Was für eine Schau! Erfurt ist aufgeblüht
Wegen der Corona-Pandemie dürfen am Tag nur 15 000 Leute die Blumenausstellung sehen. Die Macher haben sich viel einfallen lassen. Warum es für Besucher dort spannend ist, in die Wüste geschickt zu werden
Bummeln über Europas längste Brücke, die durchgehend mit Häusern bebaut ist, geht es vorbei an vielen Blumentöpfen. Diese stehen vor winzigen Geschäften in der Sonne. Auf der Krämerbrücke wächst auch Färberwaid. Erfurts Schicksalspflanze verhalf der Stadt im Mittelalter mit blauer Färbekraft zu Reichtum. „Erfurter haben die Liebe zu Pflanzen im Blut“, sagt Marlen Wiedenstritt. Sie bietet Führungen durch die Handelsstadt auf den Spuren des Gartenbaus an.
Die lange Tradition im Anbau von Pflanzen thematisiert die thüringische Landeshauptstadt auch bei der Bundesgartenschau (Buga) 2021, die trotz Corona-Pandemie regulär öffnen konnte. Allerdings dürfen nur maximal 15000 Leute am Tag die Ausstellung, die sich über mehrere Areale erstreckt, besuchen. Bereits 1865 hat Erfurt eine internationale Gartenschau veranstaltet. In der DDR im Jahr 1961 rückte die Stadt mit der „Ersten internationalen Gartenbauausstellung der sozialistischen Länder“ins Scheinwerferlicht des Gartenbaus. Den Flair dieser Zeit vermitteln mittlerweile denkmalgeschützte Bauten auf dem Erfurter Gartenund Ausstellungsgelände (ega) immer noch. Für die BUGA 2021 haben die Gärtner viele Bereiche auf dem 36 Hektar großen egapark neu bepflanzt. Schmale Wege führen etwa durch das Staudenbeet der Pflanzplanerin Petra Pelz. Sonnenbräute schmiegen sich an wogende Gräser, in Gesellschaft von Salbei und Lavendel. Manches erinnert an Prärie und Steppe. Eins ist auffällig: Die Staude hat auf dieser Gartenschau ihren Auftritt.
Berühmt ist das Gelände für Europas größtes ornamental bepflanztes Blumenbeet. Die Gärtner brauchen allein zwei Wochen, um die
auf dem 6000 Quadratmeter großen Mega-Beet zu wechseln. Ein beliebtes Fotomotiv in der Blumenstadt, wie Erfurt auch schon lange genannt wird.
Als spektakulärer Vorzeigebau der Erfurter Buga soll sich das neue Wüsten- und Urwaldhaus Danakil erweisen, benannt nach der Danakil-Wüste, die im Afar-Dreieck in Eritrea, Äthiopien und Dschibuti liegt. In dem 83 Meter langen Glashaus folgen Besucher über Hängebrücken der Spur des Wassers bis hin zu einem rauschenden Wasserfall. In zwei Klimazonen erleben sie Überlebensstrategien von Pflanzen und Tieren. Durch die Wüste voller Kakteen huschen Skorpione. Im Urwald schlängeln sich Schlangen durch das tropische Grün aus Palmen, Jackfruchtbäumen und Bananenstauden.
Einen Kontrast dazu bildet die mittelalterliche Cyriaksburg mit dem Deutschen Gartenbaumuseum. Die neue Dauerausstellung setzt sich mit aktuellen Themen auseinander, etwa mit dem Wert von LeBeim bensmitteln, dem Einsatz von Gentechnik oder urban gardening. Die zweite wichtige Buga-Ausstellungsfläche erstreckt sich auf dem Petersberg, mitten in der Altstadt. Vor der historischen Kulisse der Zitadelle flanieren Gäste durch gärtnerische Geschichte. Wo einst Soldaten exerzierten, sprießen nun typische Erfurter Gewächse wie die Puffbohne oder der Blumenkohl „Erfurter Riese“.
Doch die Buga 2021 spielt sich nicht nur in Erfurt ab, sondern in ganz Thüringen an 25 Außenstandorten. Zu den bekanntesten Gärten, Parks und Schlössern zählen jene in und um Weimar. Wer durch den romantischen Park an der Ilm spaziert, wandelt durch ein lebendes Kunstwerk. Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe gestaltete diesen Landschaftspark mit. An jeder Kurve eröffnet sich ein neues Landschaftsbild. Mittendrin: Goethes Gartenhaus. Dort und im Garten mit seinen Blumenrabatten und Obstwiesen lässt sich die Aura des Dichters noch erspüren. Im IlmPflanzen
Park ist für die Buga ein „Grünes Labor“entstanden. Dieser Experimentalbau aus Holz befindet sich an der Ruine des Tempelherrenhauses. Der Pavillon soll als Treffpunkt in dem stark frequentierten Landschaftsgarten dienen. Dabei geht es auch um die Frage, wie Begegnung von Menschen unterschiedlicher Herkunft im historischen Park gelingen kann. Passend zur Buga hat die Klassik Stiftung Weimar für 2021 das Themenjahr „Neue Natur“ausgerufen – und will so bewusst an die Goethezeit anknüpfen, als der Park entstand und Menschen Natur zur Landschaft formten.
In den Landschaftsgärten im Weimarer Land, die zum UnescoWeltkulturerbe gehören, treten Buga-Besucher eine Zeitreise durch die Gartenepochen an. In barocker Großzügigkeit empfängt der Lustgarten von Schloss Belvedere die Gäste mit einem überdimensionalen Laubengang, perfekt geschnittenem Heckentheater und riesiger Orangerie. Im Schlosspark Tiefurt sprechen in Stein gemeißelte Inschriften die Gefühle des Gartenromantikers an. Wie einst Goethe, Schiller und Wieland flanieren Besucher an der Ilm entlang. Sie kommen vorbei an weißen Holzbänken unter uralten Kastanien, an Pavillons und antiken Tempeln und können die Idylle der englisch anmutenden Parklandschaft genießen.
Im Garten von Schloss Ettersburg empfing einst Herzogin Anna Amalia Literaten, Künstler und Musiker. Vom Weißen Saal fällt der Blick auf den Pücklerschlag. Diese enorme Waldschneise hat der legendäre Gartengestalter Fürst Hermann von Pückler-Muskau gemeinsam mit seinem Schüler Eduard Petzold nach 1842 angelegt. Nur ein Solitärbaum tanzt dort aus der Reihe. Wo heute Gärtner im Schlosspark Ettersburg für die Buga Laubengänge und Blumenparterre wiederhergestellt haben, wandelte auch Goethe schon. Er schrieb: „Hier fühlt man sich groß und frei wie die große Natur, die man vor Augen hat.“Klingt das nicht wie das Motto für eine Gartenschau?