pürner auf einem Foto aus dem vergangene­n Herbst.

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